"The relatives have a right to be heard."
Jun. 2017The Relatives
Interview with Sibylle Glauser. Ms Glauser is President of the Psychiatry Network for Relatives (PNR), the psychologist in charge of the service for counselling relatives at University Psychiatric Services in Berne (UPD AG), and she is a member of the care team of the Canton of Berne, which provides emergency psychological support. Sibylle Glauser talked with spectra about working with relatives in psychiatry and is affected herself – her brother has suffered from schizophrenia for many years. We learned that information from discussions with relatives is important both for the patient and for the relatives, who feel appreciated and relieved as a result.
What is the role of the relatives in psychiatric treatment?
It is a very important role in two respects. On the one hand, I should point out that about two-thirds of psychiatric patients are cared for by their families and relatives, and they receive support in many ways (everyday chores, financial matters, etc.). These are tasks that don't need to be provided by the health system, so relatives help to reduce costs, resulting in significant savings. We also learn a lot from discussions with the relatives – for example how the relatives experience the patient and how the patient copes with his everyday routine. This is an external view, which is not possible for doctors if they don't consult the relatives. However, information from such discussions can help one to understand the problem better, or even contribute to finding a solution.
At the UPD, we work according to the following principle: the relatives have aright to be heard. Confidentiality is not violated if one listens to the relatives and takes their concerns seriously. However, the patient's specific details, including information on their location or treatment, are protected by professional confidentiality and may not be passed on directly or indirectly against the patient's wishes.
What are the challenges for the relatives of psychiatric patients in general, and for health care in particular?
A very important topic for the relatives is the balance between the degree of autonomy that they should allow the patient, and the care that they feel the patient needs. Relatives are under considerable stress, and whatever they do, they usually have little confidence that they are doing the right thing. Adapting to their new situation is very demanding, depending on how the disorder progresses as well as the expectations and current condition of the patient. Sometimes one approach works, at other times a different approach works better. It is a difficult balancing act to meet the needs of the patient while maintaining the necessary distance. Studies of the stresses experienced by relatives have shown that objective stresses (such as delusions, hearing voices, nocturnal activity and so on) are easier for the relatives to cope with than the emotional reactions to the objective stresses.
Mothers in particular are tormented with feelings of guilt. Relatives are often ashamed of the incomprehensible behaviour of the patient. The feeling of being impotent and helpless in this situation is also difficult for me to bear as a sister. One should be wary of the well-meant and theoretically correct advice of specialists, since it is of little use – particularly for the relatives of seriously ill psychiatric patients. Even if living together with the patient becomes unbearable when the disorder is acute, many relatives adapt to the situation because they know from experience that the requirements for sheltered housing are not satisfied. The stigmatisation (and self-stigmatisation) that psychiatric patients suffer from is an additional burden. Prejudice and blame forces the relatives into social isolation.
Is the available information sufficient for relatives?
In the last ten years, advice centres for relatives have been established in several psychiatric institutions in the German- speaking part of Switzerland, including including the UPD. However, more still needs to be done in Switzerland. Of course, relatives have a great need for information. They want to know more about the disorder and how to cope with it, about how psychiatric treatment works, and last but not least, what sources of support are available for them as relatives. Information should be available in a timely manner at the onset of the disorder. It should also be easy to understand and specific to their situation.
The relatives also need more information on financial aspects. There are parents who fund their adult children completely for years, because they're afraid that they could become recipients of invalidity insurance. This is often perceived as extremely shameful. Relatives are often completely unaware that the most important aspect of registering for invalidity insurance is not the pension, but the reintegration of the patient.
Gibt es Strategien, die Angehörige gegen solch belastende Gefühle anwenden können?
Gerade wenn eine Erkrankung einen chronischen Verlauf nimmt, müssen sich Angehörige oft von eigenen Lebensentwürfen verabschieden. Angehörige sind darauf angewiesen, dass wir Fachpersonen ihnen die Legitimation erteilen, dass sie selbst das Recht auf ein eigenes Leben haben und sie sich deswegen nicht schuldig fühlen müssen. Ich bin überzeugt, dass vor allem selbstbestimmte, sinnerfüllte und mit ihrem Schicksal versöhnte Angehörige kompetente Begleiter auf dem Genesungsweg des erkrankten Familienmitgliedes sind.
In der quantitativen Auswertung der Angehörigenberatung von 2016 des NAP fällt auf, dass vorwiegend Mütter, Töchter, Schwestern und Partnerinnen die Angebote des Netzwerks in Anspruch nehmen. Warum nutzen Männer das Angebot weniger?
Ich habe den Eindruck, und der hat sich im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen bestätigt, dass Frauen mehr Verantwortung für eine kranke Person übernehmen und sich mehr in der Verantwortung sehen. Sei es für das Kind, den Partner, die Partnerin, die Schwester, den Bruder etc. Zudem scheint es Frauen leichter zu fallen, Hilfe anzunehmen, und sie gehen aktiver auf die Suche nach Unterstützung.
Männer entwickeln andere Bewältigungsstrategien. Wenn die klassische Rollenteilung in der Familie vorherrscht dann sind die Männer durch ihre Arbeit oft sehr absorbiert. Deshalb biete ich bewusst auch am Abend oder über Mittag Gespräche an, um Berufstätigen entgegenzukommen.
Tendenziell nimmt die Zahl der Männer, die zu Beratungsgesprächen kommen, aber zu. Oft nehmen sie an einem zweiten Gespräch teil. Ich versuche immer sehr aktiv, den Mann zum Gespräch einzuladen. Kommt die Frau wegen ihrer Tochter, dann bitte ich sie, dass sie zum zweiten Gespräch – sollte es das geben – ihren Mann mitnimmt, damit nicht alle Last auf ihren Schultern ruht. Ich biete auch an, den Mann anzurufen und ihn persönlich zum Gespräch einzuladen.
Sind es eher jüngere Männer, die bereit sind, zum Gespräch mitzugehen? Oder hat das nichts mit dem Alter zu tun?
Es sind nur wenige junge Männer, die eine Beratung in Anspruch nehmen. Es sind vorwiegend junge Frauen. Eindrücklich ist, dass die jungen Frauen, denen ich in Beratungsgesprächen begegne, häufig in einem Beruf im Gesundheitswesen tätig sind.
Die jungen Männer zwischen 20 und 30 Jahren sind eher schwer zu erreichen. Männer dieser Altersgruppe kommen zur Beratung, wenn ihre Partnerin psychische Probleme hat. Oder wenn es um Familienplanung geht und sie verunsichert sind, weil in ihrer Herkunftsfamilie psychische Erkrankungen bekannt sind. Von Eltern höre ich oft den Vorwurf, der Sohn oder auch die Tochter kümmere sich nicht um das psychisch kranke Geschwister. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit meinem kranken Bruder denke ich, dass es eine gesunde Reaktion ist, wenn Geschwister sich zumindest zeitweise vom Thema psychische Erkrankung distanzieren und versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen. Die meisten von ihnen engagieren sich sehr für das kranke Geschwister, wenn sie selbst ihren Platz im Leben gefunden haben.
Die Anzahl der Beratungen und die Anzahl Stunden für die Beratung Angehöriger hat sich seit 2011 fast verdoppelt, wie kommt das?
Das hat sicher damit zu tun, dass immer mehr psychiatrische Institutionen die Notwendigkeit einer Beratungsstelle für Angehörige erkannt und eine Beratungsstelle eingerichtet haben. Heute macht auch das Internet das Finden von Beratungsangeboten für Angehörige viel einfacher. Viele Angehörige gelangen auf diese Weise an eine Beratungsstelle. Und nicht zuletzt ist es die Mund-zu-Mund Propaganda, die Angehörige zu den Beratungsstellen führt.
Can anybody come to you?
Yes, about a third of the people who come to see me are relatives of an ill family member who is not (or not yet) under treatment. These people usually have nobody to assist them and are desperately seeking help.
Es ist also von einem erfolgreichen niederschwelligen Angebot zu sprechen?
Ja, durchaus. Unsere Arbeit kann als gesundheitsförderndes, präventives Angebot bezeichnet werden. Oft können wir helfen, Schlimmeres zu verhindern.
Dadurch, dass es kein therapeutisches Angebot ist, fällt eine grosse Hürde weg. Ich stelle mich den Angehörigen bei Beratungsgesprächen als Psychologin vor, erwähne aber auch, dass ich durch die psychische Erkrankung meines Bruders selbst auch eine Angehörige bin. Das Wissen, dass ich die Situation der Angehörigen aus eigener Erfahrung kenne, wirkt erleichternd und schafft eine gewisse Nähe. Es ist nicht zwingend, dass ein Angehörigenberater selbst auch Angehöriger sein muss, es kann aber hilfreich sein. Vorausgesetzt, man besitzt genügend professionelle Distanz zur eigenen Geschichte.
Durch die Rückmeldungen von Angehörigen erhalte ich unglaublich viel Wertschätzung für meine Arbeit. Angehörige sind äusserst dankbar, dass sie ein Gegenüber haben, das ihnen Zeit und Raum gibt für ihre persönlichen Nöte und Anliegen. Im stationären Rahmen haben die Pflegenden verständlicherweise oft wenig Zeit, sich ihnen auf eine für beide Seiten befriedigende Weise anzunehmen.
Was wünschen Sie sich bzw. was wünscht sich der Verein NAP für die Zukunft?
In den UPD hat sich das Angebot der Angehörigenberatung gut etabliert, da es seit vielen Jahren von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie finanziert und vom Klinikdirektor sehr unterstützt wird.
Eine solche Haltung wünschen wir uns vonseiten NAP auch von allen anderen Kliniken. Deshalb halten wir jedes Jahr eine Fachtagung in einer anderen psychiatrischen Institution, an der rund 100 bis 150 Personen teilnehmen. Dass das Thema in den Institutionen auf der Agenda steht, zeigt auch der Umstand, dass Kliniken aktiv auf uns zukommen und sich als Gastgeberklinik für die NAP-Tagung anbieten. Sind wir mit der Tagung vor Ort, ist das ein für uns willkommenes Bekenntnis für die Angehörigenarbeit.