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Jennifer Zimmermann vom WWF Schweiz: «Mit Partnerschaften kann man viel bewegen.»

Ausgabe Nr. 104
Mai. 2014
Allianzen – Chancen und Grenzen

Interview mit Jennifer Zimmermann und Michel Graf. Welche Allianzen sind möglich – und mit welchen Partnern? Wir sprachen mit Jennifer Zimmermann, Projektleiterin Konsum beim WWF Schweiz, und Michel Graf, Direktor von Sucht Schweiz, über Strategien, Erfolge und Sackgassen in der Kooperation.

spectra: Frau Zimmermann, der WWF ist verschiedene Allianzen mit der Wirtschaft eingegangen. Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Zimmermann: Es gibt Partnerschaftsformen bei Gruppenallianzen, in denen wir mit verschiedenen Unternehmen eines bestimmten Bereiches zusammenarbeiten. Beispiele dafür sind die «WWF Seafood Group», die sich für ein Fischangebot aus nachhaltig bewirtschafteten Beständen und umweltverträglichen Zuchten einsetzt. Oder das «Global Forest and Trade Network», bei dem es um Holz- und Papierprodukte geht. Wir haben aber auch bilaterale Allianzen, bei denen es um Klima, Energieeffizienz oder Finanzprodukte geht.

Seit wann bestehen diese Partnerschaften?

Zimmermann: 1998 entstand die erste solche Partnerschaft, die «WWF Wood Group», und als wir Konsumentinnen und Konsumenten auf das relativ neue FSC-Label für nachhaltige Waldwirtschaft aufmerksam machen wollten, stellten wir fest, dass es noch kaum
solche Produkte gab. Gemeinsam mit Migros gründeten wir die «WWF Wood Group» mit dem Ziel, Unternehmen dazu zu bewegen, ihr FSC-Produktesortiment auf- und auszubauen und Holz aus illegalen Quellen auszulisten.
Heute, nach 15 Jahren, haben sich FSC-Produkte in den Geschäften etabliert.

Laufen die Partnerschaften immer so positiv ab?

Zimmermann: Meine Erfahrungen sind fast ausschliesslich positiv. Beide «WWF Groups» zeigen, dass man mit Partnerschaften etwas bewegen kann. Das FSC-Label oder das MSC-Label für nachhaltige Fischerei sind heute bekannt – sowohl bei Coop als auch bei Migros haben MSC-zertifizierte Produkte einen Anteil von rund 50% am Wildfischsortiment.

Wie viel Überzeugungsarbeit braucht es, um Wirtschaftspartner ins Boot zu holen?

Zimmermann: Sehr unterschiedlich. Es braucht meist einen gewissen Druck wobei dieser von innen und von aussen kommen kann. Wichtig ist die Erkenntnis des Unternehmens, etwas ändern zu wollen oder zu müssen. Der Druck kann auch vom WWF kommen, zum Beispiel über unsere ökologischen Produkt- und Unternehmensratings. Solche Studien und Bewertungen haben uns viele Türen geöffnet.

Welches «Druckmittel» funktioniert am besten, um Unternehmen von einer WWF-Partnerschaft zu überzeugen? Nachhaltigkeit hat ja meist ihren Preis.

Zimmermann: Unternehmen sind gewinnorientiert. Für die meisten ist ein gutes Image aber ebenso wichtig. Ihr Bedürfnis nach Transparenz gewinnt immer mehr an Bedeutung. Labelprodukte erfüllen dieses Bedürfnis. Wer Produkte nachhaltig beschafft, kann aus­serdem davon ausgehen, dass man das Produkt auch in zwanzig Jahren noch bekommt. Fische und Meeresfrüchte wurden aufgrund schwindender Bestände in den letzten Jahren immer teurer. Es liegt darum auch im ökonomischen Interesse eines Unternehmens, aus nachhaltiger Produktion einzukaufen, um langfristig das Angebot zu sichern.

Gibt es Bereiche, in denen der WWF gescheitert ist?

Zimmermann: Wir orientieren uns grundsätzlich an den grossen Themen wie Klimaschutz oder Schonung der Ressourcen. Wenn wir irgendwo dringenden Handlungsbedarf sehen, ist der Druck meist schon vorhanden, sodass wir mit unseren Anliegen in der Regel weiterkommen. Aber wir müssen in den kommenden Jahren in der Zusammenarbeit mit Unternehmen noch viel mehr erreichen, um die grossen ökologischen Herausforderungen zu meistern.

Welche Rolle spielen die Medien, wenn es darum geht, öffentlichen Druck aufzubauen?

Zimmermann: Sie spielen keine entscheidende Rolle. Mediendruck ist meist von kurzer Dauer. Wir müssen die Medienaufmerksamkeit nutzen, aber wir müssen auch am Thema dranbleiben, wenn die Medien längst nicht mehr darüber berichten.

Wie laufen WWF-interne Prozesse ab, wenn Allianzen geschaffen werden? Wer entscheidet, was getan wird?

Zimmermann: An erster Stelle steht eine Analyse zur Relevanz: Welche Sektoren und Unternehmen verursachen die grösste Umweltbelastung? In diese Analyse fliessen die Gedanken vieler Mitarbeiter mit ein, denn wir müssen sehr viel wissen über ein Unternehmen und eine Branche, um auch abschätzen können, welche Ziele erreichbar sind. Um die globalen Herausforderungen im Bereich Klima- und Ressourcenschutz zu meistern, kommt den multinationalen Unternehmen eine wichtige Bedeutung zu. Um ökologische Verbesserungen zu erzielen, werden konkrete Themen und Zielvereinbarungen definiert und regemlässig kontrolliert.

Gibt es für den WWF auch Feindbilder oder Unternehmen, mit denen Sie niemals zusammenarbeiten würden?

Zimmermann: Ja, es gibt eine Reihe von Ausschlusskriterien. Dazu gehören beispielsweise Unternehmen, welche mit fossilen Energieträgern handeln, die Atomenergie fördern oder ethisch kontroverse Tätigkeiten ausüben.

Bezahlen die Unternehmen den WWF für diese Beratung und die Zusammenarbeit?

Zimmermann: Ja, das sind wir unseren Mitgliedern und Spendern schuldig. Denn private Spendengelder für Unternehmen einzusetzen, die sehr viel Geld erwirtschaften, finden wir grundlegend falsch. Unsere Leistung und unsere Expertise und unser Name haben ja auch ihren Wert. Die Bandbreite der Beträge legen wir im Internet offen.

Herr Graf, von Frau Zimmermann haben wir viel über die Zusammenarbeit einer NGO im Umweltbereich und Allianzen mit der Wirtschaft gehört. Welche Kooperationsmöglichkeiten sehen Sie im Bereich der Suchtprävention?

Graf: Leider sehr wenige. Wenn ich Frau Zimmermann zuhöre, werde ich richtig neidisch. Nur in der Suchtprävention am Arbeitsplatz gibt es für uns  diese Win-Win-Situation, wie der WWF und seine Partner sie erleben. Dabei handelt es sich aber auch schon fast um ein echtes Business. Es werden zum Beispiel Kurse angeboten, um Alkohol- oder andere Suchtprobleme zu reduzieren. Ansonsten sehe ich tatsächlich keine Themen, in denen wir mit der Wirtschaft so zusammenarbeiten könnten, dass beide einen Vorteil daraus ziehen. Wir können mit einem Suchtpräventionsprojekt leider auch nicht schon nach drei Jahren Ergebnisse erkennen, wie das Frau Zimmermann geschildert hat. Ich bin überzeugt, dass unsere Projekte wirken, aber diese Wirkung ist sehr schwer zu belegen. Die Schwierigkeit, messbare Ziele innert weniger Jahre zu definieren, ist ein Grund, dass eine Zusammenarbeit mit Unternehmen fast unmöglich ist. Kein Tabak- oder Alkoholunternehmen ist dazu bereit, weniger zu verkaufen. Sie sind ausschliesslich darum bereit, sich für den Jugendschutz einzusetzen, weil das ihre gesetzliche Pflicht ist. Auch Unternehmen ausserhalb der Tabak- und Alkoholbranche sind nicht mehr an der Zusammenarbeit mit uns interessiert. Mit ganz wenigen Ausnahmen.

Anders sieht es bei der Gesundheitsförderung aus. Krankenversicherungen beteiligen sich zum Beispiel an Fitnessabos ihrer Mitglieder.

Graf: Ja, Gesundheitsförderung kann man gut verkaufen, aber Suchtpräven­tion nicht. Im vergangenen Jahr hat eine Krankenversicherung ihren Kunden eine Kiste Wein zum reduzierten Preis angeboten. In einer solchen Welt sind wir als Suchtpräventionsexperten nicht gerade ein attraktiver Partner.

Alkoholmissbrauch kostet die Krankenkassen doch aber ein Vermögen. Ist das kein Ansatz für eine Zusammenarbeit?

Graf: Unsere Botschaften sind einfach nicht sympathisch. «Trinken Sie nicht zu viel. Alkohol kann gefährlich sein. Rauchen tötet.» Das klingt alles nicht so prickelnd. Es ist aber schwierig, attraktivere Botschaften zu formulieren.

Freiwillig engagieren sich die Unternehmen in diesem Bereich also nicht. Funktioniert Suchtprävention nur über Zwang?

Graf: Massnahmen der Verhältnisprävention, also zum Beispiel Verkaufsverbote oder Preissteigerungen, sind tatsächlich am wirkungsvollsten. Aber auch Verhaltensprävention wirkt. Nur denken viele, das sei etwas, was in die Schule oder ins Private gehöre. Es ist sehr schwierig, für Suchtpräventionsprojekte Gelder zu bekommen, auch von Stiftungen.

Coop schreibt bei der Zigarettenauslage: «Coop nimmt den Jugendschutz ernst, deshalb verkauft Coop keine Zigaretten an unter 18-Jährige.»

Graf: Ja, das schreiben sie auch beim Alkohol. Sie haben sogar für vergorene Getränke die Altersgrenze auf 18 angehoben, obwohl vom Gesetz her schon 16-Jährige Bier kaufen dürften. Das ist sehr positiv, Coop leistet gute Arbeit, was den Jugendschutz betrifft. Aber es gibt bei Coop sehr billigen Alkohol, das fördert den Alkoholkonsum, das ist aus unserer Sicht höchst problematisch. Wir sind ein Kooperationspartner der WHO. Ich habe eine Erklärung unterzeichnet, in der ich versichere, dass ich mit der Tabak-, Alkohol- und Waffenindustrie wirtschaftlich nichts zu tun habe.

Wie sieht es mit der Gastronomie aus? Könnte das eine Partnerin sein, um kreative Ideen für einen vernünftigen Umgang mit Alkoholkonsum zu entwickeln und umzusetzen?

Graf: Ja, und das haben wir im Bereich des Jugendschutzes auch getan. Wir haben den Wirten zum Beispiel Flyer zur Verfügung gestellt und Schulungen durchgeführt. Ich hatte vor etwa 18 Jahren schon die Idee einer Art «Doggy Bag» für Alkohol, also dass man eine angebrochene Flasche auch nach Hause nehmen kann. Damals hielt man das für eine unmögliche Idee. Jetzt aber scheint sie sich durchzusetzen. Das sind gute Zeichen. Es zeigt, dass solche Ideen umsetzbar sind und dass Wirte dabei nichts verlieren müssen. Sollen sie ja auch nicht – ich habe nichts gegen die Gastronomie. Ich bin nur gegen einen unvernünftigen Alkoholkonsum.

Die Tabakindustrie hat in den letzten Jahren immer wieder angeboten, sich an der Tabakprävention, insbesondere am Jugendschutz, zu beteiligen. Eine Zusammenarbeit wurde von Präventionsakteuren aber immer abgelehnt. Warum?

Graf: Die Tabakindustrie ist nur darauf aus, in der Verhaltensprävention Goodwill zu demonstrieren, um verhältnispräventive Massnahmen wie Tabaksteuererhöhungen oder Werbeeinschränkungen abzuwenden. Letztere sind aber die wirklich wirkungsvollen Mittel. Die Präventionsbotschaften der Tabakindustrie sind zudem sehr fragwürdig. Es gibt zum Beispiel sogenannte Präventionsspots von Tabakunternehmen, in denen die Nichtraucher sehr naiv und uncool dargestellt werden.

Sehen Sie eine Möglichkeit, über das Argument des Imageverlusts der Tabakfirmen Druck aufzubauen?

Graf: Nein, dazu sind wir viel zu klein. Die Tabakindustrie hat fast unbegrenzte Mittel, dagegen haben wir keine Chance. Wir machen zum Beispiel schon lange darauf aufmerksam, dass Tabakunternehmen auf ökologischer Ebene eine Katastrophe sind. Sie ihrerseits werben mit Ökozigaretten, was natürlich Unsinn ist. Hier sieht man, wie die Tabakindustrie auf jeden Angriff eine Antwort hat. Eine falsche zwar, aber mit viel Geld kann man viel behaupten.

Die einzige Lösung wäre also eine internationale Allianz mit anderen Organisationen, um gegen den Tabak-Goliath zu kämpfen.

Graf: Die bestehen bereits. Bei der Alkoholprävention gibt es zum Beispiel Eurocare, einen Zusammenschluss von europäischen NGO, die neue Präventionsstrategien entwickeln möchten. Es ist aber äusserst schwierig, einen gemeinsamen Nenner im Bereich der Verhältnisprävention zu finden, da jedes Land andere gesetzliche Grundlagen hat. Deswegen stossen internationale Allianzen schnell an ihre Grenzen.
Zimmermann: Für mich ist klar, dass Sucht Schweiz nicht mit der Tabak- oder der Alkoholindustrie zusammenarbeitet. Bei Anbietern von alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken wie den Grossverteilern oder der Gastronomie könnte ich mir eine Zusammenarbeit, welche eine schrittweise Veränderungen im Sortiment anstrebt, vorstellen. Gerade Detailhändler oder Restaurants haben einen grossen Gestaltungsspielraum. Sie können Produktsortimente verbessern oder das Umsatzziel mit nichtalkoholischen Getränken steigern und dies mit gezieltem Marketing bekannt machen. Auch wenn die Veränderungen am Anfang klein sind, sind sie oft der erste Impuls zu grösseren wirtschaftlichen und gesetzlichen Verbesserungen.
Graf: Sie haben natürlich recht. Es gibt ja auch schon die gesetzliche Auflage, den sogenannten Sirup-Artikel, dass in einem Restaurant mindestens drei nichtalkoholische Getränke günstiger sein müssen als das günstigste alkoholische. Es war ein langer Kampf, das im Parlament durchzusetzen. Gesetzliche Veränderungen durchzubringen, ist ungeheuer schwierig. Bei Einzelaktionen wie einem Getränkekonzept für Festivals ist es schon einfacher, etwas zu bewirken, und das wird auch oft gemacht.
Zimmermann: Ich glaube, dass in der Gastronomie mit gezielten Kooperationen noch ein grosses Potenzial liegt. In den letzten Jahren kamen viele neue alkoholfreie Getränke von kleinen, sympathischen Herstellern auf den Markt. Mit dieser Auswahl kann man ein innovatives, attraktives Angebot zusammenstellen. Ich frage mich, ob man nicht auch Energie in die Verstärkung dieses Trends setzen könnte.
Graf: Das wäre grossartig. Verglichen mit vor zwanzig Jahren trinken heute auch schon viel mehr Menschen alkoholfreie Getränke zum Mittagessen. Aber leider gibt es für viele Leute keine echte Alternative zu alkoholischen Getränken. Wer ein echtes Bier trinken will, trinkt kein alkoholfreies. Das heisst, wir können das Sortiment an alkoholfreien Getränken zwar vergrössern, aber wir müssen gleichzeitig das Sortiment an alkoholischen Getränken unattraktiver machen, sei es über den Preis, die Erhältlichkeit oder die Auswahl. Das wäre für die Prävention ein Gewinn, aber nicht für die Wirtschaft. Das ist leider immer so. Unsere Lösungen sind leider immer sehr unattraktiv für die Wirtschaft.

Wie sieht es bei der Spielsucht aus?

Graf: Hier sieht die Zusammenarbeit mit den Anbietern besser aus als in anderen Bereichen. Die Casinos und Lotterie-Unternehmen übernehmen mehr gesellschaftliche Verantwortung als die Tabak- und die Alkoholindustrie. Auch die staatliche Kontrolle ist hier strenger. Es ist aus Präventionssicht nicht alles perfekt, aber diese Branche könnte gut als Vorbild für andere Branchen dienen.

Spielsüchtige oder Suchtgefährdete können sich in der Schweiz selber sperren lassen, sie haben dann schweizweit keinen Zutritt mehr zu Casinos. Wäre das ein denkbarer Ansatz für den Alkoholbereich?

Graf: Das Lokalverbot existiert in vielen Kantonen ja schon. Aber es ist viel schwieriger umsetzbar als in den Casinos, wo alle ihre Identitätskarte zeigen müssen. Die Casinos haben auch speziell ausgebildetes Personal, um Kunden mit einer potenziellen Spielsucht frühzeitig zu erkennen und Massnahmen zu ergreifen. Das ist in einem Restaurant nur schwer vorstellbar.

Frau Zimmermann, wie findet der WWF heraus, wo er den Hebel ansetzen muss, um Akteure für eine Allianz zu gewinnen und allfällige Fronten aufzuweichen?

Zimmermann: Dazu existiert leider kein Patentrezept. Es braucht viel Analyse, Strategie und auch ein Gespür für Entwicklungen. Oft fahren wir auf mehreren Gleisen und entscheiden unterwegs, in welche Richtung es weitergeht. Ratings sind für uns gute Mittel, die Unternehmen zum Umdenken und zur Öffnung für neue Ideen zu bewegen. Es braucht auch Hartnäckigkeit, Transparenz und klar definierte, messbare Ziele. Wir vereinbaren in der Regel Dreijahresziele und schauen jedes Jahr, wo wir stehen.
Graf: Wir sind vielleicht zu ambitioniert; oder sind wir zu stark ethisch geprägt? Für mich wäre es schon eine erste Etappe, mit den Unternehmen, die Alkohol verkaufen, über den Jugendschutz zu sprechen und alle anderen Probleme mal ausser Acht zu lassen. Aber in der Präventionswelt haben wir eine sehr strikte Haltung gegenüber der Wirtschaft. Vielleicht sollten wir versuchen, Schritt für Schritt an diese Themen heranzugehen, ohne alles auf einmal zu wollen.

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