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Schweizer Pandemiebekämpfung im Check-up

Ausgabe Nr. 83
Nov. 2010
Gesundheitsfolgenabschätzung

Evaluationen. Zwei Expertenbeurteilungen zur schweizerischen Pandemiebekämpfung des H1N1-Grippevirus («Schweinegrippe») attestieren den verantwortlichen Akteuren ein grosses Engagement bei der Krisenbewältigung, decken aber auch Verbesserungspotenzial auf.

Die zwei von externen Experten durchgeführten Evaluationen beziehen sich auf die schweizerische H1N1-Impfstrategie und auf die BAG-interne Krisenorganisation im Zusammenhang mit der H1N1-Krise, die von März 2009 bis Februar 2010 dauerte. Zweck der Evaluationen war es, Optimierungsvorschläge für künftige Impfstrategien im Krisenfall und BAG-interne Krisenbewältigungen sowie Empfehlungen für das revidierte Epidemiengesetz zu gewinnen, das sich derzeit in der Vernehmlassung befindet.

Evaluation der Impfstrategie: Pandemien erfordern eine starke zentrale Steuerung
Die Hauptziele der Evaluation der schweizerischen Impfstrategie bestanden in der Beurteilung der Impfplanung sowie der Beschaffung, Zulassung, Auslieferung, Feinverteilung, Anwendung und Weiterverwendung/Entsorgung des Impfstoffs. Gemäss den Experten haben die Schweizer Behörden die Situation insgesamt gut gemeistert. Viele Schwierigkeiten, mit denen die Schweiz zu kämpfen hatte, waren auch in andern europäischen Ländern aufgetreten.
Als zentrales Problem im Umgang mit der H1N1-Pandemie eruierten die Evaluatoren die mangelnde Koordination und Standardisierung des nationalen und der kantonalen Pandemiepläne. Sie empfehlen, dem Bund die Kompetenz für die Standardisierung und schweizweite Durchsetzung von essenziellen Elementen von Pandemieplänen zu übertragen. Dazu gehört insbesondere die Kontrolle über einen standardisierten Vertriebsprozess der Impfstoffe vom Zentrallager zu den Kantonen. Zudem sollen Szenarien für unterschiedliche Schweregrade des Pandemieverlaufs in die Pandemiepläne integriert werden. In der präpandemischen Phase sollten die wichtigsten Prozesse zudem regelmässig geübt werden. Für die Beschaffung von Impfstoff schlagen die Experten vor, künftig bei der Auswahl der Impfstoffe die Möglichkeiten eines vereinfachten regulatorischen Vorgehens stärker zu berücksichtigen. Zudem würde ein Datenaustausch-Abkommen zwischen der schweizerischen Zulassungsstelle Swissmedic und anderen wichtigen Zulassungsbehörden (z. B. der europäische Arzneimittelagentur EMEA) die Zulassungsverfahren erheblich vereinfachen und beschleunigen, was in einer Notsituation unabdingbar ist.
Um die Kommunikation im Krisenfall zu verbessern, empfehlen die Autoren, eine Kommunikationsstrategie in den Pandemieplan zu integrieren, die eine Führungsperson benennt, welche die Leitung der schweizweiten Kommunikation übernimmt und die Kommunikation mit allen Stakeholdern koordiniert.
Mit der Revision des Epidemiengesetzes sollte die Position des Bundes insgesamt gestärkt und damit die Voraussetzung für eine effektive und effiziente Impfstrategie geschaffen werden. Das derzeit geltende Gesetz verleiht dem Bund keine rechtliche Grundlage für die Vorbereitung und die Überwachung einer koordinierten und kohärenten Reaktion auf eine pandemische Grippe, bevor sie die kritische Phase erreicht hat. In den meisten Fällen ist dies aber zu spät.

Evaluation der BAG-internen Krisenorganisation: Schattenorganisation schon während des courant normal aufbauen
Die Evaluation der BAG-internen Krisenorganisation kommt insgesamt zur Erkenntnis, dass die Mitarbeitenden des BAG die Krise mit grossem Engagement und Flexibilität bewältigt und ihre Erfahrungen aus früheren Krisen eingebracht haben. Defizite stellten die Experten vor allem in der systematischen und konsequenten Planung und Umsetzung der BAG-Krisenorganisation fest. Diese sollte schon in Zeiten des courant normal als Schattenorganisation aufgebaut werden, damit sie in der Krisenzeit rasch aktiviert werden kann. Das bedingt das Erstellen von Anforderungsprofilen für die verschiedenen Krisenfunktionen und die entsprechende Rekrutierung und Schulung der Mitarbeitenden. Auch soll unter den Beteiligten eine klarere Trennung zwischen Prozess- und Fachverantwortung vorgenommen werden. Die Krisenbewältigung im Zusammenhang mit dem H1N1-Virus wurde anfangs zu sehr als medizinisch-wissenschaftliches Problem statt als organisatorische Herausforderung verstanden, was zu personellen Änderungen mitten in der Krise führte.
Mit den Krisenhandbüchern des BAG und der Direktion für Öffentliche Gesundheit waren wichtige Ansätze und Instrumente zur Krisenbewältigung zwar vorhanden, diese waren in der Organisation aber zu wenig verankert und wurden dementsprechend wenig genutzt. Das Erstellen eines Krisenhandbuchs in Form eines Organisationsentwicklungsprozesses mit allen Beteiligten würde dessen Akzeptanz und Nutzung erheblich steigern.
Das Fazit aus den beiden Evaluationen lautet für das BAG: Zu überarbeiten sind das Epidemiengesetz in Richtung einer Stärkung der Bundeskompetenzen im Falle einer (drohenden) Pandemie, der Pandemieplan Schweiz sowie die Krisenorganisation und die Krisenhandbücher des BAG im Sinne eines Organisationsentwicklungsprozesses. Vieles davon wurde bereits an die Hand genommen. Zudem müssen essenzielle Teile einer Krisenbewältigung vorgängig und regelmässig geübt werden.

Kontakt

Eva Bruhin, Evaluation und Forschung, eva.bruhin@bag.admin.ch

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