«Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen»
Die Umweltmedizinerin und Sachbuchautorin Claudia Traidl-Hoffmann im Interview über die Gesundheitsfolgen des Klimawandels, was wir ändern sollten und was Gesundheitsförderung dazu beitragen kann.
Frau Traidl-Hoffmann, in Ihrem 2021 erschienenen Buch „Überhitzt“ beschreiben Sie die dramatischen Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was sind die wichtigsten?
Die Folgen des Klimawandels können all unsere Organsysteme betreffen – vom Herz-Kreislauf-System über das Atmungssystem bis zum Stoffwechsel. Die Zunahme von Hitzewellen wirkt sich besonders gravierend aus. Wir hatten etwa in Deutschland schon 2003 geschätzte 7.600 Hitzetote, und es waren nicht nur vulnerable Gruppen wie Ältere, Kleinkinder und chronisch Kranke betroffen, sondern auch gesunde Erwachsene.
Mit der weiteren Erwärmung werden Hitzewellen und Tropennächte, bei denen es auch nachts nicht unter 25 Grad Celsius abkühlt, in Mitteleuropa immer häufiger auftreten. Dazu kommt, dass vorhandene Pollen aggressiver werden und sich neue, wie etwa jene von Ambrosia, zunehmend weiter verbreiten. Das kann Allergien verstärken oder auslösen. Neue Arten von Mücken, Zecken und anderen Krankheitsüberträgern werden heimisch. Krankheiten wie die Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME oder die Lyme-Borreliose können dadurch häufiger werden und andere – wie das Dengue-Fieber, das West-Nil-Fieber oder die Leishmaniose – auch in unseren Breiten zunehmend auftreten. Zudem ist inzwischen gut belegt, dass sich der Klimawandel direkt und indirekt negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt.

Bei der Klimakonferenz in Paris haben die teilnehmenden knapp 200 Länder 2015 beschlossen, die durchschnittliche Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mit den Massnahmen, die bislang tatsächlich ergriffen wurden, müssen wir Fachleuten zufolge jedoch mit einem Temperaturanstieg um 2,5 bis 2,9 Grad rechnen. Was wären voraussichtlich die Konsequenzen?
In Mitteleuropa würden sich die bislang schon zu beobachtenden negativen Gesundheitsfolgen vervielfachen. Andere Regionen der Welt sind jetzt schon durch Dürrekatastrophen infolge des Klimawandels teilweise unbewohnbar geworden. Bei einem weiteren Anstieg in Richtung von zwei, zweieinhalb oder sogar drei Grad Celsius könnten Hunderte Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden. Es müssen also rasch spürbare Gegenmaßnahmen getroffen werden. In letzter Konsequenz geht es dabei nicht um die Gesundheit Einzelner, sondern um das Überleben der Menschheit. So wie wir derzeit leben und wirtschaften, können wir nicht weitermachen. Wir sägen gewissermassen den Ast ab, auf dem wir sitzen. Das muss auch in der Politik und der Bevölkerung noch besser bewusst gemacht werden.
«So wie wir derzeit leben und wirtschaften, können wir nicht weitermachen.»
Was sollten wir tun?
Wir benötigen eine Transformation der Gesellschaften weltweit, die unter anderem auch eine Aufwertung der Rolle von Frauen umfassen sollte. Und, wir müssen eine Ökonomie etablieren, die nicht länger ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichtet ist. Das sollte auch eine Form der volkswirtschaftlichen Kostenwahrheit umfassen, in der die Kosten durch Umweltschäden den Verursachern auch im tatsächlichen Ausmass angelastet werden. Ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung wäre zum Beispiel, die Subventionen für klimaschädliche Technologien und Produkte abzuschaffen, die derzeit vielfach noch vergeben werden.
«Ein wichtiger erster Schritt wäre zum Beispiel, die Subventionen für klimaschädliche Technologien und Produkte abzuschaffen.»
Die COVID-19-Pandemie wurde von manchen – wie etwa Klaus Schwab, dem Direktor des Weltwirtschaftsforums – auch als ein Einschnitt betrachtet, der die Chance für einen besseren oder auch gesünderen Neuanfang geboten hätte. Teilen Sie diesen Optimismus?
Der kurzfristige Rückgang des weltweiten Schadstoffausstosses während der COVID-19-Pandemie ist schon wieder Vergangenheit. Dennoch teile ich diesen Optimismus, weil ich grundsätzlich ein optimistischer Mensch bin. Denn während der COVID-19-Pandemie haben wir auch erlebt, was möglich ist und welche Einschränkungen in Kauf genommen werden, sobald erkannt wurde, dass diese notwendig sind. Das sollte und könnte sich also auch auf Massnahmen gegen den Klimawandel, das Artensterben und den Raubbau an der Natur insgesamt übertragen lassen.
Steht die Entstehung der COVID-19-Pandemie tatsächlich damit in Zusammenhang, dass wir die natürlichen Grenzen des Planeten zu wenig respektieren?
Für das HIV-Virus gilt das inzwischen als gesichert und für das SARS-CoV-2-Virus als wahrscheinlich. 1954 waren noch 66 Prozent der Erde Wildnis, heute sind es nur noch 35 Prozent. Diese Einschränkung des natürlichen Lebensraumes von Wildtieren hat dazu geführt, dass sich die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, dass Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden. Die sieben lebensbedrohenden Seuchen, an denen seit der Spanischen Grippe 50 Millionen Menschen gestorben sind, sind aufgetaucht, weil wir zu achtlos mit der Natur umgehen. Das hat eine Auswertung von mehr als 600 wissenschaftlichen Arbeiten gezeigt.
Was kann Gesundheitsförderung und speziell auch Betriebliche Gesundheitsförderung beitragen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken? Ist das nicht bestenfalls nur ein „Tropfen auf den heissen Stein“?
Ganz im Gegenteil, jeder Beitrag ist wichtig und jener von gesundheitsförderlichen Massnahmen – in Betrieben und ebenso ausserhalb von diesen – kann erheblich sein. Aktive Mobilität durch Radfahren oder Zufussgehen tut nicht nur unserer Gesundheit gut, sondern senkt zudem die CO2-Belastung durch den Individualverkehr. Dasselbe gilt für ausgewogene Ernährung mit geringem oder keinem Anteil von Fleisch oder anderen tierischen Lebensmitteln. Sie fördert unser Wohlbefinden und reduziert den Schadstoffaustausch, der bei der Produktion tierischer Lebensmittel besonders hoch ist. Insgesamt betrachtet gilt: Alles was wir für das Klima und unsere Umwelt tun, tun wir letztlich für uns selbst und unsere Gesundheit – und für jene unserer Kinder.
Zur Person
Claudia Traidl-Hoffmann wurde 1970 geboren und hat an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen studiert und promoviert. 2013 wurde sie auf den Lehrstuhl für Umweltmedizin an der Technischen Universität (TU) München berufen, der 2021 an die noch junge Medizinische Fakultät der Universität Augsburg transferiert wurde. Seit Oktober 2014 leitet sie als Chefärztin die Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Seit 2015 ist sie auch Direktorin des Institutes für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich. Im Dezember 2022 wurde sie in den Wissenschaftlichen Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) berufen. Claudia Traidl-Hoffmann gilt als eine der international führenden Umweltmedizinerinnen und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München. 2021 erschien ihr Buch „Überhitzt“, das sie gemeinsam mit der Wissenschaftsjournalistin Katja Trippel verfasst hat und in dem es um die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit geht.
Das Interview mit Claudia Traidl-Hoffmann wurde von Dietmar Schobel vom Redaktionsbüro teamword in Wien geführt und ist erstmals im Magazin "Voneinander Lernen" vom APRIL 2023 erschienen, das anlässlich der Dreiländertaung Betriebliche Gesundheitsförderung 2023 in Rorschach in der Schweiz publiziert wurde.