
Erinnerungen an den Zürcher «Needle-Park»
Mai. 2010Prävention rentiert!
Drogengeschichte 1968–2008. Das Drogenelend auf dem Zürcher Platzspitz erschütterte die ganze Welt. Der ehemalige Medizinprofessor Peter J. Grob beschreibt in seinem Buch «Zürcher Needle-Park» dessen Entstehungsgeschichte in einem breiten historischen Umfeld.
Zwischen November 1988 und Februar 1992 wurden den mehreren Hundert Drogensüchtigen auf dem Zürcher Platzspitz über 7 Millionen Spritzen und Nadelsets und 2 Millionen Zusatznadeln abgegeben. Ausserdem wurden zahlreiche medizinische Hilfeleistungen durchgeführt, darunter 6700 künstliche Beatmungen. Dies fand im Rahmen des Zürcher Interventionsprojektes für Drogenabhängige gegen Aids (Zipp-Aids) statt, und wurde polizeilich geduldet, obwohl 1975 das schweizerische Betäubungsmittelgesetz verschärft und der Besitz und Konsum illegaler Drogen unter Strafe gestellt worden waren. Weil der Platzspitz damals die weltweit grösste sichtbare Drogenszene war und weil dort erstmals gross angelegte Präventionsmassnahmen gegen Hepatitis und Aids stattfanden, wurde er international stark beachtet und erhielt den Übernamen «Needle-Park».
Die Süchtigen besetzten den Platzspitz
Die Zahl von Heroin und Kokain abhängiger Personen war in der ganzen Schweiz laufend angestiegen, auf geschätzte 20 000 bis 30 000 Menschen. Ein grosser Teil von ihnen hatte sich mit Hepatitis und HIV infiziert. Die bestehenden Drogenhilfen konnten ihren Aufgaben kaum genügen. Das Buch von Peter Grob schildert in seinem ersten Teil, wie die Drogenepidemie Zürich erreichte, wie es zu Krawallen kam, wie die Drogensüchtigen randständig und von Ort zu Ort getrieben wurden, bis sie auf dem Platzspitz eine prekäre Ruhe fanden. Vorübergehend galt auch ein Spritzenabgabeverbot.
Der Hauptteil des Buches beschreibt, wie es zum Zürcher Pilotprojekt kam, zur Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit, der Zürcher Stadtregierung, dem Schweizerischen Roten Kreuz und mehreren universitären Institutionen. Im Detail wird über die Aktivitäten von Zipp-Aids berichtet und es werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur sozioökonomischen und medizinischen Situation der Drogensüchtigen beleuchtet. Auch das Alltagsleben auf dem Platzspitz, das breite Spektrum von Menschen, die sich dort aufhielten, der Drogenhandel, die Polizeiaktivitäten und die Reaktionen von Politik und der Medien werden thematisiert.
Schliessung der offenen Szenen
Der letzte Teil ist der Schliessung des Platzspitz und der Neuentstehung einer offenen Drogenszene auf dem Lettenareal gewidmet. Wenn auch von politischen Auseinandersetzungen begleitet, kam es in der Folge zur langsamen Abkehr von einer dominierenden Repression zur breiten Akzeptanz eines Mehrsäulenkonzeptes. Neben der Suchtprävention und der Verbesserung der Überlebenshilfe etablierte sich die Behandlung von Drogensüchtigen mit der Ersatzdroge Methadon und später sogar mit Heroin. 2008 nahm das Schweizer Stimmvolk ein neues Betäubungsmittelgesetz an, welches das Viersäulenprinzip gesetzlich verankerte. Das Buch weist darauf hin, dass sich die Drogenproblematik in der Schweiz verbessert, aber auch verändert hat, jedoch keineswegs gelöst ist.
Der Text wird ergänzt durch eidgenössische Statistiken der vergangenen 40 Jahre über Drogentodesfälle, Infektionen mit HIV und Hepatitis, durch eine Zusammenstellung parlamentarischer Aktivitäten und repräsentativer Kommentare in der Tagespresse.
Treibende Kraft der Suchthilfe
Peter J. Grob ist emeritierter Medizinprofessor und war Leiter der klinischen Immunologie am Zürcher Universitätsspital. Als solcher war er die treibende Kraft hinter Zipp-Aids, dem Pilotprojekt für Drogenabhängige auf dem Platzspitz von 1988 bis 1992. Zusammen mit weiteren Mitkämpfern aus dieser Zeit, etwa Ambros Uchtenhagen, damals Direktor des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Psychiatrischen Uni-Klinik, hat er das Buch über den «Zürcher Needlepark» geschrieben. «Ein verständlich geschriebenes Fachbuch», wie die «NZZ am Sonntag» schrieb, dessen Verdienst in der präzisen Nennung der Fakten und in der medizinischen Fachkenntnis liege. Die 60 Fotos von Gertrud Vogler, der ehemaligen Bildredaktorin der «WoZ», rücken die Menschen in den Vordergrund. Es sind Zeitdokumente ersten Ranges.
Chronos Verlag, Auflage 2009,
gebunden, 160 Seiten,
ISBN 978-3-0340-0968-3