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Aus erster Hand

Ausgabe Nr. 91
Mär. 2012
Gesundheit im Gefängnis

Editorial Karen Klaue. Im Gefängnis ist die Gefahr, sich mit einer Infektionskrankheit wie HIV/Aids, Hepatitis oder Tuberkulose anzustecken, grösser als in Freiheit. Inhaftierte haben zwar keine freie Arztwahl und keinen autonomen Zugang zur präventiven und kurativen Gesundheitsversorgung, doch sie müssen dieselbe Chance auf die bestmögliche Gesundheit und dieselbe gesundheitliche Beratung, Pflege und Betreuung bekommen wie Menschen in Freiheit.

Dieses sogenannte Äquivalenzprinzip ist nicht nur ein moralischer, sondern auch ein rechtlicher Imperativ. Der Staat ist gemäss der Bundesverfassung, dem Strafgesetzbuch und den Menschenrechten für die Verhinderung von Gesundheitsbeeinträchtigungen der Personen in seinem Gewahrsam zuständig. Er hat alle ihm zumutbaren Massnahmen der Überwachung und der Prävention zu treffen. Dabei geht es nicht nur um das Bereitstellen von Spritzen oder Kondomen. Es geht auch um ein gesundes Essensangebot und um Bewegungsmöglichkeiten. Schliesslich stellt sich auch die Frage nach dem Schutz der psychischen Gesundheit im Freiheitsentzug – eine der streitbarsten ungelösten Fragen im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der Justiz und der öffentlichen Gesundheit.
Die Schweiz gehört bezüglich Prävention in Gefängnissen zu den Pionierinnen. Schon vor 15 Jahren wurde im Frauengefängnis Hindelbank ein Spritzenautomat eingeführt. Heute gibt es in der Schweiz das Projekt «BIG – Bekämpfung von Infektionskrankheiten im Gefängnis». Ziel ist es, Übertragungen von Infektionskrankheiten im Vollzug, aber auch zwischen Vollzug und Aussenwelt einzudämmen. Für den Strafvollzug und die Gesundheitsversorgung in Gefängnissen sind in der Schweiz die Kantone zuständig. Die erforderliche Gleichwertigkeit ist leider nicht in allen Kantonen im notwendigen Masse gegeben. Auch diesen Missstand bekämpft das Projekt BIG, indem Minimalstandards geschaffen werden.
Der Zugang zur Gesundheit ist oft auch durch sprachliche und kulturelle Barrieren erschwert: Mehr als zwei Drittel aller Gefängnisinsassinnen und -insassen stammen aus dem Ausland. Angebote wie interkulturelles Übersetzen – durch Dolmetscherinnen vor Ort oder am Telefon – erleichtern diesen Zugang. Sie auch hinter Gittern bereitzustellen, gehört zu den Aufgaben des Staates.  
Gefängnisgesundheit ist öffentliche Gesundheit. Es liegt im Interesse aller, die zum Teil prekäre Gesundheitslage in den Schweizer Vollzugsanstalten zu verbessern. Nicht zuletzt deshalb, weil die Krankheiten keineswegs in den Gefängnismauern eingeschlossen bleiben.


Karen Klaue
Projektleiterin BIG, Bundesamt für Gesundheit

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