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Ressourcen stärken bedeutet, die Kompetenzen, sich für die gesündere Wahl zu entscheiden, frühzeitig anzulegen

Ausgabe Nr. 110
Sep. 2015
Gesundheitskompetenz und Rahmenbedingungen

Leitartikel Gesundheitskompetenz. Der Bund möchte die Ressourcen der Bevölkerung stärken, indem die Menschen Gesundheitskompetenz erlangen und ihre Selbstverantwortung wahrnehmen. Entsprechend der Strategie Gesundheit 2020 des Bundesrats will das Bundesamt für Gesundheit damit die Chancengleichheit erhöhen und die Gesundheitschancen der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen verbessern.

Wie entstehen Gesundheitskompetenz und Selbstverantwortung beim einzelnen Menschen? Ein gutes Beispiel dafür ist bildung + gesundheit Netzwerk Schweiz (b + g). b + g ist ein nationales Netzwerk, das sich für die Implementierung von Prävention und Gesundheitsförderung im schulischen Kontext sowie die Zusammenarbeit und Koordination der verschiedenen Akteure einsetzt. Die Frage nach einer Definition von Gesundheitskompetenz hat sich 2007 auch innerhalb von b + g (www.bildungundgesundheit.ch) gestellt. Eine Arbeitsgruppe des Netzwerks hat sich der Frage angenommen und diese angeregt diskutiert. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe stammten nicht nur aus sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern (von Unfallprävention bis hin zu Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen), sondern auch aus verschiedenen Sprach- und Kulturregionen der Schweiz. Die Frage, die bei der Diskussion am meisten beschäftigt hat: Beschränkt sich die Gesundheitskompetenz einer Person auf ihre eigene Gesundheit oder soll sie (auch) die Gesundheit anderer Menschen miteinbeziehen?  

Definition von Gesundheitskompetenz

2008 hat das gesamte Netzwerk bildung + gesundheit die Frage folgendermassen beantwortet: «Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit, Kenntnisse über die Erhaltung und die Wiedererlangung des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens so in persönliche und kollektive Entscheide und Handlungen umzusetzen, dass sie sich positiv auf die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer sowie auf die Lebens- und Umweltbedingungen auswirken.» Es ist eine kurze, aber komplexe Definition, die uns über die Jahre gedient hat, unsere Arbeit auszurichten. Sie hat über die Grenzen des Netzwerks hinaus keinen normativen Anspruch, ist jedoch auf der Website des Netzwerks aufgeschaltet, um die Grundlagen seiner Arbeit offenzulegen.

Es geht darum, Wissen in Handlungen umsetzen zu können, es geht darum, dass Gesundheit nicht lediglich das Fehlen von Krankheit ist, und es geht darum, dass enge Beziehungen bestehen zwischen meiner eigenen Gesundheit und derjenigen von anderen, aber auch zwischen meiner Gesundheit und meiner Umwelt.

Die Frage, wie Kompetenzen im Allgemeinen und Gesundheitskompetenz im Spezifischen aufgebaut und vermittelt werden können, hat in den letzten Jahren die Pädagoginnen und Pädagogen in der Schweiz beschäftigt, namentlich bei der Erarbeitung der sprachregionalen Lehrpläne.  

Kompetenz heisst, Wissen und Können zu verknüpfen

Der eine Teil von Gesundheitskompetenz ist in den letzten Jahren in den Bereichen der Pädagogik, der Bildung und der Ausbildung sehr präsent. Die sprachregionalen Lehrpläne (Plan d’études romand – PER und der Lehrplan 21 – LP21) sind kompetenzorientiert.

Entsprechend befassen sie sich vertieft mit dem Erwerb von Kompetenzen. «Durch die Beschreibung von Lernzielen in Form von Kompetenzen werden Kulturinhalte mit daran zu erwerbenden fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten verbunden; Wissen und Können, fachliche und personale, soziale und methodische Kompetenzen werden miteinander verknüpft.» (Lehrplan 21, Grundlagen, S. 5)

Auch der PER unterscheidet zwischen fachlichen und transversalen (überfachlich im LP21) Kompetenzen, sie sind etwas anders aufgeteilt, entsprechend den unterschiedlichen Kulturen unserer Sprachregionen, aber es werden im Wesentlichen die gleichen Fähigkeiten und Fertigkeiten abgedeckt.

Es ist sehr schwierig, Kompetenzen abstrakt zu erklären. Deswegen ein Beispiel von überfachlicher Kompetenz: Selbstreflexion (eigene Ressourcen kennen und nutzen). Im LP21 ist sie unter «Personale Kompetenzen» der Überfachlichen Kompetenzen, im PER unter der Capacité transversale «collaboration» zu finden. 

Darunter wird verstanden, dass die Schülerinnen und Schüler ...

– eigene Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken können.

– ihre Interessen und Bedürfnisse wahrnehmen und formulieren können.

– Stärken und Schwächen ihres Lern- und Sozialverhaltens einschätzen können.

– auf ihre Stärken zurückgreifen und diese gezielt einsetzen können.

– Fehler analysieren und über alternative Lösungen nachdenken können.

– auf Lernwege zurückschauen, diese beschreiben und beurteilen können.

– eigene Einschätzungen und Beurteilungen mit solchen von aussen vergleichen und Schlüsse ziehen können (Selbst- und Fremdeinschätzung).

– aus Selbst- und Fremdeinschätzungen gewonnene Schlüsse umsetzen können.  

Die Selbstreflexion sei hier speziell hervorgehoben, weil sie die erste der überfachlichen Kompetenzen im LP21 ist. Die anderen sind aber genauso spannend und anspruchsvoll.

Schülerinnen und Schüler arbeiten während ihrer ganzen Schulzeit an den überfachlichen Kompetenzen, bei einigen von ihnen kann die Schule nur eine Basis legen. Wir alle lernen auch nach unserem Schulabschluss, unsere Ressourcen besser zu kennen und einzusetzen.  

Fähig, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken

Wenn Gesundheit mehr als das Fehlen von Krankheit ist, können wir sie nicht über lange Listen von Krankheiten und Risikofaktoren herstellen. Es ist die Verknüpfung der fachlichen mit den personalen, sozialen und methodischen Kompetenzen, die es später einer Person ermöglichen soll, z.B. die Frage nach dem täglichen Mass an Bewegung mit der Kompetenz «kann Strategien einsetzen, um eine Aufgabe auch bei Widerständen und Hindernissen zu Ende zu führen» (aus dem LP21, überfachliche Kompetenzen, personale Kompetenzen, Selbstständigkeit, S. 14) zu verbinden und in Handlungen umzusetzen, die sich positiv auf ihre eigene Gesundheit auswirken.

Dominique Högger, Leiter der Beratungsstelle Gesundheitsbildung und Prävention der FHNW, hat eine spannende Analyse des Lehrplans 21 vorgenommen. Er hat rund 700 Kompetenzformulierungen im Lehrplan 21, die mit Gesundheitsbildung und Prävention in Verbindung stehen, identifiziert. Viele der Formulierungen lassen sich mit mehreren Aspekten in Verbindung bringen. Zum Beispiel die oben genannte Selbstreflexion, aber auch der Konsum. Konsum in Zusammenhang mit der Verwendung von Gütern, dem Wandel von Konsumgewohnheiten auch in Zusammenhang mit Ernährung, Konsumgütern als Statussymbole, Umgang mit Geld, Werbung, Schuldenfalle, neuen Medien (Chancen und Risiken des Internets, Datenschutz, Sicherheit, sitzender Lebensstil usw.).

Gesundheit ist mehr als die Absenz von Krankheit, wie es die Ottawa-Charta und die Definition von Gesundheitskompetenz von b + g festhalten.

Teams von Pädagogen haben in mehrjähriger Arbeit die sprachregionalen Lehrpläne erarbeitet, im Tessin laufen die Arbeiten noch. Dabei haben sie die Gesundheit und den Erwerb von Gesundheitskompetenz mitberücksichtigt. Sie haben die Gesundheit mit anderen Themen des Lehrplans verflochten, sie haben Bezüge hergestellt und Zusammenhänge hervorgehoben.

Davon zeugen die erwähnten 700 Kompetenzformulierungen im LP21 in Zusammenhang mit Gesundheitsbildung!  

«Kompetenzorientierung macht Gesundheitsbildung sichtbar»

Die sprachregionalen Lehrpläne stellen eine Grundlage für die Koordination von Lehrmitteln dar, sie spielen eine Rolle in der Weiterentwicklung, der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen, den Angeboten von pädagogischen Hochschulen. Sie stellen aber auch eine wichtige Ressource für all die Institutionen und Organisationen dar, welche Gesundheit in der Schule fördern möchten. Die sprachregionalen Lehrpläne sind eine Hilfe, um die Arbeit der Gesundheitsförderer weiterzuentwickeln und auszurichten.

Wenn Gesundheitsförderer von der Schule als Ressource wahrgenommen werden wollen, müssen sie ihre Arbeit am Bildungssystem ausrichten. Die «Kompetenzorientierung macht Gesundheitsbildung sichtbar», schreibt Dominique Högger (Gesundheitsbildung und Prävention im Lehrplan 21, S. 21). Seine Arbeit ist auch eine wichtige Ressource für die Arbeit in der Gesundheitsförderung. Sie hilft dabei, diese Arbeit gezielter auszurichten, um die Ressourcen von Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg in die Zukunft zu stärken.  

Kontakt

Dagmar Costantini, Sektion Drogen, dagmar.costantini@bag.admin.ch

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