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«Psychische Gesundheit zu fördern, ist kein Luxus»

Ausgabe Nr. 113
Mai. 2016
Psychische Gesundheit

Kurzinterview Fabienne Amstad. Die Arbeitspsychologin und Leiterin des Bereichs Psychische Gesundheit bei Gesundheitsförderung Schweiz über den gesell-schaftlichen Stellenwert psychischer Erkrankungen, über Gesundheit am Arbeitsplatz und über die Aufgabe jedes Einzelnen, sich um seine eigene psychische Gesundheit und jene seiner Mitmenschen zu kümmern.

Man geht davon aus, dass bis zu einem Drittel der Bevölkerung im Verlauf eines Jahres psychisch krank werden. Finden Sie, dass die Thematik – angesichts dieses Ausmasses und angesichts von Folgekosten von jährlich rund 13 Milliarden Franken – genügend öffentliche Aufmerksamkeit geniesst?

Ich habe den Eindruck, dass seit ein paar Jahren psychische Erkrankungen vermehrt thematisiert werden. Zu bestimmten Themen – meist im Zusammenhang mit einem bestimmten Anlass – werden sogar ganze Artikelserien geschrieben. Doch ist es nach wie vor so, dass die körperlichen Aspekte gemeint sind und nicht die psychischen, wenn von Krankheit oder Gesundheit gesprochen wird. Bedenken wir jedoch, dass die Gesundheit den Körper und die Psyche umfasst, dann ist der Schluss durchaus einleuchtend, dass die psychischen Aspekte der Gesundheit mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Stress ist ein wichtiger Faktor für psychische Störungen. Rund ein Drittel der Erwerbstätigen fühlen sich bei ihrer Arbeit häufig oder sehr häufig gestresst. Wie kann das geändert werden?

Generell müssen verschiedene Aspekte angeschaut werden, wenn von Stress bei der Arbeit gesprochen wird und dieser reduziert werden soll. Einerseits sollte man bei den Belastungen ansetzen. Zum Beispiel sollten Konflikte, Zeitdruck oder auch arbeitsorganisatorische Probleme wie Störungen im Informationsfluss minimiert werden. Andererseits sollten Ressourcen gestärkt werden. Diese können in der Person selber, z.B. in Form von Bewältigungsstrategien, oder in der Situation liegen. Menschen können beispielsweise besser mit Belastungen im Arbeitsleben umgehen, wenn sie über einen möglichst grossen Handlungsspielraum verfügen, das heisst, wenn sie selber entscheiden können, wann und wie sie eine Aufgabe erledigen.

Ressourcen haben einen direkten positiven Einfluss auf das Befinden von Personen. Sie wirken puffernd auf Belastungen. Am besten ist es also, wenn Belastungen minimiert und Ressourcen bestmöglich gestärkt werden. Wird diese Herangehensweise systematisch und nachhaltig in einem Unternehmen verankert, hilft das, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten. Es gibt heute zahlreiche Unternehmen, die sich in dem Sinne für ein betriebliches Gesundheitsmanagement engagieren.

Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein zentrales Thema für die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz. Können Sie Ihr Engagement für die psychische Gesundheit kurz umreissen?

Gesundheitsförderung Schweiz engagiert sich seit mehreren Jahren im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, kurz BGM. Wir versuchen hierbei direkt über Betriebe als Multiplikatoren unsere BGM-Produkte zum Einsatz zu bringen. Beispielsweise hat Gesundheitsförderung Schweiz das Label «Friendly Work Space» entwickelt, das Unternehmen auszeichnet, die ein systematisches, nachhaltiges BGM verankert haben. Ein anderes gut verbreitetes Produkt ist das Stress-Befragungsinstrument «S-Tool», das Belastungen, Ressourcen und das Befinden von Mitarbeitenden misst. Aus den Auswertungen lassen sich dann gezielte und massgeschneiderte Interventionen für das Unternehmen ableiten.

Welche Ziele haben Sie sich im Bereich psychische Gesundheit für die nächsten Jahren gesetzt?

Langfristig streben wir an, die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu verbessern. Wir wollen Menschen informieren und sie dazu befähigen und motivieren, die eigene Lebensweise gesund zu gestalten. Zudem streben wir gesellschaftliche Rahmenbedingungen an, die diesen Prozess unterstützen. 

Der Stiftungsrat von Gesundheitsförderung Schweiz hat beschlossen, die psychische Gesundheit auch von Kindern und Jugendlichen sowie älteren Menschen zu fördern. Das heisst, bei uns steht nicht «nur» die psychische Gesundheit der erwerbstätigen Bevölkerung im Fokus. Um dies zu tun, erweitern wir unser kantonales Aktionsprogramm ab 2017 um das Thema psychische Gesundheit und um die Zielgruppe der älteren Menschen. Derzeit ist das Aktionsprogramm noch auf Ernährung und Bewegung bei Kindern und Jugendlichen ausgerichtet. Gesundheitsförderung Schweiz möchte so einen Beitrag zur Reduktion psychischer Krankheiten leisten. Die psychische Gesundheit wird von vielen Aspekten beeinflusst. Bezogen auf die neuen Zielgruppen im Bereich der psychischen Gesundheit, möchte Gesundheitsförderung Schweiz ihren Beitrag leisten, damit

– Kinder und Jugendliche psychisch gesund sind, über eine gute gesundheitsbezogene Lebensqualität verfügen und in der Lage sind, belastende Lebenssituationen zu meistern. Gesundheitsbezogene Unterschiede aufgrund der sozioökonomischen Herkunft sollen reduziert werden. Letztlich soll das dazu führen, dass psychische Erkrankungen und damit auch deren Folgekosten zurückgehen.

– ältere Menschen bei angemessener psychischer Gesundheit möglichst lange selbstständig leben und über
eine gute gesundheitsbezogene Lebensqualität verfügen. Psychische Erkrankungen, gesundheitsbezogene Unterschiede aufgrund der sozioökonomischen Herkunft sowie die prognostizierte Zunahme von Pflegekosten und medizinischen Folgekosten sollen reduziert und frühzeitige Heimeinweisungen vermieden werden.

Welches sind die wichtigsten Partner von Gesundheitsförderung Schweiz und wie sind die Aufgaben verteilt?

Vernetztes Agieren ist für Gesundheitsförderung Schweiz wichtig. Deshalb arbeiten wir mit vielen Partnern in verschiedenen Domänen zusammen. Es würde zu weit führen, hier alle Partner zu nennen – hier deshalb nur einige Beispiele aus dem Bereich psychische Gesundheit: Da sind einerseits die nationalen Partner, zum Beispiel das Bundesamt für Gesundheit, das Bundesamt für Sozialversicherungen, das Staatssekretariat für Wirtschaft oder die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren. Zusammen mit diesen Organisationen ist Gesundheitsförderung Schweiz Trägerin des Netzwerks Psychische Gesundheit. Ausserdem arbeiten wir auch regelmäs-sig für nationale Berichte wie den Bericht «Psychische Gesundheit in der Schweiz. Bestandsaufnahme und Handlungsfelder» oder im Rahmen des Aktionsplans Suizidprävention mit diesen Organisationen zusammen.

Im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung arbeitet Gesundheitsförderung Schweiz vor allem mit Unternehmen, Versicherungen und Beratungsfirmen zusammen.

Zu unseren wichtigsten Partnern in Bezug auf die Weiterentwicklung der kantonalen Aktionsprogramme gehören selbstverständlich die Kantone. Nicht zu vergessen sind aber auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, welche sich mit dem Thema Gesundheit befassen.  

Welche persönliche Botschaft möchten Sie den «spectra»-Leserinnen und -Lesern mitgeben?

Mir ist es ein persönliches Anliegen, dass die psychische Gesundheit als wichtiger Aspekt des Lebens und der Lebensqualität jedes Einzelnen anerkannt wird. Die psychische Gesundheit zu fördern, ist deshalb nicht ein Luxus, sondern eine notwendige und lebenswichtige Aufgabe von uns allen. Mit «uns allen» meine ich nicht nur die Organisationen, die sich mit Gesundheit befassen, sondern jeden Einzelnen und jede Einzelne, sei es als Nachbar, als Freundin, als Vater, als Tochter, als Vorgesetzte oder als Kollege – kurz: als Teil der Gesellschaft.

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