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«Männer nehmen Übergewicht weniger als Problem wahr als Frauen»

Ausgabe Nr. 81
Jul. 2010
Soziale Determinanten der Gesundheit

7 Fragen an Monika Eichholzer. Die Medizinerin Monika Eichholzer leitet seit 1998 den Arbeitsbereich «Ernährungsepidemiologie» am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Sie forscht insbesondere in den Bereichen Adipositas und Brustkrebs und hatte die Leitung der Redak­tionskommission des 5. Schweizerischen Ernährungs­berichts inne.

41% der über 15-jährigen Schweizer Bevölkerung haben kein normales Körpergewicht, sind also untergewichtig, übergewichtig oder adipös. Welche Faktoren sind dafür hauptsächlich verantwortlich?

Zu hohes Körpergewicht resultiert aus einer langfristigen positiven Energie­bilanz, das heisst einer Energiezufuhr, die den Energieverbrauch übersteigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt einer vorwiegend sitzenden Lebensweise mit wenig körperlicher Aktivität, häufigem Konsum von Nahrungsmitteln mit hoher Energiedichte (mit viel Fett und/oder Zucker etc.) und niedrigem Konsum an Früchten, Gemüse und Nahrungsfasern den nachhaltigsten Einfluss auf die Entstehung von Übergewicht und Adipositas zu. Für das Untergewicht, von dem gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2007 vor allem junge Frauen betroffen sind, dürfte das Schönheitsideal eine wesentliche Rolle spielen. Untergewicht ist aber auch bei Spitalpatienten bzw. bei Senioren, die in Institutionen leben, von Bedeutung: mindestens 20 bis 30% von ihnen sind mangelernährt.

46% der Männer haben ein zu hohes Gewicht. Bei den Frauen sind es 29%. Wie erklären Sie sich diese grosse Geschlechterdifferenz?

Diese Differenz zwischen Männern und Frauen beruht vor allem darauf, dass Männer häufiger mässig übergewichtig sind als Frauen (BMI 25–29,9). In diesem Bereich scheinen Männer das zu hohe Körpergewicht seltener als Problem wahrzunehmen als Frauen. In ausländischen Studien wurden ähnliche Beobachtungen gemacht. Für Frauen hingegen liegt der Bereich des mäs­sigen Übergewichts bereits deutlich über dem sehr schlanken Schönheitsideal.

Was macht dicker: Reichtum oder Armut?

Weltweit gesehen tritt das Übergewicht in armen Ländern zuerst in der sozialen Oberschicht und dann in den sozial tieferen Schichten auf. In reichen Ländern sind die sozial tieferen Schichten häufiger betroffen. Vor allem bei Frauen in westlichen Ländern gibt es einen starken negativen Zusammenhang zwischen Sozialschicht und zu hohem Körpergewicht.

Eine gute Bildung hat offenbar einen positiven Einfluss auf das Körpergewicht. Warum?

Dazu sind noch viele Fragen offen. Studienresultate zeigen aber, dass sich Personen mit höherem Bildungsniveau ausgewogener ernähren, das heisst weniger energiedichte, fettreiche Lebensmittel und mehr Gemüse und Obst konsumieren als weniger gut Gebildete. Letztere betreiben in ihrer Freizeit ausserdem seltener Sport, möglicherweise aus Kostengründen oder wegen der schlechten Zugänglichkeit. Zudem ist die körperliche Aktivität am Arbeitsplatz eher rückläufig.  

Wo muss die Prävention Ihrer Meinung nach ansetzen, um die Übergewichtsepidemie einzudämmen?

Die Empfehlungen der WHO, weniger energiedichte Lebensmittel mit viel Fett und Zucker und mehr Gemüse und Obst zu essen bzw. sich mehr zu bewegen, sind gut verständlich. Dieses Wissen insbesondere auch den Kindern zu vermitteln, ist wichtig. Um die Über­gewichts­epidemie einzudämmen, genügt es aber nicht, nur die Eigenverantwortung bzw. das Verhalten des Einzelnen anzusprechen. Gleichzeitig ist es notwendig, die Verhältnisse, in denen wir leben, so zu verbessern, dass eine ausgewogene Ernährung und regelmässige Bewegung auch möglich sind. Massnahmen sind auf ganz unterschiedlichen Ebenen denkbar und notwendig: Lebensmittelproduzenten bringen zum Beispiel zucker-, fett- und salzärmere Lebensmittel auf den Markt, Schulen verbieten den Verkauf von Softdrinks auf dem Schul­areal, Gemeinden bauen Fussgänger­zonen, Velowege und attraktive Spielplätze, Medien verzichten auf Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, etc.

Das Schönheitsideal des gertenschlanken Körpers und die Realität driften immer weiter auseinander. Wird sich das Ideal angesichts der vielen übergewichtigen und adipösen Menschen verändern?

Es gibt Hinweise zum Beispiel aus den USA, dass sich mit dem ansteigenden durchschnittlichen Körpergewicht der Gesamtbevölkerung auch die Vorstellung eines normalen Körpergewichts verändert bzw. dass ein höheres Körpergewicht als normal erachtet und damit auch toleriert wird.

Wo steht die Schweiz bezüglich Übergewicht und Adipositas im internationalen Vergleich?

Im Vergleich zu anderen europäischen bzw. westlichen Ländern steht die Schweiz bezüglich der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas relativ gut da. In der Schweizerischen Gesundheitsbefragungen 07, auf der die eingangs erwähnten Zahlen zu den Erwachsenen mit zu hohem Körpergewicht beruhen, wurde Gewicht und Grösse aber erfragt und nicht gemessen. Dies führt zu einer Unterschätzung des Problems, da das Gewicht häufig unterschätzt und die Grösse überschätzt wird.

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