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Der Übergang von Paar zu Familie ist anspruchsvoll

Ausgabe Nr. 132
Dez. 2021
Kritische Lebensereignisse

Die Familiengründung wird meist mit Sinnstiftung und Glück verbunden. Dabei geht oft vergessen, dass der Übergang von Paar zu Familie auch ein kritisches Lebensereignis darstellt. Für die Entwicklung des Kindes ist die psychische Gesundheit der Eltern sowohl vor als auch nach der Geburt entscheidend. Entsprechend wichtig ist es, bei Problemen wie etwa depressiven Symptomen, Hilfsangebote aufzusuchen.

Nach einer Geburt verändert sich das Leben der Mutter und des Vaters sowie auch deren Beziehung zueinander von Grund auf. Rund um die Uhr für ein Kind da zu sein, kann die eigene Selbstständigkeit stark einschränken und zu hoher körperlicher und psychischer Belastung führen. Diese Tatsachen werden in der Vorfreude auf die Geburt oft nicht thematisiert, was die Hemmschwelle, sich bei Problemen frühzeitig Hilfe zu holen, verstärken kann.

Sensibler Übergang für werdende Eltern

Das Wohlbefinden der Eltern hat einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit und die Entwicklung des Kindes. Allerdings: Rund 30 Prozent der Frauen 1 haben nach der Geburt milde, moderate oder starke depressive Symptome, entwickeln Ängste oder leiden unter Stress – auch Väter sind nicht selten von solchen Symptomen betroffen. Sich in diesen Situationen Hilfe zu suchen, kostet Mütter und Väter jedoch oft viel Überwindung, denn der gesellschaftliche Druck ist gross. Barbara Blatter Hofmann, Hebamme MAS und Pflegeexpertin am Departement Kinder- und Jugendmedizin des Kantonsspitals Winterthur, stellt fest: «Es ist immer wieder eindrücklich, dass Frauen häufig einfach weiter funktionieren, auch wenn sie an einer postpartalen Depression oder Angststörung erkrankt sind. Ein Säugling aber merkt, dass es der Mutter nicht gut geht. Eine nicht behandelte psychische Erkrankung der Mutter oder des Vaters kann ein Kind in seiner Entwicklung gefährden und das Risiko von Verhaltensauffälligkeiten erhöhen. Deshalb müssen solche Symptome schnellstmöglich angegangen werden.» Leidet eine werdende Mutter an Traumatisierung, Depression oder schwerem Stress, kann dies Frühgeburten auslösen oder einen Einfluss auf die Gehirnentwicklung der Föten haben. Dies wiederum kann beim Kind zu Langzeitfolgen führen, etwa in den Bereichen Kognition und Sprache. Es ist deshalb wichtig, dass schwangere Frauen sich bei psychischen Problemen rasch Hilfe holen.

Für Frauen, die vor oder während der Schwangerschaft Depressionen oder Angststörungen entwickeln, ist zudem ein gutes soziales Umfeld und die Unterstützung von Fachpersonen essenziell.

Gute Paarbeziehung schafft positives Klima

Kinder verändern nicht nur das eigene Leben, sondern auch die Paarbeziehung: Bei steigender Verbindlichkeit gegenüber dem Neugeborenen nehmen oft gleichzeitig die Zufriedenheit und die Zuneigung zwischen den Eltern ab. Die Ursachen dafür reichen von Zeitmangel über fehlende Unterstützung bis zu mangelndem Schlaf oder abnehmender Sexualität. Es ist deshalb wichtig, dass sich Paare in dieser Zeit zwischendurch auch eine Auszeit nehmen und über ihre Erwartungen und Wünsche sprechen. Wie stark eine Geburt die Paarbeziehung beeinflusst, hängt auch mit der Rollenverteilung zusammen.

In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für Eltern zwar etwas verbessert, zum Beispiel mit der Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs. Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz anderen Ländern hinsichtlich Kinderbetreuung aber noch immer hinterher und gehört gemäss UNICEF mit den USA, Zypern, der Slowakei und Australien zu den Schlusslichtern. Arbeiten vor der Geburt eines Kindes beide Elternteile Vollzeit, reduzieren meist die Frauen danach ihr Pensum oder machen eine Pause, während Väter weiterhin wie gewohnt arbeiten. Dies führt häufig zu einer Re-Traditionalisierung der Rollenverteilung im Haushalt, die Unzufriedenheit auslösen kann, auch wenn Väter heute tendenziell eine aktivere Rolle in der Familie einnehmen als noch vor zehn Jahren. Der Übergang vom Paar zur Familie stellt für alle Beteiligten eine anspruchsvolle Entwicklungsphase dar. Es ist daher wichtig, dass Fachpersonen Eltern auf entsprechende Hilfsangebote aufmerksam machen, zum Beispiel auf Angebote von Hebammen sowie Familien-, Mütter- und Väterberatungen. Denn zufriedene Eltern, eine stabile Beziehung, gute Erziehungskompetenzen und ein positives Familienklima wirken sich positiv auf die psychische Gesundheit des Kindes aus.

Quellen

1. Miller, Pallant, Negri, 2006. Anxiety and stress in the postpartum: Is there more to postnatal distress than depression? 

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Kontakt

Nadia Jaggi
Sektion Gesundheitsförderung und Prävention

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