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Geldspiel: Hilfe im Netz

Ausgabe Nr. 130
Mär. 2021
Verhaltenssüchte

Das Projekt «Win Back Control» entwickelt ein webbasiertes Selbsthilfeprogramm, das Spielerinnen und Spieler nutzen können, um ihr Geldspielverhalten in den Griff zu kriegen. Als weiterer Baustein im Versorgungssystem ergänzt das anonym nutzbare Online-Programm das Angebot der kantonalen Beratungszentren.

Wer hierzulande mit Geld spielen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt 21 Casinos und über 9000 Verkaufsstellen für Lottoscheine. «Damit gehört die Schweiz zu den Ländern mit dem weltweit dichtesten Angebot für Geldspiele», sagt Michael Schaub, wissenschaftlicher Leiter des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung. In der Schweiz zeigen rund 180 00 Personen ein risikoreiches Geldspielverhalten, als geldspielsüchtig gelten fast 15 00 Menschen. Doch viele Betroffene zögern, eine Beratung in Anspruch zu nehmen. «Wir vermuten, dass höchstens zehn Prozent der Geldspielsüchtigen in Behandlung sind», sagt Schaub. «Viele suchen erst nach einer gros­sen Krise eine Beratungsstelle auf.» Ausserdem hätten Umfragen unter Geldspielerinnen und Geldspielern gezeigt, dass die meisten von ihnen ihr Problem selber lösen wollten.

Weniger Geld und weniger Zeit

Das Projekt «Win Back Control» trägt zur Massnahme «Nutzung neuer Technologien für Prävention und Beratung optimieren und fördern» des Massnahmenplans 2021-2024 zur Nationalen Strategie Sucht bei und wird unter anderem von der Projektförderung Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) von Gesundheitsförderung Schweiz gefördert. «Wir haben eine webbasierte Selbsthilfeplattform entwickelt und testen nun in einer kontrollierten randomisierten Studie, ob sie Spielerinnen und Spielern helfen kann, weniger Geld und weniger Zeit für Geldspiele aufzuwenden», sagt Schaub.

Die Forschenden um Schaub planen, insgesamt 352 regelmässige Spieler, die ihr Geldspiel reduzieren oder sogar ganz aufgeben möchten, in die Studie einzuschlies­sen. «Die Rekrutierung läuft inzwischen gut», sagt Schaub. Bisher haben sich schon über 300 Personen gemeldet, um freiwillig an der Studie teilzunehmen. Der Zufall entscheidet, ob sie ein in Kanada entwickeltes, nachweislich wirksames Selbsthilfe-Manual zur Geldspielreduktion erhalten oder dem Programm «Win Back Control» zugeteilt werden.

Trifft Letzteres zu, werden sie auf der Online-Plattform von Deborah empfangen. Diese fiktive Figur motiviert als E-Coach die Teilnehmenden, während acht Wochen ein Spieltagebuch zu führen und fünf bis neun verschiedene Module zu durchlaufen. Inhaltlich sind die Module an ähnliche webbasierte Instrumente angelehnt, die Schaub und sein Team vor mehreren Jahren für Cannabis- und Alkoholkonsumenten entwickelt haben. Den Geldspielern vermitteln diese Module Strategien und Techniken, wie sie beispielsweise Versuchungen widerstehen können oder nach Rückfällen trotzdem wieder an Erfolge anknüpfen können.

Auch längerfristig wirksam?

Fünf Basismodule richten sich an alle Teilnehmenden, weitere vier Zusatzmodule decken zudem Themen ab, die oft mit einer Spielsucht einhergehen, etwa Angststörungen, Depressionen oder exzessiver Alkohol- oder Zigarettenkonsum. Je nachdem, was die Teilnehmenden zu Beginn der Studie antworten, schlägt E-Coach Deborah ihnen vor, neben den Basismodulen auch die für sie passenden Zusatzmodule zu absolvieren.

Ob sich das achtwöchige Programm auch noch nach dessen Ablauf auf das Verhalten der Teilnehmenden auswirkt, erfassen die Forschenden ein halbes Jahr später mit einer Schlussbefragung. Dass sich Internet-Interventionen auch längerfristig als wirksam erweisen können, haben schon mehrere Studien in anderen Ländern gezeigt, beispielsweise in Finnland oder Kanada. «Doch in der Schweiz ist unsere Studie die erste ihrer Art», sagt Schaub.

Das Online-Selbsthilfeprogramm bezeichnet Schaub als «zusätzlichen Baustein im Versorgungssystem», der das Angebot der kantonalen Beratungszentren für Spielsüchtige nicht konkurrenziert, sondern ergänzt. Weil das Angebot an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar sei – und zudem anonym genutzt werden könne –, liessen sich damit eher auch Geldspielerinnen und Geldspieler erreichen, die bisher durch die Maschen zu fallen drohten, meint Schaub.

Er hofft, dass «Win Back Control» den Test besteht. Dann würde das Programm, das es aktuell auf Deutsch und Französisch gibt, auch ins Italienische übersetzt. Und die Fachpersonen in den kantonalen Beratungszentren darin geschult, das Selbsthilfeangebot auch für ihre Arbeit zu nutzen. «Während langer Zeit bin ich mit meinen Ideen für webbasierte Angebote bei Psychotherapeuten und Psychiaterinnen auf eine starke Abwehrhaltung gestossen», sagt Schaub. «Das hat sich mit der Covid-19-Pandemie verändert.» Die Zukunft gehört dem sogenannten Blended Counseling, bei dem die persönliche Beratung mit Online-Elementen angereichert wird.

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Kontakt

Jann Schumacher
Sektion Prävention in der Gesundheitsversorgung

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