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Kultur und Gesundheit – eine untrennbare Verbindung

Ausgabe Nr. 88
Sep. 2011
Gesundheit und Kultur

Forum Brigitte Ruckstuhl. Gesundheit und Kultur sind aufs engste ineinander verwoben. Der Begriff Gesundheit, wie er sich in den 1980er-Jahren mit dem Konzept der Gesundheitsförderung herausgebildet hat, stellt die sozialen Aspekte und nicht die physischen ins Zentrum. Gesundheit in diesem Sinne wird als Prozess verstanden. Sie entsteht in der Interaktion zwischen dem Individuum und seiner sozialen, kulturellen und materiellen Umwelt, im Alltag, da, wo die Menschen leben.

Diese Betrachtungsweise betont, dass Gesundheit stark von den jeweiligen Lebensbedingungen und den soziokulturell unterschiedlichen Lebenswelten abhängt, die ihrerseits Lebensweisen und Lebensstile prägen.
Eine der heute breit akzeptierten Vorstellungen von Kultur ist, dass Gruppen von Menschen gewisse Normen, Werte und Wissensbestände, also eine bestimmte Lebensweise, teilen. In dieser Kultur lernen die Menschen die Welt in einer besonderen Art zu sehen und zu erklären, sie erlernen aber auch Strategien für die Bewältigung ihres Alltags. Mit ihren jeweils zur Verfügung stehenden personalen, sozialen und materiellen Ressourcen prägen sie selbst wiederum Lebensweisen und Lebenswelten, die die Gesundheit beeinflussen.  
Schon die Auffassung von Prävention in den 1970er- und 1980er- Jahren (die schliesslich zum Konzept der Gesundheitsförderung führte) hat auf die Zusammenhänge zwischen soziokulturellen Kontexten und Gesundheit hingewiesen. Sie wandte sich gegen die Vorstellung, dass die als gesundheitsschädigend erachteten Verhaltensweisen losgelöst vom Lebenskontext der Menschen betrachtet und verändert werden können.  Sie plädierte vielmehr dafür, die Lebenswelten so zu gestalten, dass sie sich positiv auf die Lebensbedingungen und auf die Erweiterung der Optionen für gesundheitliches Handeln auswirken. Im Zentrum dieser Betrachtungsweise lagen die ungleichen Bedingungen und Chancen für Gesundheit – die Verbesserung der Gesundheit wurde untrennbar verknüpft mit eben der Verbesserung der Ausgangsbedingungen. Der Anspruch von Gesundheitsförderung war und ist, unterstützende Prozesse zu initiieren mit dem Ziel, Lebenswelten zu schaffen, die Gesundheit erhalten und fördern.
Heute ist in der Gesundheitsförderung und in der Prävention wieder viel von Selbstverantwortung die Rede. Das impliziert, dass die Bürgerinnen und Bürger erwartete Verhaltensweisen nicht wahrnehmen, die sie wahrnehmen sollten. Damit gerät aus dem Blick, dass die Voraussetzungen für die Übernahme von Verantwortung  aufgrund der unterschiedlichen soziokulturellen Unterschiede sehr ungleich sind. Kaum diskutiert wird auch, wie gleichzeitig kulturelle Muster gefördert wurden oder werden, die gerade diese Selbstverantwortung verhindern.
Wenn mit der geforderten Selbstverantwortung nicht gleichzeitig die dazu notwendigen soziokulturellen Rahmenbedingungen mitdiskutiert werden, dann wird ein eigenverantwortliches Subjekt vorausgesetzt, das einer «Rational Choice»-Logik folgt. Diese Vorstellung impliziert, dass jedes Individuum, wenn es nur will, sein Verhalten ändern kann, unabhängig vom jeweiligen Kontext. Es bedeutet, dass die soziokulturellen Bedingungen für Gesundheit und Krankheit ausgeblendet werden – wie in Zeiten vor dem biopsychosozialen Modell, das sich ab Ende der 1970er-Jahre etablierte –, und das, obwohl die Beweise für den Zusammenhang von gesellschaftlichem Kontext und Gesundheit und Krankheit heute vorliegen.

Brigitte Ruckstuhl, MPH, Expertin in Gesundheitsförderung und Prävention, Bern

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