Gender ist nicht alles, aber alles ist Gender
Mai. 2012Hausärztinnen und Hausärzte
Gendergerechte Suchtarbeit. 1997 hat das Bundesamt für Gesundheit ein Mandat zur Förderung frauengerechter Suchtarbeit geschaffen. 2001 ist es auf die Förderung gendergerechter und damit auch auf männergerechte Suchtarbeit ausgeweitet worden. Ende März 2012 ist dieses Mandat ausgelaufen. Ein Resümee.
Die Sektion Drogen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) verfolgt und fördert das Thema Gender in der Suchtarbeit seit Beginn der 1990er-Jahre. Mit dem Ziel, die Angebote der Suchthilfe und Suchtprävention so zu gestalten, dass sie Frauen und Männern, Mädchen und Knaben gleichermassen zugute kommen, hatte das BAG Studien zum Thema veranlasst. Dies mündete schliesslich im Mandat zur Förderung gendergerechter Suchtarbeit. Zentrale Aufgaben waren die Beratung, die Weiterbildung und die Öffentlichkeitsarbeit, die Initiierung und Leitung von Projekten, das Erarbeiten von Instrumenten und Dokumentationen sowie die Kontaktpflege und die Vertretung der Schweiz in internationalen Gremien zu Sucht und Gender. Hier die wichtigsten Entwicklungen und Errungenschaften des Mandats:
Von frauen- zu gendergerechter Suchtarbeit
Zu Beginn des BAG-Engagements bestand ein hoher Nachholbedarf, die Angebote der Suchtprävention und Suchthilfe auch für Mädchen und Frauen attraktiv zu gestalten. Viele Projekte entstanden, Instrumente und Dokumentationen wurden erarbeitet. Einer der Höhepunkte war die Aufnahme des Schweizer Vorgehens in die UNO-Publikation «Substance abuse treatment and care for women: Case studies and lessons learned» von 2004.
Theoretische und praktische Weiterentwicklungen führten zur Einsicht, dass das soziale Geschlecht nicht nur bei Frauen, sondern ebenso bei Männern eine zentrale Rolle spielt. Suchthilfe war zwar von Anfang an stärker auf die Männer ausgerichtet, männliche Geschlechtsnormen oder suchtbegünstigende Vorstellungen von Männlichkeit wurden aber kaum näher betrachtet. Massnahmen zur Abhilfe wurden jedoch nur zögerlich entwickelt. In der männergerechten Suchtarbeit steckt nach wie vor viel Potenzial.
Von punktuellen Beratungen zu nachhaltigen Instrumenten
Beratungen und Weiterbildungen von Institutionen standen von Anfang an im Zentrum des Mandats, und sie haben ihren Stellenwert bis heute bewahrt. Dank dem Engagement verschiedener Fachpersonen konnten jedoch weitere Massnahmen umgesetzt werden. So wurde Gender in das Curriculum diverser Fachhochschulen aufgenommen, Wissen wurde in Form von Publikationen zur Verfügung gestellt und Instrumente konnten entwickelt werden. Mit dem Einbezug von Genderanforderungen in die Qualitätsnorm für den Suchthilfebereich (QuaTheDA) gelang schliesslich die wichtige Verknüpfung mit der Qualitätsfrage. Zwei Leitfäden für frauen- respektive männergerechte Beratung im Suchtbereich werden demnächst publiziert.
Von der Deutschschweiz in die Romandie
Die anfänglich auf die Deutschschweiz konzentrierte Arbeit wurde im Laufe der Zeit auf die französischsprachige Schweiz ausgedehnt. Die Entwicklung von Projekten und der Austausch von Wissen und Erfahrungen waren für beide Seiten bereichernd. Als Wermutstropfen bleibt, dass die italienischsprachige Schweiz kaum erreicht werden konnte.
Neuer Schwerpunkt: Diversität
Neu liegt der Schwerpunkt bei der Förderung eines professionellen Umgangs mit Diversität. Dazu wurde u. a. die nationale Plattform Diversität in der Suchtarbeit geschaffen. Gender bleibt dabei neben Faktoren wie Alter, Schichtzugehörigkeit oder Migrationshintergrund ein zentraler Fokus. Das ist auch unerlässlich, denn nach wie vor überwiegen geschlechtsneutrale Versorgungskonzepte und Massnahmen in der Suchthilfe. Gender ist nicht alles, aber alles ist Gender. Das biologische und das damit eng verknüpfte soziale Geschlecht bleiben einer der wesentlichen strukturierenden Faktoren in unserer Gesellschaft.
Kontakt
Marie-Louise Ernst, Beauftragte des BAG für die Förderung gendergerechter Suchtarbeit, m.l.ernst@datacomm.ch