Interview mit Alfred Künzler
Leiter Koordinationsstelle Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz
Welche Meilensteine wurden im Bereich psychische Gesundheit seit 2017 erreicht?
Nach den zwei Grundlagenberichten zur psychischen Gesundheit in der Schweiz (vom Dialog Nationale Gesundheitspolitik 2015 und von Gesundheitsförderung Schweiz 2016) wurde der Krankenkassen-Präventionszuschlag 2018 erhöht. Das war im doppelten Sinne eine kapitale Verbesserung: Für die Förderung der psychischen Gesundheit wurde explizit Geld erhoben, das schnell und wirksam eingesetzt wurde. Dadurch wurden viele gute Projekte möglich, bereits bekannte multipliziert. Dies innerhalb der Kantonalen Aktionsprogramme wie auch von NGO’s. Das ist sehr erfreulich.
Einige Erfolge möchte ich speziell hervorheben:
- Die beiden bereits etablierten nationalen Kampagnen zur psychischen Gesundheit (Wie geht’s dir? in der Deutschschweiz, santéPsy in der lateinischen Schweiz) gewannen mit dem neuen Geld nochmals deutlich an Impact.
- 2019 wurde die Orientierungsliste von Gesundheitsförderung Schweiz für bewährte Interventionen und Massnahmen auch für die psychische Gesundheit erweitert.
- Der
starke Ausbau und die Formalisierung der Prävention in der
Gesundheitsversorgung (PGV) trägt der psychischen Dimension Rechnung und verbessert die psychische Gesundheit in diesem Bereich der
Volkswirtschaft.
Das Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz arbeitet bei fast allen diesen
Projekten mit. Wir zählen mittlerweile über 300 Mitgliedorganisationen,
die alle Lebensabschnitte und viele Lebensbereiche bzw. Settings
abdecken. Diese Vernetzung ist wohl auch an sich schon ein Erfolg. Mit
sehr wenig Ressourcen organisieren wir aber jedes Jahr mehrere
Vernetzungsanlässe, z.B. den ersten Schweizer Patientenkongress 2018,
der Fachleute mit Betroffenen und Angehörigen zusammenbrachte.
2019 schliesslich fand erstmals eine Schweizer Mad Pride statt: In Genf
machten über 1000 Menschen bunt und laut auf die psychische Gesundheit
aufmerksam. Beide Veranstaltungen, Mad Pride und Patientenkongress,
wollen wir in kommenden Jahren etablieren.
Die nationalen Strategien NCD und Sucht fördern die Vernetzung und den Austausch. Wie konnten Sie davon profitieren?
Auch das Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz ist eine Vernetzungsorganisation. Insofern kommt uns entgegen, dass die Strategien die Vernetzung innerhalb des jeweiligen Themenfeldes stärken. Da wir dasselbe im Bereich psychische Gesundheit tun, arbeiten wir Hand in Hand und ergänzend zueinander.
Im organisierten Austausch mit dem Leitungsgremium NCD erhielten wir wertvolle Informationen aus erster Hand und konnten, wo nötig, spezifisch die psychische Perspektive einbringen.
Was wünschen Sie sich für die zweite Halbzeit der Strategien?
Eine weitere Verschmelzung der Bereiche Sucht und psychische Gesundheit – entsprechend der Logik, dass Sucht gemäss ICD eine psychische
Erkrankung ist. Zudem soll die psychische Gesundheit weiterhin in die
NCD-Tätigkeiten einbezogen werden – entsprechend der Logik, dass auch
psychische Krankheiten nicht übertragbare Krankheiten sind. Die
Strategieleitungen sollen sich weiter dafür einsetzen,
Gesundheitsförderung und Prävention im Rahmen von Gesundheit2030 und
auch sektorübergreifend zu stärken.
Beim
Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz haben wir eine multisektorielle
Trägerschaft; das scheint mir ein notwendiger Ansatz, wenn es um die
multifaktoriell bedingte psychische Gesundheit geht. Beim Körper ist das ja nicht viel anders!
Als Co-Präsident
von chronischkrank.ch habe ich einen weiteren Wunsch. Wir setzen uns für die psychischen Belange körperlich chronisch Kranker ein und möchten
somatische Behandler für psychische Begleiterscheinungen (Co-Morbidität) sensibilisieren und den Zugang Betroffener zu Psychotherapie
vereinfachen.