Sprunglinks

zurück

«Als spectra das Licht der Welt erblickte, ging es um Sex and Crime, also HIV und Heroin»

Ausgabe Nr. 109
Mai. 2015
Integrierte Suchthilfe

Fünf Fragen an Christoph Hoigné. Im Sommer feiert die Zeitschrift «spectra» ihren 20. Geburtstag. Der Mann, der im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) von der ersten Stunde an für die Redaktion und die Produktion verantwortlich zeichnet, ist Christoph Hoigné, 48, Journalist und Fotograf aus Bern. Wie sieht er die Vergangenheit und die Zukunft von «spectra»?

Wie haben Sie die Entwicklungen in der Gesundheitspolitik der vergangenen 20 Jahre wahrgenommen?  

Als ich 1993 unter Peter Frehner bei der «Fachinformation Medizin» das Konzept für «spectra» erarbeitete, gab es zwei Schreckgespenster: Aids und Heroin. Beide raubten den Menschen den Schlaf, und es ging dabei buchstäblich um Sex and Crime. Aids bekamen dem Klischee nach diejenigen, die dem zügellosen Sex frönten, Heroin war die verbotene Droge schlechthin. Auch ich habe in den 90er-Jahren Freunde verloren, die daran starben. Heute sind beide Themen auf dem Sorgenbaromenter – zu Recht – weit nach unten gerutscht.  

Kurz bevor in Zürich das erste Zentrum zur Heroinverschreibung an schwer Drogenabhängige eröffnet wurde, machte ich dort Fotos. Harmlose Schwarzweissbilder, auf denen Teammitglieder die Drogenabhängigen mimten. Aber das Thema hatte so viel Zündstoff, dass der BAG-Direktor Thomas Zeltner zusammen mit Gesundheitsministerin Ruth Dreifuss eine Auswahl der publizierbaren Bilder vornahm. Die Fotos waren so begehrt, dass eines Tages plötzlich ein aus Hamburg angereister Reporter des «Stern» in meinem Büro stand und lässig eine Tausenfrankennote aus der Brusttasche seines Hawaiishemdes zog, falls ich ihm die Bilder exklusiv überlassen würde ... (Die tausend blieben im Hemd – und die Fotos in meiner  Schublade).  

Zum Glück entwickelt sich die Rolle des staatlichen Gesundheitswesens vom Brandlöscher zur weitsichtigen Vorausplanung. Nichtübertragbare Krankheiten, psychische Gesundheit oder Bewegungsförderung beeinflussen das Leben von wesentlich mehr Menschen als Heroin oder HIV – aber diese Themen sind weniger spektakulär und versetzen die Bevölkerung nicht in Aufruhr.      

Erfreulich und vielversprechend ist es, wenn es gelingt, neue, gesündere Lebensformen und -normen zu festigen. Dank STOP AIDS ist Safer Sex seit einer Generation selbstverständlich. Dank Prävention und einer Reihe flankierender Massnahmen konnte das Nichtrauchen als neue Norm Fuss fassen – und alle atmen auf! Ermutigend finde ich auch die vielen Zeichen, dass die Zusammenhänge zwischen Armut, Migration, Bildung und Gesundheit unter die Lupe genommen werden. Gesundheit geht uns alle an, nicht nur das Gesundheitswesen.  

Wie hat sich die Arbeitsweise des BAG verändert, wie geht es auf die Gesundheitsprobleme ein?  

Ich muss vorausschicken, dass ich nur Gesundheitsförderung  und Prävention kenne, nicht aber die anderen – und den letzten Jahren erheblich erweiterten Aufgabenbereiche des Amtes. Prävention ist oft das vernachlässigte Stiefkind – da kämpft auch das BAG immer wieder gegen Windmühlen. Das Erfolgsrezept besteht aus einem guten Mix von Information, Ermunterung, Ermahnung und gesetzlichen Leitplanken. Und sind die Politiker für die Argumente der Volksgesundheit taub, überzeugt sie der schmerzhafte Druck aufs Portemonnaie: Was kostet eine Präventionskampagne im Vergleich zur lebenslangen Behandlung eines HIV-positiven Menschen? Welche Folgekosten von Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel muss die Wirtschaft tragen, weil die Menschen ausfallen und krank werden?   Immer wieder beeindruckt hat mich die Zusammenarbeit mit Menschen – innerhalb und ausserhalb des Amtes ­–, die die Sache der Prävention zu ihrer eigenen machen. Dass sie sich – auch wenn sie von politischen Gegenspielern und Massenmedien als «Gesundheitstaliban», «Genussverbieter» oder «Spielverderber» verunglimpft werden – nicht haben einschüchtern und entmutigen lassen.  

Was sich im BAG als Trend abzeichnet und bestimmt erfolgversprechend ist, um die immer komplexer werdenden Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern: Raus aus den Schubladen – hin zu transversalem und interdisziplinärem Denken!  

Welche verschiedenen Phasen hat die Zeitschrift «spectra» in den 20 Jahren durchlaufen?  

Die Aufgabe, aus dem Nichts eine Zeitschrift zu konzipieren und eigenverantwortlich zu produzieren, war für mich als blutjungen Journalisten eine Riesenchance. Nie hätte ich mir träumen lasse, diese Aufgabe für eine so lange Zeit anvertraut zu bekommen.   In 20 Jahren hat sich formal einiges geändert: Wir kreierten dreimal ein neues Layout, das 1995 brandneue Logo und Erscheinungsbild des BAG verschwanden wieder, dafür kam weisses Papier statt Bundesgrau, und seit Kurzem haben wir durchgehend farbige Bilder. Wir führten neue journalistische Gefässe wie das «Fünf Fragen»-Interview ein. Die Zeitschrift erschien erst viermal, dann sechsmal und nun wieder viermal jährlich. Und im Februar 2015 erfolgte der eigentliche Quantensprung in die topmoderne Medienwelt: «spectra» wurde erweitert um das neue Online-Magazin «spectra online».  

Inhaltlich sind die wichtigsten Grundsätze unangetastet: Mit dem Segen des damaligen Direktors sind wir mit einer gewissen Narrenfreiheit gestartet – und konnten diese beibehalten. Dazu gehört beispielsweise, dass im «Forum», in Interviews und Streitgesprächen auch Stimmen von Persönlichkeiten Platz finden, die sich nicht unbedingt mit der offiziellen Amtsmeinung decken. Das ist eine wichtige Zutat zum Erfolgsrezept von «spectra», ein Grund, weshalb die Zeitschrift nicht so trocken daherkommt und viel Aufmerksamkeit und Goodwill geniesst. Eine Entscheidung, die mutig und richtig war und auch von der heutigen Direktion unter Pascal Strupler weiter getragen wird. Konstanz und Kontinuität prägen das Produktionsteam von «spectra»: Redaktionsleiter Adrian Kammer, Redaktorin Rita Steinauer, Grafiker Hansi Lebrecht und die Übersetzer – Marie-Françoise Jung-Moiroud und BMP Basel – sind seit vielen Jahren am Werk.   

Welcher Artikel oder welcher Interviewpartner ist ihnen besonders in Erinnerung geblieben?  

Ohne lange nachzudenken, kommen mir Reportagen über «Nez Rouge» in einer Neujahrsnacht um die Jahrtausendwende, in verschiedenen Gefängnissen, in der offenen Drogenszene, bei Turnprogrammen für Kinder aus Migrationsfamilien oder in einem riesigen Filmstudio in London, wo ein neuer STOP AIDS-Spot gedreht wurde, in den Sinn. Neugier ist bei mir – wie bei den meisten Journalisten – eine wichtige Triebfeder. Also hinterliessen Begegnungen mit Menschen die lebendigsten Erinnerungen. Ein Besuch bei alt Bundesrat Pascal Couchepin in Martigny, der uns seine reifen Aprikosen kosten liess und verriet, wie man verhindert, dass auf den Kieswegen Unkraut wachse. Ein Gespräch mit dem legendären Komiker Emil Steinberger und seiner Frau Niccel in der Künstlergarderobe. Dieses Interview schlug die Brücke zwischen meiner journalistische Arbeit und der Tätigkeit als Leiter des Kleintheaters La Cappella – und verband so quasi meine beiden Berufsleben.  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von «spectra»?  

«spectra» soll auch in Zukunft das können und dürfen, was die von der schnellen Aktualität oder dem schönen Zeitgeist getriebenen Medien nicht tun: Themen über längere Zeit mit sorgfältiger Berichterstattung begleiten und ihren Hintergrund ausleuchten. Es wäre schön, wenn es uns gelänge, den einen oder anderen Impuls zu setzen, Fachleute, Verantwortungsträger und weitere Kreise für die vielen Facetten von Gesundheitsförderung und Prävention zu interessieren. Auch möchten wir neue Kreise ansprechen und uns in kleinen Schritten weiter öffnen für weitere Themenbereiche des BAG und seiner Partner. Für die tägliche Arbeit wünsche ich mir eine engagierte Redaktionskommission und quer durchs Amt einen offenen Geist für die Möglichkeiten und Chancen crossmedialer Kommunikation, die uns seit der Lancierung von «spectra online» offenstehen.   

Nach oben

Unsere Website verwendet Cookies. So können wir Ihnen das ideale Nutzererlebnis bieten. Mit der weiteren Nutzung unserer Website erklären Sie sich mit unseren Datenschutzbestimmungen einverstanden. Mehr…

OK