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Wie Agrarpolitik auf die Gesundheit wirkt

Ausgabe Nr. 83
Nov. 2010
Gesundheitsfolgenabschätzung

Fallbeispiel Gesundheitsfolgen­abschätzung. Die Landwirtschaftspolitik eines Landes nimmt direkt Einfluss auf die Lebensmittelproduktion, auf die Natur, auf die Entwicklung der Landschaft und letztlich auch auf die Gesundheit der Gesamtbevölkerung. Agrarpolitik ist denn auch ein zentrales und lohnendes Untersuchungsobjekt für Gesundheitsfolgenabschätzungen. Zwei Beispiele, welche die gesundheitlichen Folgen der Agrarpolitik einerseits rückblickend evaluieren und andererseits voraus­blickend abzuschätzen versuchen.

Europäische Union: gesundheitsschädigende Subventionspolitik
Gegenstand der 1997 und 2003 durchgeführten Gesundheitsfolgenabschätzungen (GFA) waren die möglichen Auswirkungen der Gemeinsamen Agrar­politik (GAP) der EU auf die Gesundheit der EU-Bevölkerung. Kernelemente der GAP waren und sind die Subventionen von Milchprodukten und Fleisch sowie die bewusste Vernichtung von grossen Mengen von Früchten und Gemüse im EU-Raum. Diese zwei Massnahmen hatten in den letzten vierzig Jahren dazu geführt, dass Milch, Butter, Rahm, Käse, Fleisch und Fleischprodukte in grossem Mass verfügbar waren, und zwar zu einem verglichen mit Früchten und Gemüse günstigeren Preis. Diese Umstände sind gemäss GFA mitverantwortlich dafür, dass die ernährungsbedingten Gesundheitsrisiken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Osteoporose oder Adipositas in der EU stark zugenommen haben.

Im Rahmen der GFA wurden folgende Empfehlungen zuhanden der EU-Politiker formuliert:
– Keine subventionierte Vernichtung mehr von guten Früchten und Gemüse
– Keine Abgabe mehr von fettreicher Milch an Schulkinder
– Die Streichung von Subventionen für die Destillierung von Weinüberschüssen
– Reduktion der Subventionen auf Rindfleisch und Milchprodukte
– Subventionen insbesondere für die Produktion von Früchten und Gemüse
– Erhöhung der Produktion von einfach ungesättigten Fettsäuren und mehrfach ungesättigten Fettsäuren

Harte Diskussionen im Anschluss an diese GFA – zum Beispiel jene um
die Subventionen für die Destillierung von Weinüberschüssen – zeigten, wie schwierig es ist, GFA-Empfehlungen umzusetzen. Das Austragen von Interessenskonflikten aufgrund von GFA ist jedoch nicht nur courant normal, sondern auch wünschenswert; nur so können tragfähige Win-Win-Lösungen entstehen.

Schweizer Agrarpolitik 2011: Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
2006 hatte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Pilotstudie in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Agrarpolitik 2011 auf die Gesundheit abzuschätzen. Im Wesentlichen geht die Agrarpolitik 2011 einen weiteren Schritt in Richtung Marktderegulierung (Abbau von Marktbarrieren, Reduktion von Marktstützen) und Ökologisierung.
Gesundheitsfördernd wirken gemäss der Studie insbesondere die Anreize für eine ökologischere Landwirtschaft. Die höhere wirtschaftliche Attraktivität des Biolandbaus begünstigt den Strukturwandel hin zu grösseren und professioneller geführten Betrieben, die Dünge- und Pflanzenschutzmittel gezielter und effizienter einsetzen. Damit ist zu erwarten, dass die Schadstoffbelastung von Lebensmitteln, Trinkwasser, Boden und Luft abnimmt und der Lebens- und Erholungsraum für Mensch und Natur vielfältiger wird.
Neben diesen positiven Wirkungen ist aber eine Reihe negativer Entwicklungen denkbar, die sich aus dem Wegfall der Marktstützen und dem zunehmenden Kostendruck ergeben. Dazu gehört die Entstehung überdurchschnittlich grosser Betriebe und Masttierhaltung, was das Wohl der Tiere beeinträchtigt und den Antibiotikaeinsatz steigen lässt. Der Kostendruck dürfte zudem zu einer spezialisierteren und intensiveren Bewirtschaftung in gewissen Regionen führen, was mit der Gefahr von lokal hohen Schadstoffkonzentrationen in Böden und Wasser verbunden wäre. Der wirtschaftliche Druck dürfte vor allem Bergbauern dazu zwingen, ihre Betriebe aufzugeben. So gingen wertvolle Kulturlandschaften und mit ihnen wichtige Erholungsgebiete für die Bevölkerung verloren. Die Studie lenkt die Aufmerksamkeit aber auch auf die Gesundheit derjenigen, die von der Agrarpolitik am direktesten betroffen sind: der Landwirtinnen und Landwirte. Aufgrund der unsicheren Zukunftsaussichten und allfälliger Einkommenseinbussen sind sie vor allem auch psychischen Belastungen ausgesetzt, die nicht unterschätzt werden dürfen.

Kontakt

Wally Achtermann, Multisektorale Gesundheitspolitik, wally.achtermann@bag.admin.ch

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