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Alkoholpolitik in den Kantonen

Edition No. 79
Feb. 2010
National prevention law

5 Fragen an Reno Sami, Verantwortlicher für Politik, Kommunikation und Kampagnen beim Fachverband Sucht. Er leitet zudem die «Kompetenzstelle für alkoholpolitisches Kommunikations- und Schnittstellenmanagement in der Deutschschweiz». Diese stellt die Koordination der Austauschprozesse zwischen Fachwelt und Praxis, Bund, Kantonen und Städten sicher und bietet unter anderem Unterstützung bei der Umsetzung einer kohärenten Alkoholpolitik.

Können Sie kurz die aktuelle Alkoholpolitik in den Kantonen umreissen? Was wird wo getan?

Die Online-Alkohol-Kantonskarte auf der Website des Bundesamts für Gesundheit zeigt den Stand der Gesetzgebung in den verschiedenen Kantonen im Bereich Alkoholpolitik. Da findet sich momentan folgendes Bild: Werbeeinschränkungen bestehen in AR, BE, BL, BS, FR, GE, GR, NE, SG, TG, UR, VD, ZG und ZH. Über eine gesetzliche Bestimmung betreffend die Preisgestaltung und das Angebot von nicht alkoholischen Getränken im Vergleich zu alkoholischen Getränken (Sirup-Artikel) verfügen alle Kantone ausser GL, SZ, TG und ZG. Das Weitergabeverbot haben BE und ZH eingeführt, geplant ist es in BS, BL, SG und SZ. Testkäufe werden in allen Kantonen ausser in AI, FR, GE, GL, JU, NE und SZ durchgeführt. Zeitliche Verkaufseinschränkungen bestehen in BS, GE und NE. Örtliche Verkaufseinschränkungen bestehen überall ausser in AR, FR, GL, NE, TG und VS. In BE, FR und GE ist ein Jugendschutzkonzept für eine Betriebsbewilligung obligatorisch. Im Tessin ist der Kauf von Alkohol generell erst ab 18 Jahren erlaubt. Es gibt nicht den Musterkanton, der kohärent und umfassend präventionsorientierte Alkoholpolitik umsetzt. In den verschiedenen Kantonen gibt es jedoch verschiedene «Musterelemente».

Stichwort Testkäufe: Ist es rechtmässig, Jugendliche als Käufer einzuspannen, um zu überprüfen, ob sich Verkaufsstellen an Jugendschutzgesetze halten?

Ein juristisches Gutachten von Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch bejaht diese Frage. Das Kantonsgericht Baselland hingegen verneinte diese Frage Anfang 2009 mit der Begründung, es handle sich bei solchen Testkäufen um verdeckte Ermittlungen. Auf den Rekurs der Baselbieter Staatsanwaltschaft ist das Bundesgericht aus formalen Gründen nicht eingetreten, sodass juristisch nach wie vor Unklarheit besteht. Tatsache ist, dass Testkäufe ein wirksames Präventionsmittel sind. Wir hoffen, dass im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die gebrannten Wasser politisch eine klare Rechtsgrundlage geschaffen wird, damit der leidige Juristenstreit ein Ende hat.

Heute dürfen Jugendliche erst ab 16 Jahren Bier und Wein und erst ab 18 Jahren Spirituosen erwerben. Im Alltag wird dieses Verbot umgangen, indem Ältere für Jüngere Alkohol einkaufen. Zürich und Bern haben deshalb das Weitergabeverbot eingeführt. Wie sind die Erfahrungen?

Norbert Esseiva von der Orts- und Gewerbepolizei Bern ist froh um den neuen Artikel, da die Polizei damit eine konkrete Handhabe gegen die Weitergabe von Alkohol oder Tabak an Kinder und unter 16- bzw. 18-jährige Jugendliche hat. Es gibt auch mehrere Rückmeldungen von Geschäften und Tankstellenpersonal, die diese gesetzliche Grundlage begrüssen. Sie können sich darauf stützen, wenn sie vermuten, dass der Alkohol für Minderjährige gekauft wird, oder wenn ihnen eine Person bereits bekannt ist. Als besonders wichtig wird die abschreckende Wirkung dieses Gesetzes auf erwachsene Personen erachtet, die Alkohol kaufen und an Minderjährige weiterverkaufen oder verschenken wollen. Im Schadensfall eines Minderjährigen, z.B. bei einem Moped-Unfall oder einer Spitaleinlieferung wegen Alkoholvergiftung, kann auf jene Person Regress genommen werden, die den Alkohol weitergegeben hat. Allein das Wissen darum wird viele Erwachsene von diesem Vorgehen abhalten. Die Verzeigungen haben sich zudem auch unter den Jugendlichen herumgesprochen und wirken abschreckend.

Ein wichtiger Punkt ist die innerkantonale Zusammenarbeit. Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?

Interessant ist zum Beispiel die Zusammenarbeit von Polizei, Vormundschaftsbehörde und Suchtpräventionsstelle in Uster. Die Polizei meldet aufgegriffene Jugendliche, die nachts betrunken unterwegs sind, der Vormundschaftsbehörde. Diese faxt einen Abklärungsauftrag an die Suchtpräventionsstelle, die Kontakt mit den Eltern und dem oder der Jugendlichen aufnimmt und das weitere Vorgehen abklärt. Dieses meldet sie umgehend der Vormundschaftsbehörde und leitet gegebenenfalls eine Betreuung bei den üblichen Stellen ein. Die Suchtpräventionsstelle behält keine Unterlagen.

Wie sieht es auf Bundesebene und in der EU mit der Alkohol­politik aus?

Auf Bundesebene befinden sich sowohl das Lebensmittel- als auch das Alkoholgesetz in Revision. Die Suchtfachleute engagieren sich stark in der Vernehm­lassung. Leider gab das Parlament am 24. September 2009 die Alkoholwerbung am Fernsehen frei. Damit ist klar, dass in Zukunft die Werbung für Bier und Wein am Fernsehen möglich sein wird. Was die EU betrifft: Die schwedische Regierung, die derzeit den EU-Vorsitz hält, will den Alkoholmissbrauch in Europa bekämpfen. Zur Debatte stehen unter anderem Steuererhöhungen auf alkoholische Getränke. Die Tendenz weist auch hier klar in Richtung einer Stärkung verhältnispräventiver Massnahmen.

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