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Von wegen harmlose Kinderkrankheit

Ausgabe Nr. 102
Jan. 2014
Impfungen

Masernelimination. 2015 soll die Schweiz masernfrei sein. Davon sind wir aber noch weit entfernt – die Durchimpfungsrate ist hierzulande noch zu tief. Die Gründe dafür sind unter anderem mangelhafte Information. Die Fakten über eine verharmloste Krankheit und wie sie ausgerottet werden kann.

Die Masernimpfung ist Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden: Masern sind – dank der Impfung – selten geworden, so selten, dass man die Krankheit in der Öffentlichkeit nur noch wenig sieht, ihre Komplikationen kaum noch kennt und sie deshalb als «harmlose Kinderkrankheit» angesehen wird. Aber die Masern sind weder harmlos noch eine reine Kinderkrankheit, denn auch Erwachsene können erkranken.

Krankheit verläuft in zwei Phasen
Masern sind hoch ansteckend und die Viren übertragen sich sehr leicht via Husten und Niesen. Die Krankheit verläuft in der Regel in zwei Phasen. Die erste beginnt 7 bis 18 Tage nach der
Ansteckung (= Inkubationszeit) mit grippeartigen Symptomen wie Fieber, Schnupfen, Husten, Bindehautentzündung und Lichtscheu. In dieser Phase ist man bereits infektiös. Viele Erkrankte oder die Eltern erkrankter Kinder missdeuten diese Vorsymptome als Erkältung, treffen keine Vorsichtsmassnahmen und stecken ungeimpfte Menschen in ihrem Umfeld an. So können sich die Viren insbesondere in Gruppen mit tiefer Durchimpfung rasch ausbreiten. Nach etwa 4 Tagen folgt die zweite Phase mit hohem Fieber, Appetitlosigkeit, starkem Krankheitsgefühl, Bettlägerigkeit und dem typischen Hautausschlag (siehe Abbildung).

Schwere Komplikationen
Masern können schwere Komplikationen verursachen, die oftmals eine Hospitalisation erfordern und gelegentlich auch tödlich verlaufen. Diese Masernkomplikationen und nicht etwa der harmlose Hautausschlag sind der Grund, warum die Impfung bereits ab dem Kleinkindesalter empfohlen ist. Etwa 10% der erkrankten Personen entwickeln Komplikationen, die einen Spitalaufenthalt erfordern. Mittelohrentzündungen und Fieberkrämpfe sind relativ häufig. Bei 5% der Erkrankten tritt eine Lungenentzündung auf, bei jedem Tausendsten eine Gehirnentzündung. Eine Masernerkrankung stärkt nicht etwa das Immunsystem, im Gegenteil: Jede Masernerkrankung führt über Wochen zu einer Immunschwäche.
Sehr selten kommt es Jahre nach einer Masernerkrankung zu einer tödlichen Gehirnentzündung (SSPE; subakute, sklerosierende Panenzephalitis). Eine Studie aus Deutschland ergab, dass zwischen 2003 und 2009 über 30 Kinder an einer SSPE verstarben und dass das Risiko für diese Komplikation nach einer Masernerkrankung im Säuglingsalter mit etwa 1:2500 besonders hoch ist. Gerade junge Säuglinge können noch nicht geimpft werden und sind deshalb auf den indirekten Impfschutz ihrer Umgebung angewiesen.

Sicherer Schutz, wenig Nebenwirkungen
Die Masernimpfung mit 2 Impfdosen weist eine Wirksamkeit von 95–98% auf. Die Impfung ist gut verträglich, schützt meist ein Leben lang, und sie ist kostengünstig. Weltweit haben seit den 1970er-Jahren mehrere Milliarden Kinder und Erwachsene eine Masern- oder eine MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) erhalten. Als Nebenwirkung kann ein leichter, harmloser Hautausschlag auftreten. Selten sind Fieberkrämpfe (0,03%) oder eine vorübergehende Abnahme der Blutplättchen. Äusserst selten sind schwere allergische Systemreaktionen (weniger als 0,001%).

Weltweit 185 000 Todesfälle
Die Masern sind heute vorwiegend noch in Afrika, Asien und einigen Ländern Europas mit einer zu niedrigen Impfrate verbreitet, wozu auch die Schweiz zählt. 2011 starben weltweit etwa 185 000 Menschen an Masernkomplikationen, die meisten davon Kinder.
Würde in der Schweiz überhaupt nicht gegen die Krankheit geimpft, käme es jedes Jahr zu schätzungsweise 70 000 Erkrankungen und 20 bis 30 Maserntodesfällen. Die Schweiz erlebte von 2006 bis 2009 eine Epidemie mit über 4400 gemeldeten Erkrankungen, Hunderten von Hospitalisationen sowie geschätzten Kosten von über 15 Millionen Schweizer Franken. 2009 starb ein zuvor gesundes Mädchen an den Komplikationen der Masern.

Was bedeutet «Elimination»?
Die Masern gelten in einem Land als eliminiert, wenn jährlich noch maximal ein Fall pro eine Million Einwohner auftritt. Dafür müssen 95% der Bevölkerung immun sein, das heisst, zweimal gegen Masern geimpft sein oder die Krankheit durchlebt haben. Wird eine Durchimpfungsrate von 95% erreicht, entsteht eine sogenannte Herdenimmunität; die Masernviren können sich nicht mehr verbreiten und verschwinden. Dass dies möglich ist, zeigen Australien, ganz Nord- und Südamerika sowie mehrere Länder Skandinaviens. Sie sind heute dank der Impfung praktisch masernfrei. In der Schweiz konnten bislang dank Impfungen schon die Pocken und die Kinderlähmung eliminiert werden.

Noch zu tiefe Durchimpfungsraten
Die Durchimpfungsrate in der Schweiz hat in allen Altersklassen zwar zugenommen, aber sie ist immer noch zu tief. Zurzeit sind erst 86% der Zweijährigen mit 2 Dosen geimpft. Ungeimpfte haben bei Kontakt mit einer erkrankten Person ein sehr hohes Risiko, selbst zu erkranken.
Ursachen für die Impflücken bei Kindern sind zum einen, dass die Impfung –insbesondere die 2. Dosis – gelegentlich vergessen geht. Einige Eltern, insbesondere in der Deutschschweiz, sind den Impfempfehlungen gegenüber kritisch eingestellt. Eine Tendenz, die verstärkt wird durch die Verbreitung von Falschinformationen im Internet wie auch durch gewisse Ärzte und weitere Fachpersonen, welche die Eltern von Kleinkindern gar nicht oder falsch über die Masernimpfung beraten.

Strategie zur Masernelimination 2011–2015
Die Länder der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO), zu der auch die Schweiz gehört, haben das Ziel, die Masern bis 2015 zu eliminieren. Dazu hat der Bundesrat 2011 die Nationale Strategie zur Masernelimination 2011–2015 verabschiedet.
Langfristig sollen mindestens 95% der Zweijährigen mit 2 Impfdosen vor Masern geschützt werden. Bei den nach 1964 Geborenen sollen die bestehenden Lücken im Schutz durch Nachholimpfungen geschlossen werden. Impfungen werden auch in Zukunft freiwillig bleiben. Eltern sollen jedoch besser über Masern, die Komplikationen sowie die Impfung Bescheid wissen. Dabei spielen Ärztinnen und Ärzte bei der Impfberatung eine entscheidende Rolle. Kindertagesstätten sollen möglichst mit einer betreuenden Ärztin oder einem Arzt zusammenarbeiten.
Masernausbrüche sollen in allen Kantonen einheitlich bekämpft werden. Jeder mögliche Verdachtsfall soll rasch erkannt und an den kantonsärztlichen Dienst gemeldet werden und es soll eine Laboranalyse veranlasst werden.
Mit der kombinierten MMR-Impfung werden gleichzeitig auch die Röteln zum Verschwinden gebracht.
Die nationale Kampagne «Gegen Masern impfen und nichts verpassen» (www.stopmasern.ch) hat zum Ziel, Impflücken bei Jugendlichen und Erwachsenen zu schliessen und Nachhol­impfungen zu fördern. Weiter beinhaltet die Strategie einen möglichst einfachen Zugang zur Nachholimpfung, und möglichst jeder Arzt-Patienten-Kontakt soll dazu genutzt werden, den Impfstatus zu überprüfen.
Schliesslich können auch technische Hilfsmittel wie das System Viavac/meineimpfungen.ch zu einer Erhöhung der Impfrate beitragen. Viavac ist eine elektronischer Impfausweis, mit dem Patientinnen und Patienten sowie die Ärzteschaft den Impfstatus abrufen und Impfaufrufe auslösen können.

Fazit: Die Masern sind keine «harmlose Kinderkrankheit». Eine in Zukunft genügend hohe Durchimpfung bei den Kleinkindern ist Voraussetzung dafür, dass die Schweiz masernfrei wird und bleibt.

Impfempfehlungen des BAG

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt die kombinierte Impfung gegen Masern, Röteln und Mumps (MMR): die erste Dosis im Alter von 12 Monaten, die zweite zwischen 15 und 24 Monaten. Eine Nachholimpfung ist in jedem Alter möglich. Sie wird allen nichtimmunen Personen empfohlen, die 1964 oder später geboren wurden. Ältere Menschen gelten als immun, da sie früher, in der Regel bereits als Kind, die Masern durchmachten. Bei Säuglingen mit einem erhöhten Risiko einer Masernerkrankung (Frühgeborene, bei Besuch einer Krippe) wird die MMR-Impfung ab dem Alter von 9 Monaten empfohlen, bei einer Masernepidemie oder bei Exposition bereits mit 6 Monaten.

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Kontakt

Virginie Masserey Spicher, Leiterin Sektion Impfprogramme und Bekämpfungsmassnahmen, virginie.masserey@bag.admin.ch

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