Medizinische Ausbildung blendet Gender noch weitgehend aus
Mär. 2011Partnerschaft mit der Wirtschaft
Gender Mainstreaming. Wie gendersensibel sind die medizinischen Ausbildungen in der Schweiz? Und was können wir von Holland lernen, das den Genderaspekt konsequent in die Lehrpläne der medizinischen Hochschulen eingeführt hat? Eine Studie der Universität Lausanne ist diesen Fragen nachgegangen.
Mitte der 1990er-Jahre tauchten die Themen «Gender Health» und «Gender Medicine» erstmals regelmässig im akademischen und gesundheitspolitischen Diskurs auf. Länder wie die USA, Kanada, Australien, Schweden, die Niederlande, Deutschland und Österreich haben in diesem Kontext die Einführung von Genderinhalten in die medizinische Grundausbildung diskutiert. Die Niederlande liefern dabei ein interessantes Beispiel, wie Gender Mainstreaming in die Medizinausbildung erfolgreich implementiert werden kann. Ende der 1990er-Jahre bot noch keine der acht niederländischen medizinischen Hochschulen ein geschlechtersensibles Curriculum an. Dann führte die Wissenschaftlerin Toine Lagro-Janssen eine Modellstudie durch, um die Integration von Gender in die allgemeine Grundausbildung ihrer medizinischen Hochschule in Nijmegen zu verstärken. Bereits 1996 hatte sie den Auftrag bekommen, den ersten niederländischen Lehrstuhl für «Women’s studies in medicine» zu gründen. 2002 wurden die wesentlichen Punkte der Largo-Janssen-Modellstudie auf die sieben anderen medizinischen Hochschulen des Landes übertragen. So wurden in nur fünf Jahren die medizinischen Lehrpläne aller acht niederländischen Universitäten einem konsequenten Gender Mainstreaming unterzogen.
Erste Ansätze in Lausanne
Um die Situation bezüglich Gender Mainstreaming in der Medizinausbildung in der Schweiz zu beurteilen, wurde die Universität Lausanne – stellvertretend für die Schweizer Universitäten – untersucht. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Ansätze einer gendersensiblen Ausbildung sind zwar vorhanden, von Verhältnissen wie in den Niederlanden ist Lausanne aber noch weit entfernt. Das akademische Jahr 2009/2010 beinhaltete für alle fünf Ausbildungsjahre gerade mal fünf obligatorische Vorlesungen in diesem Bereich. Dazu kamen ein paar wenige Lehrveranstaltungen, mit denen aber lediglich ein kleiner Teil der Studierenden in Berührung kam. Unterrichtseinheiten im Bereich Gender sind also noch sehr fragmentarisch und unzusammenhängend. Die Implementierung von Genderinhalten in die medizinische Ausbildung braucht aber ein stringentes Programm und ein explizites Committment, dieses Programm durchzuziehen. Die Studie empfiehlt deshalb die Gründung einer nationalen Arbeitsgruppe «Gender und medizinische Grundausbildung», die sich folgender Schritten annimmt: der Implementierung von Gender in den Schweizer Katalog der Lernziele für die medizinische Grundausbildung (SCLO), der Erarbeitung eines Musterprogramms zur Integration von Gender in den Unterricht sowie der Umsetzung von Massnahmen zur Unterstützung der Lehrpersonen, die bereit sind, auf Genderfragen einzugehen.
Kontakt
Verena Hanselmann, Leiterin Projekt Gender Health, verena.hanselmann@bag.admin.ch