«Die Beratung von Transmenschen ist nur ein kleiner, aber lebenswichtiger Puzzlestein.»
Nov. 2013Transgender
Forum Hannes Rudolph. Seit März 2012 gibt es im Checkpoint Zürich die Fachstelle für Transmenschen. In Zusammenarbeit mit dem Transgender Network Switzerland (TGNS) entstanden, beraten wir Menschen, deren Geschlechtsidentität sich nicht mit der Geschlechtszuweisung bei der Geburt deckt. Es ist die einzige bezahlte Stelle in der Deutschschweiz, in der Transmenschen von anderen Transmenschen unabhängig beraten werden – im Checkpoint Waadt gibt es eine zweite für die Romandie. Neben den Transmenschen selber können sich auch deren Angehörige beraten lassen sowie Menschen, die aus anderen Gründen (z.B. beruflich) Fragen zu Trans* haben.
Die Stelle wurde überwältigend gut angenommen.
Bereits in den ersten zehn Monaten liessen sich etwa 100 Personen beraten, die grosse Mehrheit Transmenschen.
Zirka 70 Beratungen erfolgten per Mail, 26 persönlich und einige am Telefon. Damit ist die Kapazitätsgrenze der mit 20 Stellenprozenten finanzierten Fachstelle bereits erreicht. Ausserdem wurde im Schnitt einmal im Monat eine externe Institution zwischen 90 Minuten und 120 Minuten über verschiedene Aspekte des Themas Trans* informiert und zum Umgang mit den spezifischen Bedürfnissen von Transmenschen beraten.
«Wie komme ich zu einer Hormonbehandlung?»
Auch wenn längst nicht alle Transmenschen den Weg der medizinischen Geschlechtsangleichung gehen, ist dies die am meisten gestellte Frage. Damit die Krankenkasse die Hormonbehandlung übernimmt, braucht es ein ärztliches Rezept. Die meisten Ärztinnen und Ärzte möchten dafür ein Indikationsschreiben von einer Psychiaterin, einem Psychiater oder einer Psychotherapeutin bzw. einem Psychotherapeuten, das bestätigt, dass die Person trans* ist und keine schwerwiegenden Gründe gegen eine Hormonbehandlung sprechen. Insbesondere soll sichergestellt werden, dass Transmenschen realistische Erwartungen an die Behandlung haben und imstande sind, mit deren Folgen zurechtzukommen. Eine begleitende Therapie gilt im Moment noch als obligatorisch, obwohl sich Expertinnen und Experten längst darüber einig sind, dass ein Therapiezwang das therapeutische Verhältnis stark belastet. Oft fühlen sich Transmenschen auch in der Situation, ihre Geschlechtsidentität beweisen zu müssen, dabei ist es schlicht unmöglich, Trans* zu diagnostizieren – es ist eine Diagnose, die sich nur auf die Aussage des betroffenen Menschen stützen kann. Ein weiteres Problem des Therapiezwanges besteht darin, dass trans*-erfahrene Fachpersonen selten sind und bei ihnen oft lange Wartezeiten bestehen.
Ansonsten waren die Beratungsinhalte ausgesprochen heterogen:
– «Ich glaube, ich fühle mich eher als Frau, aber ich bin nicht sicher, wie ich das herausfinden soll.»
– «Wo und wie kann ich die Änderung meiner Papiere beantragen und welche Voraussetzungen muss ich dazu erfüllen?»
– «Ich will als Mann leben. Was kommt da auf mich zu? Was kann die Medizin und was nicht?»
– «Wo finde ich Fachpersonen?» (Aus den Bereichen Endokrinologie, Gynäkologie und Urologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dermatologie für Epilation, Logopädie usw.)
– «Ich bin grad mitten in einer Ausbildung. Soll ich mich jetzt outen oder lieber erst nachher?»
– «Meine Eltern werfen mich raus, wenn ich darauf bestehe, als Mann zu leben. Wo kann ich hin?»
– «Ich habe herausgefunden, dass ich als Kind wegen Intersexualität operiert wurde, weiss aber nichts Genaues. Meine Identität passt nicht zu dem Geschlecht, in dem ich grossgezogen wurde. Was kann ich tun?»
– «Kann ich meine Papiere ändern, ohne dass meine Ehe aufgelöst wird? Ich bin aus Argentinien und meine Frau ist Schweizerin.»
Wie die Fragen zeigen, benötigen Transmenschen oft v.a. deshalb Hilfe, weil die Wege, der eigenen Geschlechtsidentität entsprechend zu leben, in der Schweiz noch sehr undurchsichtig und voller bürokratischer Hürden sind. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Akzeptanz von Transmenschen, sei es im privaten Umfeld oder auf dem Arbeitsmarkt. Es besteht ein sehr grosses Potenzial, durch Aufklärungs- und Sichtbarkeitskampagnen an verschiedenen Schlüsselstellen die Situation jedes einzelnen Transmenschen enorm zu verbessern. Die Beratung von Transmenschen ist nur ein kleiner, aber lebenswichtiger Puzzlestein, wenn es darum geht, die Lebenssituation sowie die psychische und physische Gesundheit von Transmenschen nachhaltig zu verbessern. Das Engagement darüber hinaus ist den Fachstellen ein wichtiges Anliegen, das aber aufgrund der Auslastung durch Beratungen erst mit einer Aufstockung der finanziellen Mittel verwirklicht werden könnte.
Hannes Rudolph, geboren 1977 in Leipzig, Psychologe und Theaterregisseur, Transmann, Gründungsmitglied Transgender Network Switzerland, leitet seit März 2012 die Fachstelle für Transmenschen im Checkpoint Zürich.
www.transgender-network.ch