Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Diagnose und Behandlung von Demenz beachten
Feb. 2025Medizin, Gesundheit und Geschlecht
Demenz äussert sich bei Frauen weniger eindeutig als bei Männern. Es braucht deshalb geschlechtsspezifische Diagnostiktools und eine differenzierte Behandlung. Die Nationale Plattform Demenz wird das Thema Frauengesundheit bei ihren künftigen Arbeiten besser berücksichtigen.
Anna, eine 62-jährige Primarschullehrerin (fiktives Beispiel), hat zunehmend Schwierigkeiten mit alltäglichen Dingen: Sie vergisst Termine oder stellt die Milch ins Gefrierfach. Sie ist beunruhigt und konsultiert ihren Hausarzt. Dieser fragt klassische Demenzsymptome wie Sprachprobleme ab und macht den Uhrentest (ein häufiges Tool zur Abklärung bei Verdacht auf Demenz, bei dem die Personen eine Uhr zeichnen und die Zeiger so platzieren sollen, dass sie die angegebene Zeit anzeigen). Da bei Anna aber keine Sprachprobleme vorkommen und sie Uhren mühelos zeichnen kann, schiebt der Arzt die Probleme auf Stress und auf die Auswirkungen der Menopause. Erst als sie auf Druck ihrer Familie eine Spezialistin in einer Memory Clinic aufsucht, erhält sie Gewissheit: Sie hat Demenz.
Unspezifische Diagnostiktools
Bei Demenz sind die Diagnosemethoden mehrheitlich auf Männer ausgerichtet. So schneiden Frauen bei den für die Diagnose relevanten Gedächtnistests im Allgemeinen besser ab als Männer, was in den Diagnostiktools zu wenig berücksichtigt wird. Dies ist problematisch, weil die Symptome in der Folge häufig falsch diagnostiziert oder ignoriert werden. Ausserdem schreiben Gesundheitsfachleute Demenzsymptome bei Frauen öfter voreilig einem Burnout oder frauenspezifischen Umständen zu, wie Menopause-Beschwerden.
Frauen stärker betroffen
Und dies, obwohl Frauen stärker von Demenz betroffen sind als Männer. Gemäss Alzheimer Schweiz leben in der Schweiz aktuell 156 900 Menschen mit Demenz – 66 Prozent davon sind Frauen. «Die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, ist bei Frauen ungefähr zweimal so hoch wie bei Männern», sagt Rafael Meyer, Präsident des Vereins Swiss Memory Clinics (SMC). Der Verein hat vor Kurzem in Zusammenarbeit mit dem BAG aktualisierte Diagnostikempfehlungen für Demenz erarbeitet. «Die Evidenz für Unterschiede zwischen Frauen und Männern nimmt beispielsweise im Hinblick auf das Risikoprofil und die klinische Präsentation zwar zu. Bisher wurde daraus aber wenig abgeleitet im Sinne einer Erweiterung der geschlechtsspezifischen Diagnostik», sagt Meyer. «Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, sowohl für mehr Erkenntnisse bezüglich geschlechtsspezifischer Aspekte als auch für die Validierung entsprechender diagnostischer Methoden.»
Häufiger von Depressionen und Einsamkeit betroffen
Frauen haben zudem ein doppelt so hohes Risiko, an Depressionen zu erkranken, sagt Meyer: «Dies akzentuiert sich im Rahmen der Wechseljahre. Depressionen sind auch ein Risikofaktor für eine spätere demenzielle Erkrankung. Darüber hinaus leiden von Alzheimer betroffene Frauen häufiger und schwerer an depressiven Begleitsymptomen wie zum Beispiel Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und/oder Antriebslosigkeit.»
Kommt hinzu: Frauen fühlen sich im Alter öfter einsam als Männer. Gemäss aktuellen Zahlen des Gesundheitsobservatoriums Obsan sind 18 Prozent der Frauen ab 65 Jahren von sozialer Isolation betroffen – bei Männern sind es knapp zehn Prozent. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Einerseits haben Frauen eine höhere Lebenserwartung und ihre Partner sterben oft vor ihnen. Auch die Pflege eines von Demenz betroffenen Partners kann einsam machen – insbesondere bei mangelnden Entlastungsangeboten oder wenn diese nicht in Anspruch genommen werden. Und schliesslich kann auch die eigene Demenzerkrankung Einsamkeit auslösen. Dass Einsamkeit bei Frauen stark verbreitet ist, ist in doppelter Hinsicht problematisch, denn – wie eine Studie aus den USA und der Lancet Commission Report on Dementia 2024 zeigen: Einsamkeit kann das Demenzrisiko zusätzlich erhöhen.
In seinem Bericht «Gesundheit der Frauen. Bessere Berücksichtigung ihrer Eigenheiten» verortet der Bundesrat deshalb auch bei der Langzeitpflege Bedarf an geschlechtersensibler Forschung. Die Nationale Plattform Demenz wird sich daher im Jahr 2025 stärker den Bedürfnissen von Frauen in der Demenzdiagnostik und -behandlung sowie in der Langzeitpflege widmen. Denn mit einer frühzeitigen Diagnose können sich Menschen mit Demenz besser mit der Krankheit arrangieren und eine entsprechende Begleitung, Betreuung, Behandlung und Pflege in die Wege leiten.