
Hilfe für Menschen, die sich um Kopf und Kragen spielen
Mai. 2014Allianzen – Chancen und Grenzen
Spielsuchtprävention. Spielsucht ist ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Etwa 3% der Schweizer Bevölkerung, also rund 250 000 Personen, sind direkt betroffen, zählt man die Angehörigen dazu, wird rund ein Fünftel der Menschen in unserem Land durch übermässiges Geldspiel in Mitleidenschaft gezogen. Der neue Verfassungsartikel 106 gibt dem Bund die Möglichkeit, das Geldspiel umfassend gesetzlich zu regeln. Eigentlich eine wichtige präventionspolitische Weichenstellung. Doch wird die Chance genutzt?
Spielsucht ist eine anerkannte psychische Erkrankung. Gemäss dem Standardwerk Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) ist «pathologisches Spielen» eine psychische Krankheit der Gruppe «mangelnde Impulskontrolle». Lässt der Staat Geldspiele zu, so ist es gleichzeitig seine Pflicht, die Gesellschaft und die Individuen vor den negativen Folgen übermässigen Spielens zu schützen.
Isolation, Selbstmord und soziale Folgekosten
Spielsucht hat ähnliche Auswirkungen auf das Individuum und dessen Umfeld wie andere Süchte. So weisen Spielsüchtige oftmals eine weitere psychische Erkrankung wie Depression oder Stresssymptome auf, viele Betroffene sind auch suizidal: Rund ein Drittel der Menschen, die Beratung in Anspruch nehmen, sprechen von Selbstmordgedanken. Eine Studie aus Kanada geht davon aus, dass rund 5% der erfolgreichen Suizide der Spielsucht geschuldet sind. Hochgerechnet auf die Schweiz, wären dies 50 bis 100 Suizide pro Jahr. Spielsüchtige oder problematisch Spielende frönen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung auch einem massiv höheren problematischen Substanzkonsum: Rund 60% konsumieren Tabak, 40% haben einen problematischen Alkoholkonsum, und 4% konsumieren illegale Substanzen.
Neben den gesundheitlichen Auswirkungen ist eine Spielsucht oftmals Ursache für tiefgreifende soziale Probleme. Insbesondere die Schuldenfrage ist bedeutend für Spielende. Rund 17% der exzessiven Spieler eröffnen Privatkonkurs. Für viele führt das pathologische Spielen zu Konflikten mit dem Umfeld (Trennung, Scheidung, Konflikte am Arbeitsplatz) und in eine zunehmende soziale Isolation. Spielsucht führt bei den Betroffenen zu Depression und Stress, sie empfinden Schande, Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit.
Junge Menschen und Männer sind eher gefährdet, problematisch zu spielen bzw. eine Abhängigkeit zu entwickeln. Verschiedene Studien weisen auf einen Zusammenhang mit einem eher tiefen sozialen Status hin. Und in den letzten drei Jahren verzeichneten verschiedene Kantone einen markanten Anstieg der Anfragen spielsüchtiger Menschen.
Die gesamten sozialen Kosten der Spielsucht betragen gemäss einer Studie des Institutes für Wirtschaftsforschung der Universität Neuenburg aus dem Jahr 2012 zwischen 545 und 658 Mio. Franken jährlich.
Ein Markt mit Wachstumspotenzial
Der Gamingmarkt wächst stark. Der Bruttospielertrag hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. In den Schweizer Spielcasinos wurden 2012 rund 957 Mio. Franken verspielt, bei Lotterien und Wetten 910 Mio. Franken. So flossen 2012 rund 320 Mio. Franken aus den Spielbankenerträgen in die AHV, und die Kantone konnten (über die kantonalen Lotteriefonds) mit dem Ertrag aus den Lotteriespielen Sport-, kulturelle und soziale Projekte und Veranstaltungen unterstützen. Ausländische Studien kommen zum Schluss, dass rund ein Drittel der Bruttospielerträge von süchtigen Spielern stammen, wobei diese nur 4% der Kundschaft ausmachen.
Das neue Geldspielgesetz will neben einer verbesserten Koordination der Lotteriespiele und der Spielbanken neu auch Onlinespiele in der Schweiz zulassen. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass sich hier ein nicht überschaubarer Markt auftut, der die Konzessionsgeber wie die Prävention vor grosse Herausforderungen stellt. Die Gefahr der Abhängigkeit wird zudem potenziert. Sind Spiele auf dem Smartphone für Erwachsene, aber auch für Jugendliche unter 18 Jahren unbeschränkt verfügbar, ist es schwierig, sich selber Grenzen zu setzen. Und auch die Spielanbieter haben kaum Instrumente, um beispielsweise jene Spielenden zu erkennen, die gefährdet sind, eine Spielsucht zu entwickeln oder sich wegen exzessiven Geldspiels massiv zu verschulden.
Neue gesetzliche Grundlage
Das Geldspielgesetz basiert auf Artikel 106 der Bundesverfassung und wird künftig das Lotteriegesetz und das Spielbankengesetz ersetzen. Aktuell sind die Lotterien und Wetten im Lotteriegesetz geregelt und liegen in der Hoheit der Kantone. Diese nehmen die Aufsicht über die Fachdirektorenkonferenz Lotterien und Lotteriegesetz wahr, die Konzessionen werden über die Lotterie- und Wettkommission (Comlot) erteilt. Der Spielertrag fliesst in die kantonalen Lotteriefonds, über welche die Kantone kulturelle, sportliche und soziale Veranstaltungen und Projekte unterstützen. Aktuell sind 0,5% dieses Ertrags zweckgebunden für Prävention, Früherkennung und Behandlung von Spielsucht. Die Casinos sind über das Spielbankengesetz geregelt. Die Aufsicht obliegt der Eidgenössischen Spielbankenkommission, welche den A- und B-Casinos Konzessionen zum Spielbetrieb erteilt. Die Erträge der Casinos fliessen zu grossen Teilen in die AHV und (bei den B-Casinos) in die Standortkantone. Eine Spielsuchtabgabe gibt es für diesen Bereich keine, allerdings sind die Casinobetreiber verpflichtet, Massnahmen der Prävention und der Früherkennung zu ergreifen.
Um den Auftrag des Verfassungsartikels zu erfüllen, «durch Gesetzgebung und Aufsichtsmassnahmen einen angemessenen Schutz» zu sichern und dabei «die unterschiedlichen Merkmale der Spiele sowie Art und Ort des Spielangebots» zu berücksichtigen, ist mit dem neuen Gesetz geplant, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, welche die Vollzugsbehörden dieses Gesetzes, also Kantone, Spielanbieter und Fachleute aus Prävention und Behandlung, beraten soll. Ausserdem soll sie Empfehlungen zur Früherkennung erarbeiten, die nationalen und internationalen Entwicklungen in allen Belangen der Spielsucht verfolgen und den Bundesrat und die Kantone regelmässig über ihre Arbeit informieren. Zudem soll die Pflicht der Spielanbieter weiterhin gesetzlich verankert bleiben, Präventionsmassnahmen gegen Spielsucht zu ergreifen.
Fachtagung zum Thema Spielsucht
Vom 15. bis 17. Januar 2014 fand in Neuenburg eine Tagung zum Thema Spielsucht statt. In den international angelegten Referaten und Workshops wurden namentlich folgende Brennpunkte des Themas herauskristallisiert:
Es bestehen grundsätzliche Interessenkonflikte: Die Anbieter von Geldspielen streben nach Gewinnoptimierung, die Akteure aus dem sozialen und Gesundheitsbereich nach Spielsuchtprävention für das Individuum und Schutz der
Gesellschaft vor den negativen Folgen exzessiven Geldspiels. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Konzessionären und Gesundheitsbehörden ist als Fazit deshalb erstrebenswert. Dazu sei es notwendig, dass Prävention ein zentrales Kriterium für die Genehmigung von Geldspielen sein müsse und dass Gesundheits- und Sozialbehörden enger in die Ausgestaltung des Spielangebots einbezogen würden.
Neben einer besseren Einbettung der Prävention in die Bewilligungsverfahren bedürfe es in den nächsten Jahren einer Verbesserung im Austausch zwischen Forschung und Praxis. Gerade weil die Folgen von Geldspielabhängigkeit so vielfältig sind, stellen sich viele Fragen in Bezug auf Handlungsoptionen sowohl aus Sicht der öffentlichen Gesundheit wie auch der sozialen Sicherheit.
Vier-Säulen-Politik auch für die Spielsucht
Die künftige Entwicklung der Spielsuchtprävention könne, so der Tenor, auf die in der Schweiz gemachten Erfahrungen mit dem Ansatz der Schadensminderung auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen aufbauen. Das Zusammenspiel von Prävention, Schadensminderung, Therapie und – in Bezug auf das Geldspiel – gezielten Spieleinschränkungen sei der Königsweg, um die Spielenden vor den Gefahren des Geldspiels zu schützen und die Spielsucht einzudämmen. Dazu bedürfe es jedoch ausreichender Mittel, denn nur so können wirksame und effiziente Präventions- und Behandlungsangebote garantiert werden. Die aktuell existierende Spielsuchtabgabe müsse in jedem Fall beibehalten werden, es sei zudem zu prüfen, ob eine solche auch auf Spielerträgen aus dem Spielbankenbereich zu erheben sei.
Last, but not least sei für die Prävention und die Forschung zentral, Zugang zum Wissen der Spielanbieter und der Aufsichtsbehörden zu haben. Nur so könne eine optimale Zusammenarbeit und die Erforschung der Spielsucht und ihrer Entstehungsbedingungen garantiert werden. Heute funktioniere dieser Austausch nur ungenügend, insbesondere profitierten die Spielanbieter zu wenig vom Wissen der Sucht- und Präventionsfachleute.
Als das Spielbankengesetz 1998 verabschiedet wurde und somit Casinos in der Schweiz überhaupt erst zugelassen wurden, bekam die Prävention einen hohen Stellenwert. Ob das 2014 noch so ist und ob auch für die neu zugelassenen Onlinespiele der Schutz der Spielenden an erster Stelle steht, wird die kommende politische Debatte weisen.
Kontakt
Astrid Wüthrich, Koordinations- und Dienstleistungsplattform Sucht, astrid.wuethrich@bag.admin.ch