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«Der fürsorgliche Umgang mit dem eigenen Körper widerspricht den traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit»

Ausgabe Nr. 87
Jul. 2011
Männergesundheit

Fünf Fragen an Verena Hanselmann, Leiterin des Bereichs Gender Health im Bundesamt für Gesundheit. Als geschlechtergerechtes Prinzip im Gesundheitswesen umfasst Gender Health jede Form von politischer, wissenschaftlicher, gesundheitsfördernder oder kurativer Praxis.

Spectra: Die Lebenserwartung der Männer ist um gut fünf Jahre niedriger als jene der Frauen. Die Schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt aber, dass Männer ihre eigene Gesundheit als besser einschätzen als Frauen. Was sind die Gründe für diesen Widerspruch?

Verena Hanselmann: Die subjektive Einschätzung der eigenen Gesundheit sowohl im physischen wie im psychischen Bereich steht immer in enger Verbindung mit den Alltagserfahrungen und dem Gefühl, das eigene Leben und die damit verbundenen Handlungen zu verstehen, als wichtig wahrzunehmen und kontrollieren zu können. Eine hohe Kontrollüberzeugung ist eine wichtige Ressource für die Gesundheit. Männer haben diesbezüglich eine bessere Einschätzung.

Gibt es nicht auch Männer, die dieses Gefühl der Kontrolle nicht haben und die sich dem Leben eher ausgeliefert fühlen?

Sicher gibt es diese Männer. Die Statistik zeigt, dass Personen mit einem hohen Bildungsniveau ein besseres Kontrollgefühl haben als jene mit einem obligatorischen Schulabschluss. Dies trifft auf Männer wie Frauen zu. Werden alle Alterskategorien zusammengenommen, haben Männer unabhängig vom Bildungsniveau allgemein ein besseres Kontrollgefühl als Frauen. Dennoch gibt es auch hier Nuancen. Männer mit einem obligatorischen Schulabschluss haben im Alter von 45 bis 64 Jahren am wenigsten das Gefühl, ihr Leben gut kontrollieren zu können. Sie schätzen zudem ihre eigene Gesundheit als nicht so gut ein und geben an, unter einer hohen psychischen Belastung zu stehen. Diese Männer erzielen signifikant schlechtere Werte als Frauen des gleichen Alters und des gleichen Bildungsniveaus.

Befinden sich diese Männer in einer Midlife-Crisis?

Diese Männer haben eher Berufe mit hoher physischer Belastung und niedriger gesellschaftlicher Anerkennung. Die «männliche» Arbeitswelt ist durch eine hohe körperliche Belastung, Lärm, Schmutz, Hitze und Stress gekennzeichnet. Das sind Arbeitsbedingungen mit einem hohen gesundheitlichen Risiko, die dazu führen, dass Männer im Vergleich zu Frauen mehr unter gesundheitlichen Risiken in Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit leiden. Männer definieren ihr Selbstbild zudem stark über ihre Arbeit. Die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust steigt ab 40, und je niedriger die Bildung, umso grös­ser diese Angst.

Wie gehen Männer mit Stress um?

Herbert Grönemeyer hat in seinem Lied «Männer» treffend zum Ausdruck gebracht, dass der Leidensdruck bei Männern sehr hoch sein muss, bis sie Hilfe in Anspruch nehmen. Das trifft auch im Bereich der Stressverarbeitung und der psychischen Gesundheit zu. Der fürsorgliche Umgang mit dem eigenen Körper widerspricht den traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Die Praxis zeigt, dass Männer oft (zu) spät Vorsorgeuntersuchungen (z. B. Krebs, Herz-Kreislauf) durchführen lassen. Im Erkrankungsfall ist dann eine Spitaleinweisung oftmals unumgänglich – auch im psychischen Bereich. Psychisch erkrankte Männer brauchen mehr stationäre Behandlung im Vergleich zu Frauen.

Welche Schwerpunkte sollten zur Förderung der Männer­gesundheit gesetzt werden?

– Männergerechte Präventionsangebote. Insbesondere fehlen Angebote für junge Männer und Männer mit einem niedrigen sozialen Status. Menschen mit einem niedrigeren sozialen Status (niedrige Bildung, niedriger beruflicher Status und niedriges Einkommen) sind kränker und haben eine geringere Lebenserwartung als Menschen mit einem höheren sozialen Status. Dieser Sozialgradient kommt bei den Männern deutlich zum Vorschein, insbesondere was die Bildung anbelangt.
– Gewalt- und Suizidprävention stärker männergerecht gestalten. Männer sterben mehr als doppelt so häufig an den Folgen eines Gewaltdelikts wie Frauen. Im Bereich des Suizids sind die Präventionsangebote nicht nur auf junge Männer anzupassen, sondern insbesondere die Bedürfnisse älterer Männer (sie haben die höchste Suizidrate) einzubeziehen.
– Männerspezifische (verhaltensbezogene) Gesundheitsrisiken weiter senken und damit verlorene Lebensjahre aufgrund von frühzeitigem Tod durch Herzinfarkt oder Krebs wieder zurückgewinnen.

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