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Jede zehnte Person nimmt Schlaf- oder Beruhigungsmittel

Ausgabe Nr. 113
Mai. 2016
Psychische Gesundheit

Suchtmonitoring. Gut jede zehnte über 15-jährige Person in der Schweiz hat in den letzten zwölf Monaten ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel zu sich genommen. Frauen nehmen fast doppelt so häufig Beruhigungs- und Schlafmittel ein wie Männer. Am stärksten verbreitet ist die Einnahme bei älteren Menschen über 74 Jahren und in der italienischsprachigen Schweiz. Bei gut 40% der Fälle handelt es sich um ein Benzodiazepin oder ein dem Benzodiazepin ähnliches Medikament – ein Wirkstoff, der rasch abhängig machen kann. Diese Zahlen gehen aus zwei Befragungen zum Thema psychoaktive Medikamente hervor, die 2014 im Rahmen des Suchtmonitorings Schweiz durchgeführt wurden.

Gemäss der Suchtmonitoringbefragung zur «Einnahme von psychoaktiven Medikamenten in der Schweiz im Jahr 2014» haben 11% der schweizerischen Wohnbevölkerung im letzten Jahr vor der Befragung mindestens einmal Schlaf- und Beruhigungsmittel eingenommen, gut 7% in den letzten 30 Tagen. Die 12-Monate-Prävalenz ist leicht, aber kontinuierlich von 9,6% im Jahr 2011 auf 11% im Jahr 2014 gestiegen. Auch die 30-Tage-Prävalenz liegt 2014 mit 7,1% höher als in den Jahren davor (2011: 6,5%; 2012: 6,8%; 2013: 6,7%), es ist jedoch keine kontinuierliche Zunahme zu beobachten, sodass eher von Stabilität gesprochen werden kann. In der italienischsprachigen Schweiz (9% in den letzten 30 Tagen) und in der Westschweiz (8,5%) werden Schlaf- und Beruhigungsmittel häufiger eingenommen als in der Deutschschweiz (6,5%). Die sprachregionalen Unterschiede haben sich im Vergleich zu den Vorjahren verringert, was an einem leichten Anstieg in der Deutschschweiz bei gleichzeitigem leichten Rückgang in den beiden anderen Sprachregionen liegt. Der meistgenannte Grund für die Einnahme solcher Medikamente sind Einschlaf- und Schlafprobleme, gefolgt von Unruhezuständen. Seltener werden diese Medikamente als angst- oder spannungslösende Medikamente eingenommen.  

Frauen und ältere Menschen besonders betroffen

Frauen (9,2% in den letzten 30 Tagen) nehmen fast doppelt so häufig Schlaf- und Beruhigungsmittel ein wie Männer (4,9%). Auch bezüglich Alter sind die Differenzen gross: In den letzten 30 Tagen haben 2,4% der 15- bis 19-Jährigen ein Schlaf- und Beruhigungsmittel eingenommen, bei den 65- bis 74-Jährigen waren es 10,2% und bei den über 74-Jährigen 19,2%. An den Trends über die verschiedenen Altersgruppen hat sich seit 2011 nicht viel verändert. Diese Daten fügen sich ein in ein generelles Bild, welches die Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012 über das Wohlbefinden der Frauen und der älteren Menschen zeichnet: Sie fühlen sich weniger vital, weniger optimistisch und weniger glücklich als Männer und jüngere Menschen.  

Hinweise auf Abhängigkeiten

Aus der Suchtmonitoring-Befragung «Einnahme von psychoaktiven Medikamenten in der Schweiz im Jahr 2014» geht hervor, dass ab einem Alter von etwa 45 Jahren die überwiegende Mehrheit (95%) der täglich Einnehmenden ihre Schlaf- und Beruhigungsmittel über einen längeren Zeitraum als 3 Monate einnimmt. Das entspricht mehr als 5% der Gesamtbevölkerung ab 45 Jahren. Detaillierte Angaben zur Art der Mittel wurde in der «Vertiefenden Analyse zur Einnahme von Schlafmitteln, Beruhigungsmitteln sowie Psychostimulanzien im Jahr 2014» erhoben. 40% der Befragten, die in den letzten 12 Monaten ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingenommen haben, gaben in dieser Befragung an, dass es sich dabei um ein Benzodiazepin oder um ein den Benzodiazepinen ähnliches Medikament wie Stilnox oder Zolpidem handle. Werden solche Medikamente über einen längeren Zeitraum regelmässig eingenommen, besteht die Gefahr, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Bei vielen  dieser Medikamente wird eine Einnahmedauer von maximal 4 Wochen, bei vereinzelten von maximal 3 Monaten inklusive Ausschleichphase empfohlen. Aufgrund der Suchtmonitoringdaten lassen sich keine direkten Aussagen über den Missbrauch von psychoaktiven Medikamenten machen. Jedoch legen diese zwei Fakten – hoher Anteil an Langzeitkonsumierenden und hoher Anteil an Benzodiazepinen – die Vermutung nahe, dass die Abhängigkeit von Benzodiazepinen durchaus verbreitet ist.  

Einnahme auf eigene Faust

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln deuten die Daten zu den Beschaffungswegen an: Zwar bezieht die grosse Mehrheit (gut 84%) ihre Schlaf- und Beruhigungsmittel über den Arzt oder mittels Rezept über die Apotheke, die Beschaffung über Freunde und Bekannte hat aber seit 2011 kontinuierlich zugenommen (2011: 1,3%; 2014: 3,6%). Gemäss der vertiefenden Analyse haben fast 20% der Personen mit einer Einnahme von Benzodiazepinen oder ähnlichen Mitteln diese auch schon auf eigene Faust, also ohne medizinische Indikation, genommen. In der französischsprachigen Schweiz kommt dies etwas häufiger vor (19,5%) als in der deutschsprachigen Schweiz (14,8%). In der italienischsprachigen Schweiz sind die Fallzahlen für eine Aussage zu gering. Am häufigsten ist die Einnahme auf eigene Faust in der mittleren Altersgruppe (35–64 Jahre) und nicht wie vermutet in der jüngsten Altersgruppe. Das könnte darauf hinweisen, dass hinter der medizinisch nicht indizierten Einnahme nicht vorrangig der Wunsch nach Berauschung steckt. Vermutlich wurden eher übrig gebliebene Medikamente bei Bedarf (z.B. bei einem Einschlafproblem) genommen. Doch auch hier gilt: Dies ist lediglich eine These, welche durch weitere Daten bestätigt werden muss.  

Viele offene Fragen

Die Daten zur Einnahme von psychoaktiven Medikamenten werden jährlich in Erfüllung der parlamentarischen Vorstösse zum Missbrauch von verschiedenen Medikamentenklassen erhoben (Postulate Fehr, Ingold und Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit). Diese ersten deskriptiven Daten zur Verwendung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln in der Schweiz lassen viele wichtige Fragen offen, insbesondere über die missbräuchliche Einnahme und Verschreibung, oder über das Ausmass einer Medikalisierung von z. B. kleineren psychosomatischen Beschwerden. Um diese Wissenslücken zu schliessen, brauchte es weitergehende Studien.

Hohe Leidens- und Kostenlast

Insgesamt leiden knapp 17% der Schweizer Bevölkerung an einer oder mehreren psychischen Erkrankungen, die von Essstörungen über Angststörungen bis hin zu Depressionen und anderen schweren Symptomen reichen können. Psychische Krankheiten gehören zu den häufigsten und den einschränkenden Krankheiten; sie wirken sich auf alle Lebensbereiche der Betroffenen aus und können zu grossen Beeinträchtigungen führen. Ausserdem verursachen sie hohe volkswirtschaftliche Kosten. Schätzungen gehen von über 7 Milliarden Franken jährlich aus. Um diese Situation zu verbessern, wurden in die Gesamtstrategie «Gesundheit2020» auch Massnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit und zur Verbesserung der Prävention und der Früherkennung psychischer Krankheiten eingeschlossen.

Die beiden Suchtmonitoringberichte

«Einnahme von psychoaktiven Medikamenten in der Schweiz im Jahr 2014»

«Vertiefende Analyse zur Einnahme von Schlafmitteln, Beruhigungsmitteln sowie Psychostimulanzien im Jahr 2014» sind erhältlich unter

www.suchtmonitoring.ch > Schlaf- und Beruhigungsmittel

Kontakt

Wally Achtermann, Leiterin Suchtmonitoring Schweiz,

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