Lebensqualität – auch im hohen Alter
Sep. 2014Lebensqualität im Alter
Forum Werner Schärer. Pro Senectute und die Kirchen haben unter dem Titel «Alles hat seine Zeit» eine gemeinsame Kampagne gestartet, die das «vierte» Alter ins Zentrum stellt. Wir unterscheiden heute zwischen einem «dritten», aktiven Alter, in welchem Frauen und Männer nach der Pensionierung ihre gewohnte Lebensweise weiterführen können, und einem «vierten», fragilen Alter, in welchem die Kräfte allmählich oder rasch nachlassen. Während für Menschen im dritten Alter die Autonomie im Vordergrund steht, sind Menschen des vierten Alters auf Unterstützung und oft auch auf Pflege angewiesen.
Im öffentlichen Bewusstsein wird das dritte Alter vorwiegend positiv gesehen, während sich negative Altersbilder vor allem auf die Zeit zunehmender Fragilität beziehen. Hier steht die Ressourcen- und damit auch die Kostenfrage im Vordergrund: Wer soll sich um die Alten kümmern und wer wird das alles bezahlen? Die Befürchtung ist gross, dass wir uns die Alterung der Gesellschaft gar nicht leisten könnten.
Eine Debatte, die sich lediglich auf die ökonomische Aspekte des Alter(n)s bezieht, ist höchst bedenklich. Angesichts der Produktivität moderner Gesellschaften und des Reichtums, der daraus entsteht, erscheint die Behauptung, das Alter sei künftig nicht mehr finanzierbar, als äusserst fragwürdig. Ein Blick zurück könnte uns eines Besseren belehren: Die schweizerischen Sozialwerke wie die AHV oder die Krankenversicherung entstanden unter wirtschaftlich sehr viel schwierigeren Bedingungen, als wir sie heute vorfinden. Diese Einsicht sollte die Zuversicht stärken, dass die Sozialwerke auch angesichts der demografischen Alterung sichergestellt werden können.
Bei einer einseitig ökonomischen Betrachtungsweise geht die Erkenntnis verloren, dass das hohe Alter das Ergebnis eines Erfolgsmodells ist: Dank verbesserter Hygiene und Ernährung, dank eines gut ausgebauten Gesundheitswesens und eines funktionierenden Systems der Altersvorsorge ist das lange Leben nicht mehr das Privileg weniger Gutsituierter. Den Errungenschaften des Sozialstaats muss Sorge getragen werden, denn seine Erfolge sind keineswegs garantiert.
Zu bedenken ist auch, dass noch nie in der Geschichte der Menschheit so viele Generationen zur gleichen Zeit gelebt haben. Diese Folge der demografischen Alterung sollte als Bereicherung für die Gesellschaft wahrgenommen werden – und nicht als deren Bedrohung. Die ältesten heute unter uns Lebenden wurden vor bzw. im Ersten Weltkrieg geboren. Sie haben einen ganz anderen Blick auf die Welt als die Nachgeborenen. Der Austausch der Erfahrungen zwischen Jung und Alt kann für beide Seiten bereichernd sein, wenn er nicht von Besserwisserei oder Abwehr des Unvertrauten geprägt ist.
Die meisten Menschen möchten gerne lange leben, doch alt zu sein scheint weniger erstrebenswert zu sein – vor allem deshalb, weil das Alter nur mit Verlusten, nicht aber mit Gewinnen in Verbindung gebracht wird. Dabei zeigen sozialwissenschaftliche Untersuchungen, dass die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben im Alter zunimmt – vor allem dann, wenn man in diesem Leben einen Sinn erkennen kann.
Pro Senectute setzt sich dafür ein, dass Frauen und Männer auch im hohen Alter eine hohe Lebensqualität erfahren können. Dazu gehören vielfältige Angebote in den Bereichen Beratung, Sport und Bewegung, die sowohl dem Gemeinschaftsleben als auch der Erhaltung der Gesundheit dienen, sowie Dienstleistungen, die einen möglichst langen Verbleib in den eigenen vier Wänden gestatten.
Diese Angebote werden durch Leistungsverträge mit dem Bund sowie mit Kantonen und Gemeinden ermöglicht. In der Vereinbarung mit dem Bund ist festgelegt, dass die Dienstleistungen von Pro Senectute insbesondere auf die Bedürfnisse von finanziell, sozial und gesundheitlich benachteiligten Menschen (sogenannten vulnerablen Zielgruppen) ausgerichtet sein sollen. Menschen im fragilen Alter gehören dazu. Deshalb ist die Tätigkeit in diesem Alterssegment für Pro Senectute von besonderer Bedeutung.
Werner Schärer,
Direktor Pro Senectute Schweiz