Sprunglinks

zurück

«Natürlich gibt es nach dem Essen Espresso anstatt Café crème.»

Ausgabe Nr. 106
Sep. 2014
Lebensqualität im Alter

Fünf Fragen an Philipp Kämpfer. Im Altersheim Domicil Schwabgut in der Stadt Bern finden betagte Menschen, die aus Italien stammen, ein Zuhause, wo ihre Sprache gesprochen und ihre Kultur gelebt wird. Geschäftsleiter Philipp Kämpfer schildert die Entstehung und die Besonderheiten dieses aussergewöhnlichen Angebotes.

Seit acht Jahren gibt es im Alterszentrum Domicil Schwabgut eine mediterrane Hausgemeinschaft. Wie kam es dazu, welcher Prozess war für die Lancierung des Projektes nötig und für wen ist dieses Angebot?

Das Projekt wurde von einer Dachorganisation von rund 40 Vereinen für italienische Migrantinnen und Migranten lanciert, dem Comitato Cittadino d’Intesa Di Berna e Regione. Diese liess eine Studie durchführen, die den Bedarf nach einem speziellen Angebot für ältere Italienerinnen und Italiener nachwies. Das war die Initialzündung für den Bau einer mediterranen Hausgemeinschaft, die 2007 im Domicil Schwabgut eröffnet wurde.
Das Angebot richtet sich an Menschen mit italienischer Muttersprache. Es gibt Bewohnerinnen und Bewohner, die nie Deutsch gelernt haben. Andererseits tritt bei einer Demenz der «Lebensabschnitt Schweiz» in den Hintergrund und damit geht oft auch die deutsche Sprache verloren. Es bleibt «nur» noch die Muttersprache zum Kommunizieren. In beiden Fällen ist es für Angehörige beruhigend zu wissen, dass ihre Eltern in ihrer Muttersprache verstanden werden.

Also leben in der Hausgemeinschaft Menschen, die ursprünglich aus Italien stammen. Wie wird der «Sonderzug» einer italienischen Hausgemeinschaft in Ihrer Institution aufgenommen? Und besteht nicht auch die Gefahr, ein «Ghetto» für Angehörige bestimmter Migrationsgruppen zu schaffen?

Wir stossen nach wie vor mit der mediterranen Hausgemeinschaft auf ein sehr positives Echo. Es wird allgemein als wertschätzend empfunden, dass Domicil ein Angebot für betagte Italienerinnen und Italiener anbietet, von denen es viele in ihren Anfangsjahren in der Schweiz nicht immer leicht hatten.
Die mediterrane Hausgemeinschaft ist auf gar keinen Fall ein Ghetto. Es wäre ein Ghetto, wenn man ein Haus ausschliesslich für Italiener bauen würde. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner leben in einer von 11 Hausgemeinschaften. Sie haben die Möglichkeit, sich mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern an gemeinsamen Anlässen in den öffentlichen Räumen zu treffen. Wenn man Lust darauf hat, dann ist Integration möglich.

Sie versuchen, mit verschiedenen Massnahmen Identität zu stiften. Können Sie uns schildern, was das im Einzelnen bedeutet?

Das zentrale Identität stiftende Element ist die italienische Sprache. Im Wohnzimmer hat die Marienstatue ihren festen Platz und wurde vom italienischen Priester geweiht. Gekocht wird italienische Küche und natürlich gibt es nach dem Essen Espresso anstatt Café crème. Und nicht zuletzt sind die Beziehungen untereinander anders. Der Umgang ist südländischer, es kommt zu mehr Körperkontakt, und Angehörige sind untereinander besser vernetzt. Mitarbeitende mit italienischen Wurzeln sind mit diesen Sitten und Gebräuchen in der Regel vertrauter als wir Deutschschweizer.

Das «Normalitätsprinzip» hat einen hohen Stellenwert im Domicil Schwabgut. Was bedeutet «Normalität» konkret im Alltag?

Individualität und Selbstständigkeit sind uns wichtig. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner leben in einzelnen Hausgemeinschaften mit 10 bis 12 Einzelzimmern, die mit eigenen Möbeln eingerichtet sind. Wir gestalten den Alltag angelehnt an die Gewohnheiten in einer Grossfamilie. Im Zentrum steht die gemeinsame Wohn- und Essküche. Bewohnerinnen und Bewohner können beim Zubereiten von Mahlzeiten helfen oder auch einfach nur zuschauen. Ganz generell am Leben Anteil nehmen. Das ist aber freiwillig. Es steht unseren Bewohnerinnen und Bewohnern immer offen, sich in ihre Zimmer zurückzuziehen, wenn ihnen das lieber ist.

Ihr Modell hat Vorbildcharakter. Wie gross ist das Interesse aus anderen Städten, oder aus dem Ausland?

Wenn sich jemand mit Migration und Alter beschäftigt, dann kommt er früher oder später auf uns. Während der Eröffnungsphase war das Interesse aus Italien und anderen europäischen Ländern sehr gross. Wir hatten sogar ein italienisches Fernsehteam im Haus. Das Modell richtet sich aber an eine erste Einwanderergeneration. Deshalb sind wir laufend am Überprüfen, ob unser Angebot noch einem Bedürfnis entspricht. Und wer weiss, vielleicht eröffnen wir irgendwann eine Hausgemeinschaft für Einwanderinnen und Einwanderer aus einem anderen Land.

Nach oben