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«Das Gesetz ist schliesslich über die Ausgabenbremse gestolpert, obwohl der Gesetzestext selber eine Mehrheit gefunden hat.»

Ausgabe Nr. 95
Nov. 2012
Internet und Gefährdung

5 Fragen an Felix Gutzwiller. nde September ist das geplante Präventionsgesetz knapp, aber endgültig gescheitert – der Ständerat weigerte sich, die dafür nötige Ausgabenbremse (zur Neuverteilung der Gelder) zu lösen. Die Gegner des Präventionsgesetzes befürchteten neue Vorschriften, zunehmende staatliche Bevormundung und einen Verlust der Kompetenzen der Kantone. Wir fragten den Medizinprofessor, Präventionsexperten und Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller nach seiner Einschätzung der Hintergründe.

Herr Ständerat Gutzwiller, was bedeutet dieses Abstimmungsergebnis für Sie?

Es ist ausserordentlich bedauerlich, dass es so knapp nicht gereicht hat. Nach einem ersten gescheiterten Anlauf in den 70er-/80er-Jahren ist das nun das zweite Mal, dass es nicht gelungen ist, die Gesundheitsförderung und die Prävention gesetzlich besser zu positionieren.

Was gab den Ausschlag, dass sich schliesslich eine Mehrheit gegen das Gesetz durchsetzen konnte?

Es gab in der achtjährigen Entwicklungsgeschichte dieses Gesetzes zwei Hauptvorbehalte. Der eine hat mit föderalistischen Ängsten zu tun («trotz positivem Votum der schweizerischen Konferenz der Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK waren die kleineren Kantone immer dagegen»), der andere mit diffusen Befürchtungen, dass mit diesem Gesetz «zunehmende staatliche Regeln und Verbote» möglich würden, bis hin zur Normierung individueller Lebensstile – das verordnete «Menu fédéral» sozusagen. Zudem wurde die gegnerische Allianz «für eine massvolle Prävention» viel zu wenig hinterfragt – auch von den Medien. Diese Allianz hat geschickt kaschiert, dass die Hauptgegnerschaft aus den Bereichen Zigarettenhandel, Gastronomie sowie Gewerbeverband kam, mit einer doch klaren Interessenlage. Schliesslich hat auch – unüblich für den Ständerat – in der Schlussphase keine faktenbasierte Argumentation mehr stattgefunden. Das Gesetz ist schliesslich über die Ausgabenbremse gestolpert, obwohl der Gesetzestext selber eine Mehrheit gefunden hatte. Paradoxerweise haben die Gegner damit dafür gesorgt, dass rund 7 Millionen Franken, die eigentlich für den Transfer zur Gesundheitsförderung Schweiz vorgesehen waren beim Bundesamt für Gesundheit verbleiben. Hätte man es also ernst gemeint mit der Argumentation, dass gewisse Kampagnen weg vom Bund gehen sollten, dann hätte man sie erst recht, wie vorgesehen, der Gesundheitsförderung Schweiz überantworten müssen.

Woran liegt es, dass die Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit im bürgerlichen Lager auf so grosses Unverständnis stiess?

Noch in der Einigungskonferenz argumentierte ein Kollege, dass es im Kern in diesem Gesetz «um soziale Umverteilung» gehe. Das ist ein groteskes Missverständnis. Angesichts der Tatsache, dass auch in der Schweiz zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Bevölkerungsschichten deutliche Unterschiede in der Lebenserwartung nachgewiesen sind, gehört es – auch aus ethischer Sicht – zu den wichtigen Aufgaben der öffentlichen Hand, zur gesundheitlichen Chancengleichheit beizutragen.

Welche Konsequenzen hat das Abstimmungsresultat für die zukünftige Präventionsarbeit in der Schweiz?

Sicher müssen auch wir Präventionsfachleute uns fragen, wo wir allenfalls Anlass zu Kritik und Widerstand gegeben haben. Im Grundsatz geht es aber künftig darum, einige der wichtigen Ziele des abgelehnten Gesetzes weiterzuverfolgen. So können sicher in der Koordination verschiedener Präventionsaktivitäten zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und privaten Gesundheitsligen weitere Fortschritte gemacht werden. Zudem bleibt die Formulierung gemeinsamer Gesundheitsziele für das Land wichtig.

Was können die Präventionsfachleute und die Gesundheitspolitikerinnen und -politiker in Zukunft besser machen?

Die Grundlage für die Niederlage des Präventionsgesetzes ist wohl letztlich darin zu sehen, dass in der Schweiz Gesundheit nach wie vor fast ausschliesslich individuell gesehen und deshalb der öffentlichen Hand die Legitimation abgesprochen wird, tätig zu werden. Zentrales Thema muss es deshalb sein, verständlich zu machen, wie Verhalten und Verhältnisse interagieren. Dann wird sich vielleicht auch das Verständnis dafür verbessern, dass es eine legitime und vornehme staatliche Aufgabe ist, zur gesundheitlichen Chancengleichheit beizutragen.

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