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Umwelt und Gesundheit: Das System als Ganzes betrachten

Ausgabe Nr. 135
Sep. 2022
Umwelt und Gesundheit

Leitartikel. Klimawandel, Luft, Lärm, Chemikalien, Trinkwasser, Natur. Vieles aus unserer Umwelt kann die Gesundheit beeinflussen. Die Verbindung zwischen Umwelt und Gesundheit der Menschen ist eng. Wie eng, das zeigt diese spectra-Ausgabe.

Im Jahre 1854 brach im Londoner Stadtteil Soho die Cholera aus. Damals dachten die Menschen, diese fürchterliche Krankheit werde durch «schlechte Luft» übertragen. Aber der englische Arzt John Snow hatte im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen seine Zweifel. Er ging im betroffenen Stadtteil von Haus zu Haus und befragte die Bewohnerinnen und Bewohner, aus welchem Brunnen sie Wasser geholt hatten und ob die Menschen im Haus an Cholera erkrankt waren. Aufgrund seiner Aufzeichnungen konnte er einen Brunnen, jenen an der Broad Street, als möglichen Verursacher des Ausbruchs festmachen – und erreichen, dass dieser Brunnen geschlossen wurde. Die Behörden montierten den Schwengel ab; der Ausbruch verebbte. Obwohl die Keimtheorie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierte, kam Snow aufgrund seiner Beobachtungen zur Schlussfolgerung, dass die Cholera nicht durch schlechte Luft übertragen wird, sondern über das Trinkwasser. Das Beispiel gilt nicht nur als die Geburtsstunde der Epidemiologie, es zeigt auch, welch starken Einfluss die Umwelt auf unsere Gesundheit schon immer hatte. Neben Trinkwasser gibt es viele weitere Umweltfaktoren, die einen negativen (aber auch positiven) Effekt auf unsere Gesundheit haben können: Chemikalien, Luft, Lärm, Strahlung, Klimawandel, Natur usw. (siehe Grafik).

Das Beispiel demonstriert aber noch einen weiteren Aspekt: dass Public-Health-Probleme nur durch Betrachtung aller involvierten Faktoren wirklich gelöst werden können und dass sich «Out of the box» - Überlegungen manchmal lohnen. Ursachen für Gesundheitsprobleme der Bevölkerung liegen oft ausserhalb des Gesundheitssystems, entsprechend muss das System als Gesamtes betrachtet werden. Diese Erkenntnis hat sich bis zum heutigen Tag gehalten, jedoch auch die Tatsache, dass Gesundheitsprobleme noch immer oft nur innerhalb einer Fachdisziplin untersucht werden.

Die Erhaltung der Gesundheit kann sich nicht mehr nur auf Mensch und Tier beschränken, sondern muss die Ökosysteme stärker mit einschliessen.

Mehr Zusammenarbeit dank «One Health»

In den vergangenen Jahrzehnten wurden verschiedene Konzepte entwickelt, die diesen ganzheitlichen Ansatz stärken möchten, etwa «Health in All Policies» oder das «One Health»-Konzept. «One Health» ist ein integrativer Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig zu optimieren. Jüngere Beispiele, welche die Wichtigkeit dieses Ansatzes belegen, gibt es zur Genüge: etwa die Ebola-Ausbrüche in Westafrika, den ersten SARS-Ausbruch im Jahr 2002, die BSE-Krise («Rinderwahnsinn»), die Covid-19-Pandemie. Auch für die Bewältigung der Problematik von Antibiotikaresistenzen, die in Mensch, Tier und Umwelt zirkulieren, ist der «One Health»-Ansatz gefragt (siehe Artikel «Aus erster Hand»).

Mit der Beschleunigung des Klimawandels und den immer sichtbarer werdenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschheit sind aktuell Bestrebungen im Gange, den Faktor Umwelt noch stärker in das «One Health»- Konzept einzubeziehen (daneben sind auch weitere Konzepte entstanden wie etwa Planetary Health, siehe Box). Denn in zunehmendem Mass reagiert die Umwelt auf durch den Menschen verursachte Probleme wie Luftverschmutzung, Klimaerwärmung, veränderte Wasserkreisläufe, Artenverlust und verringerte Bodenfruchtbarkeit. Die Erhaltung der Gesundheit kann sich nicht mehr nur auf Mensch und Tier beschränken, sondern muss die Ökosysteme stärker mit einschliessen. Umgekehrt formuliert: was die Ökosysteme stärkt, fördert die Gesundheit und entlastet die Gesundheitsversorgung. Daher haben verschiedene internationale Organisationen, darunter die FAO (UN Food and Agriculture Organization) und die Weltgesundheitsorganisation WHO, im Dezember 2021 eine neue Definition vorgeschlagen: «One Health ist ein integrierter, vereinheitlichender Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig auszubalancieren und zu verbessern.»

Die Umwelt beeinflusst unsere Gesundheit auf vielen Ebenen. Grafik anzeigen

Roadmap für die Schweiz

Auch in der Schweiz hat der Bundesrat die Dringlichkeit erkannt und daher die Umwelt als einflussreiche Gesundheitsdeterminante in die gesundheitspolitische Strategie 2030 aufgenommen. Das Ziel lautet, Gesundheit über die Umwelt zu fördern. In der Folge haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eine Roadmap erarbeitet – ein wichtiges Instrument, um aufzuzeigen, wie der Bundesrat die Umsetzung seiner umwelt- und gesundheitspolitischen Ziele in den nächsten Jahren kohärent angeht.

Die Roadmap deckt thematisch die vier folgenden Bereiche ab: «Klimawandel und Biodiversitätsverlust», «Schadstoffe, ionisierende Strahlung und Lärm», «Gesundheit und nicht ionisierende Strahlung (elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder [EMF], Licht, UV)» sowie «Gesundheitsfördernde Natur- und Landschaftsqualitäten im Siedlungsraum». Die Roadmap umfasst in diesen Bereichen verschiedene Massnahmen (Aktionspläne, Monitoring-Aufgaben etc.). In die Umsetzung der Massnahmen sind neben dem BAFU und dem BAG viele weitere Partner involviert.

Was ist «Planetary Health»?

Das Konzept von «Planetary Health», komplementär zu «One Health», fokussiert auf den Gesundheitszustand des Gesamt-Ökosystems, denn wenn wir unseren natürlichen Systemen schaden, schaden wir uns selbst. Der medizinische Grundsatz des «primum non nocere» wird hier auf unseren Planeten übertragen: Zunächst müssen wir sicherstellen, dass wir unserem Planeten nicht schaden.

Der Chefredaktor der medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet», Richard Horton, schrieb bereits im Jahre 2014 zumThema «Planetary Health», dass die bisherigen Konzepte nicht mehr in der Lage seien, den Anforderungen, mit denen die Gesellschaften konfrontiert sind, wirklich gerecht zu werden, da sie zu eng gefasst seien, um einige dringende Herausforderungen zu erklären.

«Planetary Health» umfasst die Vorstellung, dass unsere Spezies innerhalb eines bestimmten Aktionsraums leben muss. Die Grenzen werden durch Gefahren wie etwa die Versauerung der Ozeane, den Abbau der Ozonschicht, den Verlust der biologischen Vielfalt oder den Klimawandel definiert. Wenn eine oder mehrere dieser Grenzen überschritten werden, könnte dies die planetaren Systeme so stark beeinträchtigen, dass das Überleben der menschlichen Spezies auf dem Spiel stünde. Fachpersonen zufolge sind bereits drei planetare Belastbarkeitsgrenzen überschritten – Klimawandel, biologische Vielfalt, globaler Stickstoffkreislauf.

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Kontakt

Esther Walter
Sektion Nationale Gesundheitspolitik


Steffen Wengert
Abteilung Chemikalien

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