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Plakat Initiative «Kinder ohne Tabak»

«Wir brauchen einen starken Jugendschutz, weil sich die Industrie genau auf diese Gruppe stürzt»

Ausgabe Nr. 142
Dez. 2024
Tabakprävention in der Schweiz

Im Parlament habe die Tabakprävention aktuell einen schweren Stand, meinen Flavia Wasserfallen und Reto Wiesli im Gespräch: Die Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» stockt – und bei den neuen Nikotinprodukten hinkt die Regulierung hinterher.

Flavia Wasserfallen

Die Gesundheitspolitikerin ist in Hinterkappelen aufgewachsen und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Stadt Bern. Sie ist 2001 in die SP eingetreten, war von 2002 bis 2012 im Grossen Rat des Kantons Bern, dann von 2018 bis 2023 im Nationalrat. Seit Dezember 2023 ist Wasserfallen Ständerätin.

Reto Wiesli

Der Gründer und Partner der Polit- und Kommunikationsagentur polsan ist in der Ostschweiz aufgewachsen – und ist heute mit seiner Frau und drei Kindern in Freiburg zuhause. Er engagiert sich seit über 20 Jahren für die Prävention von Tabak, Alkohol und Krebs und führt das Sekretariat des Initiativvereins «Kinder ohne Tabak».

Wie kommt die Tabakprävention in der Schweiz voran?

Reto Wiesli: Im Schneckentempo.

Flavia Wasserfallen: Schleppend und sehr harzig. Es ist immer wieder ein grosser Kampf.

Wo harzt es?

Wasserfallen: Aufgrund der starken Präsenz der Tabakindustrie in der Schweiz und der aktuellen politischen Mehrheiten im Parlament hat die Tabakprävention einen schweren Stand.

Wiesli: Ich bin seit 2001 in der Tabakprävention involviert. Bisher hat sich gezeigt, dass auf jeden Erfolg, den wir errungen haben, eine Gegenreaktion und ein Rückschlag folgen. Als zum Beispiel 2003 das Tabaksteuergesetz revidiert wurde, konnten wir einen Tabakpräventionsfonds einrichten. Doch dann kam gleich die Retourkutsche mit einer massiven Streichung des Budgets im BAG für alles, was Prävention anbelangt. Auch beim Passivrauchschutz folgte die Entwicklung diesem Muster. Vor zwei Jahren waren wir mit der Initiative zum Schutz der Kinder vor Tabak erfolgreich, dafür sind wir jetzt wieder in der Defensive.

Vor zwanzig Jahren gab es noch Raucherabteile in den Zügen, seither hat sich einiges verändert.

Wasserfallen: Ja, sicher, in der Gesellschaft hat zum Teil ein Umdenken stattgefunden. Aber in der Schweiz stagniert die Tabakprävalenz im internationalen Vergleich auf konstant hohem Niveau. Und der Tabakkonsum fordert immer noch jedes Jahr 9500 Tote. Er löst zwei Milliarden Gesundheitskosten aus, dazu kommt eine weitere Milliarde an volkswirtschaftlichen Kosten. Ausserdem: Wir kämpfen gegen die rasante Verbreitung von neuen Nikotinprodukten unter Jugendlichen. Dass die Tabakindustrie immer neue und «gesündere» Produkte auf den Markt bringt, kennen wir schon lange. Das hat mit den Filtern in den Zigaretten angefangen, dann kamen die «Light»-Zigaretten. Und jetzt sind die E-Dampfer mit Kiwi- oder Vanille-Aromen da, die Kinder und Jugendliche sehr früh in eine Nikotinabhängigkeit bringen. Ich mache mir grosse Sorgen. Auch weil wir keine Zahlen haben, wie stark die neuen Produkte verbreitet sind. Wir brauchen dringend ein Nikotin- und Tabakmonitoring.

Wiesli: Aber das Suchtmonitoring des BAG ist ja bei der letzten Budgetkürzung gekappt worden. Übriggeblieben ist noch ein Restmonitoring, das MonAM. Aktuell ist es schwierig, im Parlament Mehrheiten für Präventionsmassnahmen zu finden. Nur bei den Wegwerf-Puffs ist ein Konsens ersichtlich. Das sind Einweg-Vape-Geräte, mit Batterien drin, die nach dem Gebrauch weggeschmissen werden. Interessanterweise konnten wir für ein Verbot solcher Geräte eine Koalition mit Umweltschützerinnen und -schützern schmieden, die sich gegen die Anhäufung von Elektroschrott einsetzen. Deshalb hat das Verbot primär nichts mit Prävention zu tun.

Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit ist es doch besser, wenn jetzt mehr gedampft wird, statt wie früher geraucht?

Wasserfallen: Im Vergleich zu den klassischen Zigaretten haben die neuen Produkte ein viel grösseres Potenzial, zu einem Massenprodukt zu werden. Früher musste man sich auf dem Schulareal hinter einer Hecke verstecken, um zu rauchen. Und danach stank man. Heute werde ich von besorgten Lehrpersonen angeschrieben, die von Zwölfjährigen berichten, die es nicht bis zur grossen Pause schaffen, ohne an ihren leuchtenden Stiften zu ziehen. Das ist schon krass. Und weil Dampfen geruchsneutral ist, lässt sich der Konsum einfach verbergen.

Wiesli: Die E-Zigaretten sind ein geniales Instrument für die Pflege der Nikotinsucht. In einigen Flüssigkeiten ist deutlich mehr Nikotin enthalten als in den Zigaretten, die neuen Produkte sind wenig reguliert und fallen ausnahmslos durch die Kontrollen. Das ist erschreckend. Für jeden neuen Snack müssen die Hersteller nachweisen, dass er gesundheitsverträglich ist, aber bei den neuen Nikotinprodukten schaut das Parlament weg und die Behörden intervenieren kaum. Dabei sind das Stoffe, die inhaliert und zu sich genommen werden – und deshalb stark reguliert sein müssten. 

Wie sieht es bei der Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» aus?

Wasserfallen: Im Initiativtext war eindeutig formuliert, dass zum Beispiel das Sponsoring verboten ist bei Anlässen, die auch für Kinder und Jugendliche zugänglich sind. Und die Bevölkerung hat dazu «Ja» gesagt. Aber jetzt widersetzen sich viele meiner Ratskolleginnen und -kollegen dem Volksentscheid. Und gewähren in der aktuellen Revision des Tabakproduktegesetzes grosszügige Ausnahmen, die nicht verfassungskonform sind.

Wiesli: Wir haben die Initiative ergriffen, um Kinder und Jugendliche gesetzlich vor Tabakwerbung zu schützen. In der Kampagne haben wir klar gesagt, dass alles abgestellt werden muss, was Kinder und Jugendliche erreichen kann. Diese Botschaft war auch für die Gegner klar, als sie den Teufel – also das Werbeverbot von Cervelats und Rüeblitorten – an die Wand gemalt haben. Folgerichtig hat der Bundesrat in seiner Botschaft eine saubere Umsetzung der Initiative vorgeschlagen. Jetzt wird sie im Parlament auseinandergenommen und relativiert. Es ist ein Trauerspiel.

Wasserfallen: Die Tabakindustrie macht es sehr geschickt. Sie tritt in der Öffentlichkeit nicht als Philip Morris, British American Tobacco oder Swiss Cigarette auf. Stattdessen haben die Unternehmen eine Plattform gegründet, die «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Präventionspolitik», in der unverdächtige Akteure wie die Bäcker dabei sind.

Wieso machen die Bäcker in dieser Plattform mit?

Wiesli: Weil die Gegner der Tabakprävention Schreckgespenster heraufbeschwören, was als Nächstes reguliert wird. Sie machen den Bäckern Angst, dass wir ihnen das Gipfeli, die Butter und den Zucker wegnehmen. Und sie haben auch die Süssgetränkeindustrie ins Boot geholt, sich also potente Unterstützer organisiert.

Gibt es auch Lichtblicke?

Wasserfallen: Ja, grundsätzlich sind alle Kontrollinstrumente schon da, wir müssen nichts mehr neu erfinden, sondern dafür sorgen, dass sie auch konsequent angewendet werden. Zudem sind wir in der «Allianz Gesunde Schweiz» gut vernetzt. Die Allianz vereint Gesundheitsligen, Jugendverbände, Ärztinnen und Ärzte sowie Präventionsfachleute, die sehr viel Wissen und Engagement mitbringen. Und in der Vergangenheit schon bewiesen haben, dass sie Geduld und einen langen Atem haben. Irgendwann schlägt das Pendel in der Politik wieder in die andere Richtung.

Wiesli: Wir haben die Allianz vor knapp fünfzehn Jahren gegründet, um das Präventionsgesetz zu unterstützen. Das Gesetz ist zwar gescheitert, aber das Netzwerk ist bestehen geblieben und immer noch sehr wertvoll. Ausserdem gibt es im Tabakproduktegesetz punktuelle Verbesserungen. Zum Beispiel wurde der Verkauf an Minderjährige per 1. Oktober schweizweit verboten, jetzt sind endlich auch alle Kantone dazu verpflichtet, Mindestalterskontrollen durchzuführen. Aber des Pudels Kern liegt in der Tabakwerbung. In diesem Bereich wartet noch viel intensive Arbeit auf uns.

Wasserfallen: Wir brauchen einen starken Jugendschutz, weil sich die Industrie genau auf diese Gruppe stürzt. Auf den elektronischen Plattformen verbreiten Influencerinnen und Influencer Werbung, die genau auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten ist.

Wiesli: Werbetechnisch gehören solche Kampagnen zu den besten, die es gibt. Die Tabakindustrie kann sich das auch leisten, weil ihr Profit unendlich gross ist. Die Industrie hat früher schon mit Zigaretten extrem viel Geld gemacht. Heute erzielt sie mit den neuen Produkten, die keinen Tabak, sondern nur Nikotin enthalten, noch viel grössere Margen, auch weil sie bis soeben nicht einmal Tabaksteuer bezahlen mussten.

Wasserfallen: Das Perfide ist, dass uns die neuen Nikotinprodukte zu Beginn als Ausstiegsmittel oder gesündere Alternative für erwachsene starke Raucher verkauft worden sind. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, aber in der Realität richten sich die Produkte von ihrer Aufmachung und Geschmackswahl her nicht an 55-jährige Kettenraucher, sondern an meine 16-jährige Tochter.

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