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Checkpoints sollen zu schwulen Gesundheitszentren werden

Ausgabe Nr. 87
Jul. 2011
Männergesundheit

Queer Health. Schwule sind nicht nur überdurchschnittlich stark von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) betroffen, auch ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist deutlich schlechter als derjenige der Allgemeinbevölkerung. Um diese Entwicklung aufzuhalten, sollen in der Schweiz fünf Gesundheitszentren mit einem schwulenspezifischen Angebot geschaffen werden.

Die Studie «Santé Gaie» von Dialogai Genf und der Uni Zürich sowie die zweijährlich wiederholte Befragung GAYSURVEY der Uni Lausanne belegen den vergleichsweise schlechten Gesundheitszustand der homosexuellen Männer. In den letzten Jahren hat sich gar ein Trend in die negative Richtung abgezeichnet, insbesondere im Bereich der seelischen Gesundheit. Junge Schwule begehen signifikant häufiger Suizid und Suizidversuche als heterosexuelle Jugendliche. Es ist erwiesen, dass dies mit Coming-out-Problemen und mit der Diskriminierung durch andere Jugendliche und durch Teile der Bevölkerung zusammenhängt.

Mehr psychosoziale Unterstützung
Seit fünf Jahren unterstützt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Zürich und Genf sogenannte Checkpoints. Das sind Anlaufstellen, in denen sich Schwule zu HIV und anderen STI beraten, testen und begleiten lassen können. Seit der Veröffentlichung der «Santé Gaie»-Studie sind die Checkpoints dazu übergegangen, die ausschliesslich krankheitsbezogenen Angebote um gesundheitsförderliche Elemente zum Beispiel im psychosozialen Bereich zu erweitern. Diese Entwicklung soll nun noch weiter gehen: Eine Zukunftsvision sieht ein Netz von fünf schwulen Gesundheitszentren in Basel, Bern, Genf, Waadt und Zürich vor. Sie sollen den ca. 5% Schwulen in der männlichen Schweizer Wohnbevölkerung eine umfassende gay-freundliche Gesundheitsversorgung und -förderung anbieten. So wie Frauen lieber zu Gynäkologinnen gehen, fühlen sich auch Schwule durch gay-freundliche Angebote besser angesprochen und versorgt, weil sie dort meist auf mehr Kenntnis und Verständnis für ihre Situation stossen.

Gute Ansätze im Checkpoint Zürich
Doch wie könnte das Angebot solcher schwulen Gesundheitszentren aussehen? Der Checkpoint Zürich ist auf dem Weg zu einem schwulen Gesundheitszentrum schon weit fortgeschritten und hat bereits viele interessante Angebote aufgebaut, die als Vorbild für weitere Zentren dienen könnten.
– Voluntary Counselling and Testing (VCT): Der Checkpoint Zürich ist eines von zwölf Zentren in der Schweiz, die Schnelltests auf freiwilliger Basis anbieten und eine Risikoeinschätzung sowie Beratung und Begleitung nach einem einheitlichen, internetbasierten Tool anbieten.
– Queer+: In diesem dreitägigen Kurs erhalten frisch mit HIV Infizierte und ihre Partner Unterstützung und Informationen zu den Themenbereichen Medizin/Therapie, Recht, Versicherung und psychosoziale Probleme. Ziel des Kurses ist es, dass Betroffene und ihre Partner besser mit der Infektion und mit den neuen Herausforderungen des Alltags umgehen können. Zudem sollen sie erfahren, wie sie die Weitergabe von HIV und STI verhindern und ihre Gesundheit fördern können. Die Evaluation des ersten Kurses (siehe Artikel in spectra Nr. 77) hat ergeben, dass ein solches Angebot einem grossen Bedürfnis entspricht. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass der Kurs zwar euphorisch bewertet wurde, aber sich im Alltag als wenig nachhaltig erwies.
Aufgrund der «Queer+»-Evaluation wurde eine Reihe von niederschwelligen Angeboten für die Bewältigung des Alltags geschaffen:
– Queer-Talk ist ein Angebot für die seelische Gesundheit, zur Abklärung von seelischen Problemen und einer allfälligen Überweisung in eine Psychotherapie.
– KISS ist ein Gruppenangebot zum kontrollierten Umgang mit Drogen. Grund dafür ist, dass viele Übertragungen von HIV und anderen STI unter Drogeneinfluss stattfinden.
– Queer-Help-Gruppe: In dieser Gruppe unterstützen HIV-positive Experten frisch Infizierte dabei, ebenfalls Experten im Umgang mit ihrer Infektion zu werden. Bei anderen chronischen Krankheiten ist das Selbstmanagement bezüglich Therapie einfacher. Ein Diabetiker spürt zum Beispiel sofort, wenn etwas mit der Therapie nicht stimmt. Er macht einen kurzen Test und nimmt bei Bedarf eine zusätzliche Dosis seines Medikaments. Bei HIV geht das nicht. Wenn ein HIV-Positiver vergisst, sein Medikament einzunehmen, spürt er nichts. Er kann keinen Selbsttest machen und die Therapie nicht selbstständig verändern. Die Therapie verliert aber schnell an Wirkung, wenn die Medikamente nicht regelmässig eingenommen werden. Künftig sollen daher beispielsweise iPhone-Apps die HIV-Positiven dabei unterstützen, an die Medikamenteneinnahme zu denken und rechtzeitig zur Kontrolle zu gehen.

Einige Gesundheitsangebote des Check­point Zürich richten sich auch an nicht infizierte Schwule, z.B.:
– Du-bist-Du: In diesem Projekt unterstützen jugendliche Schwule nach dem Peer-to-Peer-Ansatz andere Jugendliche beim Coming-out. Das ist einer der wichtigsten Ansätze zur Suizidprävention Jugendlicher.
– Queer Quit: Dieses Nichtraucherprojekt hat schon rund 60 Schwulen dabei geholfen, mit dem Rauchen aufzuhören.

Die meisten dieser Angebote haben einen deutlich emanzipatorischen Charakter. Das heisst, sie machen Betroffene zu Experten für sich selbst und für andere. Die Idee ist, dass Teilnehmer der Queer-Help-Gruppe künftig die Verantwortung für den Kurs Queer+ übernehmen und selbständig von A bis Z durchführen. Auch sollen nikotinentwöhnte Queer-Quit-Absolventen künftig zu Kursleitern für Rauchentwöhnung werden. Erfahrungsgemäss lernen Betroffene besser von Betroffenen, weil sie ihnen mehr Kompetenz im Umgang mit schwierigen Situationen zubilligen als unbetroffenen Fachleuten.

Kontakt

Martin Werner, Sektion Prävention und Promotion, martin.werner@bag.admin.ch

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