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«Der effektivste Weg führt über das Vertrauen»

Corona trifft sozial benachteiligte Personen stärker. Sans Papiers, Geflüchtete oder Sexarbeiterinnen beispielsweise haben in der Regel einen schlechteren Zugang zu Informationen und auch zur Impfung. Wie könnte man die Impfquote erhöhen? Welche Ansätze sind erfolgreich? Um die Chancengleichheit zu verbessern, lancierte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) mit Unterstützung des BAG ein «mobiles Covid-19-Angebot».

Sozial benachteiligte Menschen erkranken gemäss aktuellen Studien häufiger an Covid-19. Da sie oft mit Vorerkrankungen belastet sind, werden sie auch häufiger aufgrund schwerer Verläufe im Spital behandelt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits stehen diesen Menschen oft keine ihren Bedürfnissen entsprechenden Informationen zur Verfügung, beispielsweise zu den Vor- und Nachteilen von Impfstoffen. Andererseits haben sie meist höhere, administrative Hürden zu überwinden oder vertrauen vorhandenen Informationen nicht.

Chancengleicher Zugang für Alle

Um diese Personen besser zu erreichen, unterstützt das Bundesamt für Gesundheit seit Sommer 2021 ein Projekt des SRK mit dem Ziel eines «chancengleichen Zugangs zu Covid-19-Angeboten». In einem ersten Schritt wurde im September 2021 in den Kantonen eine Bestandsaufnahme aller bereits vorhandenen, niederschwelligen Covid-19-Angebote in den Bereichen Beratung, Impfen, Testen durchgeführt. Das Ergebnis war klar: Es gab Lücken beim Covid-19-Angebot für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei Menschen mit geringen Kenntnissen einer Landessprache. Die Erfahrungen aus den Kantonen deuteten darauf hin, dass gerade diese Menschen ein grosses Bedürfnis nach einem direkten Austausch mit Gesundheitsfachpersonen haben.

Sensibilisierungsworkshops und ein Kleinbus

Basierend auf diesen Erkenntnissen lancierte das SRK ein Pilotprojekt im Kanton Bern. In Kehrsatz, einer Vorortsgemeinde von Bern, versammelten sich im November 2021 mehr als ein Dutzend aus Eritrea eingewanderte Einwohnerinnen und Einwohner zu einem Sensibilisierungsworkshop, welcher das SRK zusammen mit public health services, einer Beratungsfirma in den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung, organisierte. Sie hörten wissenschaftlich fundierte Informationen zu Covid-19 von der einzigen aus Eritrea stammenden Ärztin der Schweiz. Ihr konnten sie all ihre Fragen stellen. In einem weiteren Workshop beantworteten Gesundheitsfachpersonen Fragen auf Deutsch und die Antworten wurden jeweils übersetzt. Nach den Veranstaltungen entschieden sich rund 30 Personen für eine erste Impfung im Kleinbus.

Für die SRK-Projektleiterin Andrea Feller waren diese Einsätze ein voller Erfolg: «Wir wussten ja nicht, wie viele Leute an die Workshops kommen würden und ob die Informationen wirklich Anklang finden würden. Die Zielgruppe wurde definitiv erreicht, was auch dem engen Kontakt mit der Gemeinde und den Schlüsselpersonen zu verdanken ist.»

Sprachlehrerin oder Fussball-Trainer als Türöffner

Bülent Kaya ist Projektleiter beim SRK und Experte für Migrationsthemen: «Benachteiligte Menschen erreicht man durch die Nähe zu ihnen. Der effektivste Weg führt über das Vertrauen. Dieses kann aufgebaut werden über Menschen, die einen engen Kontakt zur Zielgruppe haben oder selber Teil der Zielgruppe sind und einen gewissen Einfluss haben. Das kann beispielsweise die Sprachlehrerin sein, der Trainer des lokalen Fussballclubs oder der Leiter einer religiösen Gemeinschaft. Zudem gibt es Medien in der Schweiz, die in der Heimatsprache einiger Bevölkerungsgruppen berichten. Auch diese nutzen wir, um Gesundheitsinformationen zu verbreiten.»

Solche Schlüsselpersonen sind meist Menschen mit Migrationshintergrund. Sie sprechen die Sprache des Herkunftslandes, kennen kulturelle Hürden, verfügen über gute Kenntnisse einer Landessprache sowie über eine hohe Sozialkompetenz. Sie finden leicht Zugang zu Landsleuten.

In Kehrsatz haben die Schlüsselpersonen auch übers Handy Sprachnachrichten verschickt, denn mündliche Informationen verstehen auch Personen, die nicht lesen können oder Mühe haben, komplexe Texte zu verstehen. Als zusätzliches Informationsmittel entwickelte das SRK Infodossiers mit QR-Codes und Direktlinks auf Videos und Merkblätter zur Covid-19-Impfung. Solche Infodossiers sind in 16 Sprachen unter migesplus.ch öffentlich zugänglich.

Vernetzung als Erfolgsfaktor

Für das Pilotprojekt arbeitet das SRK Kanton Bern eng mit weiteren Organisationen zusammen: Der lokale Samariter-Verband stellt das medizinische Personal, xana care, ein Anbieter für medizinische Dienstleistungen, übernimmt die operative Leitung des mobilen Impfangebotes vor Ort und public health services verfügt über ein Netzwerk an Schlüsselpersonen und medizinischem Personal mit Sprachkenntnissen der Migrationsbevölkerung.

Wie geht es weiter?

Seit Mitte Februar touren die Kleinbusse nun durch den Kanton Neuenburg. Die Organisation der Einsätze vor Ort läuft über die Katastrophenhilfe des SRK. «Die Kolleginnen und Kollegen der Katastrophenhilfe haben einen enorm grossen Erfahrungsschatz von den vielen Einsätzen im Ausland. Davon können wir jetzt profitieren», sagt SRK-Projektleiterin Andrea Feller.

Lesen Sie diesen Artikel auch auf Italienisch und auf Tigrinya.

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Kontakt

Morgane Pochon
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Sektion Gesundheitliche Chancengleichheit

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