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«Kein Medikament ist so wirksam wie der Rauchstopp.»

Interview Prof. Dr. med Andreas Hoffmann. Der Basler Kardiologe ist Mitglied des Ausschusses des Stiftungsrats und Vorsitzender der Kommission Patienten der Schweizerischen Herzstiftung. Er war langjähriger Dozent an der Universität in Basel und führte eine Praxis als Kardiologe. «spectra» sprach mit Professor Hoffmann über die Risikofaktoren Rauchen und Alkohol, Cannabis und Stress auf Herz und Kreislauf und über die Präventions-Herausforderungen der kommenden Jahre.

spectra: Was sind die häufigsten Herz-Kreislauf-Krankheiten und was passiert im Körper, wenn diese auftreten?

Andreas Hoffmann: Die häufigste Herz-Kreislauf-Krankheit ist die koronare Herzkrankheit, rund 80% der Herzpatienten leiden an dieser Krankheit. Es ist eine Erkrankung der Blutgefässe, die die Blutversorgung des Herzmuskels sicherstellen. Wenn diese Gefässe verengt oder verschlossen sind, kommt es zu einer Minderdurchblutung des Herzmuskels und unter Umständen zu einem Herzinfarkt. Weit weniger häufig treten direkte Herzmuskel-Erkrankungen auf, die meist auf Giftstoffeinflüsse zurückzuführen sind. Weiter gibt es angeborene Herzkrankheiten, die meist mit einer Operation geheilt werden können.

Welches sind die wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung von Herzerkrankungen?

Einer der wichtigsten Risikofaktoren ist das fortgeschrittene Alter – dieser Faktor kann leider nicht beeinflusst werden. Eine Herzerkrankung kann also als natürliche Folge des Alterungsprozesses eines Menschen und seines Herzens sein. Allerdings gibt es Verhaltensweisen, die diesen Alterungsprozess beschleunigen. Dazu gehören das Rauchen, hoher Blutdruck, hohe Blutfette, Bewegungsmangel oder Fehlernährung und ein zu hoher Alkoholkonsum.

Die neusten Zahlen des Schweizerischen Suchtmonitorings zeigen, dass 25% der Schweizer Bevölkerung rauchen, 86% Alkohol trinken und 6,5% zumindest ab und zu Cannabis konsumieren. Was sagen Sie zu diesen Zahlen?

Das sind alles pauschale Zahlen. Der Einfluss dieser Substanzen auf die Gesundheit hängt stark von der Konsummenge ab, besonders beim Alkohol, aber auch beim Tabak, wobei da natürlich klar ist, dass eine Zigarette schädlicher ist als keine Zigarette. Der Tabak ist sicherlich die wichtigste Substanz mit Blick auf die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Grossteil der Rauchenden ist relativ jung, also zwischen 15 und 40 Jahre alt. Die Auswirkungen des Rauchens machen sich meist erst nach Jahrzehnten bemerkbar. Die gute Seite an dieser Latenzzeit ist, dass Rauchende die Chance haben, das Erkrankungsrisiko der Blutgefässe wieder auf den Stand eines Nichtrauchers zu senken, wenn sie das Rauchen in gesundem Zustand aufgeben. Das ist nach fünf bis zehn Jahren Rauchfreiheit der Fall. Die Kehrseite der Medaille ist, dass junge Rauchende gerade wegen der lange ausbleibenden Auswirkungen keine Notwendigkeit spüren, das Rauchen aufzugeben.

Trotzdem ist der Raucheranteil in den letzten 15 Jahren zurückgegangen.

Ja, die Gesellschaft hat diesbezüglich einen grossen Fortschritt gemacht. Die Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden werden gut akzeptiert, viel besser als man es erwartet hat. Allerdings hat man festgestellt, dass die Anzahl Rauchender zwar abgenommen hat, aber die verbleibenden Rauchenden – immerhin ein Viertel der Gesamtbevölkerung – eher mehr und hartnäckiger rauchen. Diese sind für die Prävention eine Knacknuss. Ich habe kürzlich in einer Studie gelesen, dass mit finanziellen Anreizen der Rauchstopp noch mehr gefördert werden könnte. Die Rückfallquote beim Ausbleiben dieses Anreizes ist jedoch relativ hoch.

Der finanzielle Anreiz eines Rauchstopps liegt doch bereits in der Einsparung des hohen Kaufpreises.

Absolut. Deswegen werden die Preise auch stetig erhöht. Aber anscheinend nicht genug, um bei den wirklich Hartnäckigen prohibitiv zu wirken.

Wenn ein Raucher mit sechzig Jahren einen Herzinfarkt erleidet und daraufhin das Rauchen aufgibt, hat diese Rauchabstinenz noch einen messbar positiven Einfluss auf seine spätere Gesundheit oder ist es dann zu spät?

Nein, es ist nie zu spät! Der Rauchstopp ist eindeutig die wichtigste und wirksamste Massnahme bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Schon nach einem Jahr ohne Rauchen ist das Erkrankungsrisiko nur noch halb so gross. Keine Massnahme und kein Medikament ist so wirksam wie der Rauchstopp.

Was passiert im Körper eines Rauchers?

Das Nikotin stört gewisse biochemische Funktionen in der Gefässwand, was dazu führt, dass sich diese nicht mehr so  gut erweitern kann. Es fördert und beschleunigt ausserdem entzündliche Prozesse in der Gefässwand, die langfristig zur Arteriosklerose, also zur Arterienverkalkung, führen. Auf bereits sklerotisch veränderte Arterien hat das Nikotin auch sehr direkte und kurzfristige Auswirkungen: Unter Nikotineinfluss können diese akut einreissen. Eine einzige Zigarette kann also unter Umständen einen Prozess auslösen, der zu einem Gefässverschluss und damit zu einer gesundheitlichen Katastrophe führt.

Kommt es noch vor, dass Sie Patientinnen und Patienten über die Schädlichkeit des Rauchens aufklären müssen?

Nein, eigentlich nicht. Spätestens wenn Raucherinnen und Raucher krank werden und mich oder einen anderen Arzt konsultieren müssen, ist ihnen das sehr bewusst. Anders ist es bei jenen, die noch nicht krank sind und nur zur Vorsorge zum Arzt gehen. Bei diesen Patientinnen und Patienten ist Aufklärung durchaus noch angezeigt und nötig. Gerade Frauenärztinnen und Frauenärzte sollten in Vorsorge-Untersuchungen immer wieder auf die Schädlichkeit des Rauchens aufmerksam machen, besonders natürlich bei Schwangeren, aber auch bei Frauen, die die Pille einnehmen. Für diese Frauen ist das Rauchen ein absolutes No-Go. Ich habe festgestellt, dass die wenigsten Frauenärztinnen und -ärzte diesbezüglich wirklich eine klare Haltung an den Tag legen.

Der Alkoholkonsum ist in der Schweiz stark verbreitet. Wie wirkt Alkohol auf das Herz-Kreislauf-System?

Alkohol ist eine sehr komplizierte Droge. Gewisse Studien über die Einflüsse von Verhaltensweisen und Umwelteinflüssen auf die Herz-Kreislauf-Krankheiten lassen vermuten, dass ein geringer bis moderater Alkoholkonsum vielleicht schützend gegen Arterienverkalkung wirken könnte. Andererseits weiss man, dass ein akuter Alkoholrausch einen Herzinfarkt auslösen oder eine auslösende Rolle beim Vorhofflimmern, einer stark verbreiteten Herzrhythmusstörung, spielen kann. Ausserdem kann Alkohol an anderen lebenswichtigen Organen grosse Schäden anrichten. Deshalb wird die möglicherweise positive Wirkung eines geringen Konsums in der Öffentlichkeit nur sehr zurückhaltend thematisiert.

Mit der möglicherweise positiven Wirkung des Alkohols sprechen Sie den so genannten «Rotwein-Olivenöl-Gürtel» rund um das Mittelmeer an, wo weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten.

Genau. Es ist aber eben nicht klar, ob dies tatsächlich auf diese Ernährungsgewohnheiten oder auf andere Faktoren wie genetische Gegebenheiten oder das Klima zurückzuführen ist.

Würden Sie jemandem empfehlen, Alkohol zu trinken?

Nein, aktiv würde ich das nicht machen. Wenn mich ein gesunder Mensch allerdings fragen würde, ob er ein Glas Rotwein pro Tag trinken könne, würde ich das bejahen. Zu mehr als drei Gläsern pro Tag würde ich aber nein sagen. Diese Menge ist auf jeden Fall schädlich für die Leber, das Gehirn und andere Organe. Abgesehen davon hat Alkohol viele Kalorien und spielt eine wichtige Rolle in der Übergewichtsepidemie. Auch bei gewissen Erkrankungen wie eben dem Vorhofflimmern würde ich auf jeden Fall vom Alkohol abraten.

Wie sieht es mit dem Cannabis aus?

Bezüglich der Wirkung von Cannabis auf das Herz gibt es keine Daten. Der Grund dafür ist, dass Cannabis vor allem von jungen Menschen konsumiert wird, bei denen das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung sehr gering ist. Cannabis ist für uns insofern ein Thema, als dass es oft zusammen mit anderen Substanzen konsumiert wird, die schädlich für das Herz-Kreislauf-System sind. Allen voran mit Tabak, aber auch mit Kokain, der gefährlichsten Droge für Herz und Gefässe überhaupt. Kokain kann ohne weitere Risikofaktoren zu einem akuten Herzinfarkt führen. Dieses Risiko ist leider vielen nicht bekannt.

Prävention hat traditionellerweise vor allem junge Menschen im Blick. Sollte sie sich nicht verstärkt an Menschen mittleren Alters wenden, angesichts der Tatsache, dass sich das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung mit dem Alter erhöht?

Ja. Wenn ein junger Mensch raucht, liegt sein Erkrankungsrisiko innerhalb der nächsten zehn Jahre bei höchstens zehn Prozent. Natürlich ist das sogenannte «Life time risk», also das Risiko auf die gesamte Lebensspanne gesehen, höher. In Zukunft wird man Menschen mit besonders hohem Risiko aber wohl ohnehin besser erkennen können, dies dank der Fortschritte in der Molekulargenetik. Denn bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen auch vererbte Muster eine gewisse Rolle. Beispielsweise gibt es Menschen, die jahrzehntelang rauchen, ohne dass ihnen etwas passiert. Andere erleiden Herzinfarkte, Hirnschläge oder Arterienverschlüsse. Hier gilt es zu erforschen, warum dasselbe Rauchverhalten dem einen schadet, und dem anderen anscheinend nicht. Diese Erkenntnisse werden künftig noch individuellere und gezieltere Präventionsempfehlungen erlauben. Die allgemeinen Empfehlungen, nicht zu rauchen, sich viel zu bewegen und sich gesund und ausgewogen zu ernähren, verlieren deshalb nicht ihre Gültigkeit. Wichtig ist aber eine gewisse Toleranz für Abweichler.

Ein wichtiger Risikofaktor für Herzerkrankungen ist Stress. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Konsum von Cannabis, mit dem vielen Menschen das «Herunterfahren» leichter fällt?

Bewegung, Sport, Entspannungsübungen und gesunde Ernährung eignen sich besser zum Stressabbau als Drogen.

Wie hat sich die Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Die Anzahl der Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum, also die Inzidenz, ist etwa gleichgeblieben. So auch die Mortalität, also die Anzahl Menschen, die in einem bestimmten Zeitraum an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sterben. Die Gesamtzahl der bestehenden Erkrankungen, also die Prävalenz, hat aber zugenommen, weil die Menschen eben länger mit einer Krankheit leben. Man kann heute sowohl als chronisch Kranker als auch als topfitter Mensch relativ alt werden.

Das Ziel der Prävention muss es also sein, die Anzahl der fitten Senioren zu erhöhen.

Genau. Möglichst lange topfit bleiben und dann schnell sterben. Das muss das Ziel jedes Menschen sein, und auch das Ziel einer Gesellschaft, denn das kostet am wenigsten.

Ist das die Kehrseite des medizinischen Fortschritts, dass man heute sehr lange mit einer Krankheit leben kann?

Nicht unbedingt. Es sollte in der Medizin ja nicht allein um die Langlebigkeit gehen, sondern um den Erhalt der Lebensqualität oder der Eigenständigkeit. Leider werden oft aufwändige Massnahmen ergriffen, die der Lebensqualität des Patienten nicht zuträglich sind. Die Frage nach dem Sinn gewisser medizinischer Massnahmen wird leider nicht immer gestellt oder ehrlich beantwortet.

Wie steht die Schweiz in Sachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im internationalen Vergleich da?

Wir stehen relativ gut da, ähnlich wie die bereits erwähnten südlichen Staaten Europas, und auf jeden Fall besser als viele nördliche Staaten.

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft?

Ich denke, dass wir künftig die vielen möglichen Massnahmen und Medikamente zur Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weniger im Giesskannenprinzip, sondern viel gezielter und kosteneffektiver einsetzen können, weil wir mehr über das individuelle Erkrankungsrisiko eines Menschen wissen werden.

Was sind künftig die grössten Herausforderungen für die Prävention in diesem Bereich?

Die grösste Herausforderung ist es, das Wissen über ein möglichst gesundes Leben an den Mann und an die Frau zu bringen und sie dazu zu motivieren, sich entsprechend zu verhalten. Die Schweizerische Herzstiftung hat den «Swiss Heart Coach» lanciert. Das ist eine Website, auf der man sein Herzerkrankungsrisiko errechnen kann und Tipps zu Risikominimierung erhält. Das ist ein gutes Beispiel für eine Motivations- und Umsetzungshilfe.

Was braucht es, um diese Herausforderung zu meistern?

Es braucht koordinierte Aktionen, es braucht die Unterstützung des Bundes für solche Aktionen, wie sie die Herzstiftung lanciert hat. Und es braucht vor alle neue, gute Ideen, wie man die Leute erfolgreich ansprechen kann ohne aufdringlich und besserwisserisch aufzutreten.

Das Rauchverhalten hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert: Es herrscht weitgehendes Rauchverbot in allen öffentlichen Räumen und Nichtrauchen wird immer mehr zum gesellschaftlichen Standard. In welchem anderen Bereich sehen Sie die Möglichkeit, ähnlich viel für die Volksgesundheit zu erreichen?

Wir sollten unsere gesamte Verkehrspolitik stärker auf die Körperkraft ausrichten und den Fussgänger- und Veloverkehr gegenüber dem motorisierten Verkehr konsequenter bevorteilen. Das wäre ein immenser Gewinn für die Förderung der Alltagsbewegung. Das ist die einzige Bewegungsförderung, die aus Public-Health-Sicht wirklich etwas bringt. Wer täglich zu Fuss oder mit dem Velo zur Arbeit geht, bewegt sich um ein Vielfaches mehr als jemand, der ein Fitness-Abo löst. In diesem Bereich stehen wir im internationalen Vergleich gar nicht gut da. Das sind uns beispielsweise die Niederländer oder die Dänen meilenweit voraus. Es gibt in der Schweiz immer noch viel zu wenige wirklich gute und ungefährliche Velowege, um nur ein Manko zu nennen. Um das zu ändern, braucht es mehr politischen Druck und ich denke, auch das Bundesamt für Gesundheit sollte hier seinen politischen Einfluss geltend machen.

Sind Sie zuversichtlich, was gesellschaftliche Wandlungsprozesse im Sinne der öffentlichen Gesundheit anbelangt?

Ja, es gibt immer wieder Anzeichen für positive Veränderungen. Dabei ist es die Aufgabe der Politik, darauf zu achten, dass das gesunde Leben nicht ein Privileg der oberen Schichten bleibt. Bildungsferne Schichten und die Migrationsbevölkerung sind in dieser Hinsicht immer noch schlechter gestellt. Das muss sich ändern. Alle sozialen Schichten müssen dieselben Chancen auf einen gesunden Lebensstil haben. Bis zu dieser Chancengleichheit ist es noch ein weiter Weg. Es reicht nicht, die schweizerischen Präventionsbotschaften einfach auf Türkisch oder Albanisch zu übersetzen. Es braucht eine eigene, dem kulturellen Hintergrund der Migrantinnen und Migranten angepasste Herangehensweise, um diese Zielgruppe erreichen.

Die Schweizerische Herzstiftung – aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag

Die Schweizerische Herzstiftung setzt sich mit Forschungsförderung und einer umfassenden Aufklärungsarbeit dafür ein, dass weniger Menschen an Herz-Kreislauf-Leiden erkranken oder dadurch behindert bleiben, Menschen nicht vorzeitig an Herzinfarkt oder Hirnschlag sterben und für Betroffene das Leben lebenswert bleibt. Die 1967 gegründete Schweizerische Herzstiftung ist eine unabhängige und von der Stiftung ZEWO zertifizierte gemeinnützige Organisation, die sich hauptsächlich aus Spenden finanziert.

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