«Jeder junge Mensch, der nicht zu rauchen beginnt, ist den Einsatz für Werbeverbote wert»
Mai. 2014Allianzen – Chancen und Grenzen
5 Fragen an Pascal Strupler. Dieses Frühjahr kommt das neue Tabakproduktgesetz in die Vernehmlassung, das unter anderem starke Werbeeinschränkungen vorsieht. Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit, über Selbstverantwortung, die Macht der Suggestion und die Grenze zwischen Wirtschaftsfreiheit und Jugendschutz.
Herr Strupler, das BAG informiert die Bevölkerung seit Jahren darüber, wie wichtig ein gesunder Lebensstil ist. Trotzdem stagniert in der Schweiz die Anzahl Rauchender, es gibt immer mehr Übergewichtige, und Junge trinken sich ins Koma. Warum kommen wir hier nicht weiter?
Wir haben, gerade bei den Raucherinnen und Rauchern, einiges erreicht. Ihre Zahl ist in den letzten zehn Jahren insgesamt stark zurückgegangen. Immer mehr Leute in der Schweiz wissen sehr genau, wie wichtig eine gute Ernährung und genügend Bewegung für die Gesundheit sind. Entsprechend treffen sie bewusste Entscheidungen. Aber Sie haben recht: Wir werden zusammen mit unseren Partnern noch grosse Anstrengungen unternehmen müssen, um das Gesundheitsbewusstsein weiter zu verbessern. Gute Prävention besteht aus einem Massnahmenmix. Information und Aufklärung spielen ebenso eine Rolle wie leicht zugängliche Suchtberatungsstellen, die Menschen bei einer Alkohol- oder anderen Abhängigkeit unterstützen. Zudem kann die Gesundheit der Bevölkerung mit gesetzlichen Massnahmen wie dem Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen wirksam geschützt werden. Eine Studie des Genfer Universitätsspitals zeigt zum Beispiel, dass die Zahl der Spitaleinweisungen wegen Atemwegserkrankungen seit der Einführung des Rauchverbots im öffentlichen Raum um 19% abgenommen hat. Wenn wir den Preis für Zigaretten markant erhöhen könnten, würde die Zahl der Rauchenden spürbar abnehmen. Das Problem ist, dass sich solche Massnahmen politisch oft nur schwer durchsetzen lassen.
Zu solchen strukturellen Massnahmen gehören auch Werbeverbote. Verstehen Sie, dass diese bei vielen Menschen Widerstand auslösen?
Bei der Gesundheitsförderung setzen wir in einem hohen Mass auf die Selbstverantwortung der Menschen. Wir zeigen ihnen auf, wie sich gewisse Verhaltensweisen auf die Gesundheit auswirken – positiv wie negativ. Die Werbung für gesundheitsschädigende Produkte wie Zigaretten suggeriert dagegen, dass der Konsum gar nicht so schlimm sei. Die negativen Auswirkungen des Rauchens werden ausgeblendet. Das Rauchen wird in den Werbespots oft mit einem Gefühl der Freiheit verbunden. In der Realität ist es genau umgekehrt: Das Rauchen führt in eine Abhängigkeit, aus der man sich nur mit grösster Mühe befreien kann. Ich weiss, wovon ich spreche, ich habe auch einmal geraucht.
Lassen sich die Menschen wirklich so stark von Werbung beeinflussen?
Am empfänglichsten für Werbung sind fatalerweise Jugendliche und Kinder. Das ist auch der Grund, weshalb wir die Werbung für schädliche Produkte einschränken wollen. Wir wollen diese jungen Menschen schützen. Sie sind oft noch nicht in der Lage, Gefahren richtig einzuschätzen.
Laut Selbstdeklaration legen die Zigarettenfabrikanten bei der Vermarktung besonderen Wert auf Jugendschutz. Reicht dieses Zugeständnis nicht aus?
Plakate richten sich vordergründig an Erwachsene, aber sie erreichen und beeinflussen natürlich auch Jugendliche und Kinder. Das gilt ebenso für Inserate und Werbespots. Werfen Sie einmal einen Blick in die Gratiszeitungen: Es gibt nirgends sonst so viel Werbung für Tabakprodukte wie dort, und diese Printprodukte werden von sehr vielen Jugendlichen gelesen. Ich glaube nicht an einen Zufall!
Werbeverbote schränken die Wirtschaftsfreiheit ein. Ist das verhältnismässig?
Die Wirtschaftsfreiheit ist ein Grundrecht. Es gibt aber auch ein Recht des Einzelnen auf ein gesundes Leben. Nun müssen die beiden Güter gegeneinander abgewogen werden. Aus gesundheitspolitischer Sicht ist die Antwort für mich klar: Jeder junge Mensch, der nicht zu rauchen beginnt, ist den Einsatz für Werbeverbote wert. Wir stehen mit dieser Ansicht nicht allein da. Das Bundesgericht hat 2002 in einem Urteil festgehalten, dass das Tabakwerbeverbot im Kanton Genf die Grundrechte der Meinungsäusserungsfreiheit, der Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsfreiheit nicht verletzt. Immerhin.