Einst jung und gesund, heute alt und krank?
Mär. 2011Partnerschaft mit der Wirtschaft
Migration, Alter und Gesundheit. An einer Tagung wurden die gesundheitliche und die soziale Situation der heute älteren Migrationsbevölkerung sowie Massnahmen für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen diskutiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Schweiz viele Arbeitskräfte aus Südeuropa rekrutiert. Die vor allem aus Italien eingewanderten Menschen mussten über eine gute Gesundheit verfügen, um als Saisonniers zum Schweizer Arbeitsmarkt zugelassen zu werden. Die grenzsanitarischen Untersuchungen stellten sicher, dass nur «healthy migrants», wie sie in der Forschungsliteratur genannt werden, in unser Land kamen. Doch wie geht es diesen Menschen heute? Das Schweizerische Rote Kreuz und Pro Senectute Schweiz haben am 30. November 2010 zu dieser Frage eine Tagung durchgeführt. Sie war vom Nationalen Forum Alter und Migration in Auftrag gegeben worden und wurde im Rahmen des Programms Migration und Gesundheit 2008–2013 vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) unterstützt.
MigrantInnen sind weniger gesund
Am Beispiel der Einwanderungsgeneration zeigt sich, wie materielle, soziale und gesundheitliche Faktoren in enger Wechselwirkung die Lebenssituation im Alter prägen und wie sich diese als direkte Folge der bisherigen Biografie auswirkt. Die MigrantInnen der Nachkriegszeit haben körperlich schwere Arbeit in Tieflohnbranchen geleistet, die ihre Gesundheit nachhaltig belastet hat. Zudem waren sie einem erhöhten Unfall- und Invaliditätsrisiko ausgesetzt. Auch wirtschaftlich gesehen waren und sind sie schlechter gestellt. Wegen der tieferen Löhne müssen die meisten MigrantInnen heute mit einer vergleichsweise tiefen Rente auskommen. All diese Faktoren wirken sich auf die Gesundheit aus. MigrantInnen fühlen sich weniger gesund als die gleichaltrige einheimische Bevölkerung. Das belegt das vom BAG durchgeführte Gesundheitsmonitoring der Migrationsbevölkerung in der Schweiz. Je höher das Alter, desto weiter öffnet sich diese Schere. Zudem haben ältere MigrantInnen mit einem doppelt so hohen Armutsrisiko zu rechnen wie SchweizerInnen und stellen somit eine Risikogruppe dar.
Massnahmen auf verschiedenen Ebenen
Um die gesundheitliche Situation der älteren MigrantInnen in einem ganzheitlichen Sinn zu verbessern, sind verschiedene Massnahmen auf mehreren Ebenen notwendig:
– Sensibilisierung der Institutionen und Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen für die Lebens- und Arbeitsbiografie älterer MigrantInnen, insbesondere in der Altersarbeit sowie in der stationären und ambulanten Alterspflege
– Förderung des professionellen Umgangs mit dieser Zielgruppe durch entsprechende Schulung in den Aus- und Weiterbildungen im Altersbereich
– Muttersprachliche Aufklärung über das Altersversicherungssystem in der Schweiz (Rechte bezüglich AHV, Pensionskasse, Ergänzungsleistungen etc.)
– Information über die Dienstleistungen im Alter (Alters- und Pflegeeinrichtungen, Spitex, Beratungsdienste) im Sinne von Empowerment
– Alters- und Pflegeeinrichtungen ihrerseits sollten ihre Dienste für diese Zielgruppe öffnen und in Zusammenarbeit mit ihr innovative Betreuungsmodelle entwickeln. Da die Heterogenität der Altersbevölkerung künftig weiter zunehmen wird, ist auf eine diversitätsgerechte Altersbetreuung hinzuwirken.
– Spezifische gesundheitsfördernde und präventive Massnahmen, d.h. muttersprachliche Angebote, die aufsuchend und niederschwellig im sozialen Milieu der Zielgruppe verankert sind. Diese bedingen eine enge Zusammenarbeit mit Fachpersonen mit Migrationshintergrund sowie mit MigrantInnenorganisationen. Ziele sind die Stärkung der alltäglichen Gesundheitskompetenzen älterer MigrantInnen sowie die Unterstützung ihrer Selbstorganisation und gesundheitsfördernden Partizipation.
Kontakt
Martin Wälchli,Nationales Programm Migration und Gesundheit, martin.waelchli@bag.admin.ch
Hildegard Hungerbühler, Leiterin Abteilung Grundlagen und Entwicklung, hildegard.hungerbuehler@redcross.ch