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Politische Allianzen: Wie weit ist zu weit?

Ausgabe Nr. 104
Mai. 2014
Allianzen – Chancen und Grenzen

Forum Jean-Félix Savary. Wie kann man Allianzen für eine kohärente Suchtpolitik bilden? Das ist die zentrale Frage in der politischen Arbeit der Fachverbände.

Der Konsum von psychoaktiven Substanzen ist eine Realität unserer Gesellschaft, die eine erhebliche Zahl von Menschen und Institutionen beschäftigt. Folglich sind die Fragen im Zusammenhang mit Sucht in der Regel komplexe politische Themen, bei denen oft eine ganze Reihe unterschiedlicher Interessen im Spiel sind.
Diese Vielfalt von Ansätzen verlangt, über Strategien für mögliche Allianzen mit anderen Akteuren im Bereich Soziales von vornherein nachzudenken, die nicht aus dem Bereich Public Health stammen. Wie die Geschichte uns lehrt, vermögen nämlich die Argumente der Public Health, auch wenn sie noch so glaubwürdig sind, die politische Mehrheit nicht zu überzeugen. Wie sollen vor diesem Hintergrund Partnerschaften aufgebaut werden? Wie weit sollen wir unsere Koalitionen für neue Partner öffnen? Wie weit können wir gehen? Diese Fragen sind von zentraler Bedeutung in der Definition unserer politischen Strategien.
In einem demokratischen System geht es nicht darum, recht zu haben, sondern darum, eine Mehrheit zu erhalten. Eine subtile Nuance, die uns von Anfang an klar macht, dass die Wissenschaft nie über die Politik herrschen kann. Diese schöne Idee, entwickelt von Platon in «Der Staat», konnte leider nie in die Praxis umgesetzt werden. Es sind die Interessen der verschiedenen Bestandteile des sozialen Systems, die auf der Grundlage von Kompromissen das Ergebnis des politischen Prozesses bestimmen. Also könnte man per Definition sagen, dass Staatspolitik nicht evidence-based sein kann. Aber sie kann durchaus evidence-informed sein und sich auf die verfügbaren wissenschaftlichen Daten abstützen. Mit anderen Worten: Die Politik bestimmt die Richtung, aber die Ausgestaltung der Einzelheiten kann vom Fachwissen der jeweiligen Spezialisten beeinflusst werden. Das politische System der Schweiz funktioniert so. Es sieht vor, dass jeder Bereich seine jeweiligen Positionen behauptet. Da die Mehrheit bestimmt, ist das entscheidende Kriterium die Mehrheitsfähigkeit. Es geht darum, eine Allianz zu schliessen, welche grösser ist als diejenige der Gegner.
Das Spiel der Allianzen ist nicht ohne Risiken. Sich anderen anzuschliessen, bedeutet auch, sich von seinen Kernanliegen zu entfernen, um mit den Positionen unserer Partnern kompatibel zu werden. Je grös­ser eine Koalition wird, umso mehr entgleitet uns der klar umrissene Schwerpunkt – während gleichzeitig die Erfolgschancen steigen. Zunächst muss man wissen, was man will. Um kurzfristig etwas zu erreichen, beispielsweise in einer Krisenzeit, sind Kompromisse unverzichtbar und die Flexibilität unserer Position ist überlebenswichtig. Die Revision des Betäubungsmittelgesetzes liefert uns ein Beispiel. Und wie steht es mit dem Alkohol und dem Glücksspiel, zwei aktuellen Gesellschaftsthemen auf der Schweizer Gesetzgebungsagenda?
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus zwei grundlegenden Fragen.
– Welche politische Kräfte stehen sich gegenüber? Ihre Analyse ist wichtig, um festzustellen, wie weit wir von unseren ursprünglichen Anliegen abrücken müssen.
– Welches Resultat erhoffen wir kurzfristig? Je unverzichtbarer dieses Ziel, umso weiter müssen wir uns für Allianzen öffnen, selbst wenn diese gegen die Natur sind. Auch eine unnachgiebige Haltung kann legitim sein, aber der gewünschte Effekt wird so erst auf lange Sicht erreicht.
Die Antworten auf diese Fragen sollten uns helfen, unsere Strategien zu entwickeln.

Jean-Félix Savary,
Generalsekretär Groupement Romand d’Etudes des Addictions, GREA

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