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Gute Noten in den Details – Vorbehalt im Grundsatz

Ausgabe Nr. 88
Sep. 2011
Gesundheit und Kultur

Umsetzung UNO-Pakt l. Mit der Ratifizierung des Internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, diese Rechte schrittweise umzusetzen. Dies tut sie hauptsächlich mittels der Festlegung von Sozialzielen in der Bundesverfassung und gezielter legislativer und anderer Massnahmen. Eine Haltung, die der UNO zu unverbindlich ist.

Die beiden UNO-Pakte für die wirt­schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Pakt I) und die bürgerlichen und politischen Rechte (UNO-Pakt II) konkretisieren die Umsetzung fast aller Menschenrechte. Die Schweiz ist seit 1992 Vertragsstaat des UNO-Pakts I. Mit der Ratifizierung hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, «schrittweise und diskriminierungsfrei» folgende Rechte umzusetzen: Recht auf Arbeit, Recht auf günstige und gerechte Arbeitsbedingungen, gewerkschaftliche Rechte, Recht auf soziale Sicherheit, Schutz der Familie, der Mutter und des Kindes, Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Recht auf Gesundheit, Recht auf Bildung und Recht auf Kultur. Als Vertragsstaat berichtet die Schweiz der UNO regelmäs­sig über die Fortschritte der Umsetzung. Der jüngste Schweizer Bericht von 2008 zeichnet auf 160 Seiten die Veränderungen und die Entwicklung der Rechtslage bezüglich der Bestimmungen des UNO-Pakts I seit dem letzten Bericht von 1996 nach.

Sozialziele in der Bundesverfassung
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Artikel 41 der revidierten Bundesverfassung von 1999. Dieser Artikel enthält einen Katalog von Sozialzielen in sechs grundlegenden Feldern der Sozialpolitik: soziale Sicherheit, Gesundheit, Arbeit, Wohnen, Bildung und Jugend. Diese sechs Zielsetzungen nehmen eng Bezug auf die Zielsetzungen des UNO-Pakts I. Mit der Verankerung dieser Sozialziele in der Bundesverfassung hebt die Schweiz die Wichtigkeit der sozialen Dimension des Gemeinwesens hervor und bekennt sich auf verfassungsrechtlicher Stufe zur Sozialstaatlichkeit. Bei Artikel 41 handelt es sich um eine Staatszielbestimmung. Als solche ist der Sozialzielkatalog eine Rechtsnorm mit der erhöhten Geltungskraft der Verfassung. Im Vergleich zu den Grundrechts- und Aufgabennormen der Verfassung bleibt seine normative Tragweite jedoch begrenzt. Auch legt der Artikel nicht fest, welche Mittel für die Zielerreichung eingesetzt werden sollen. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Mittel zu bestimmen, die ihm zur Erreichung des Ziels geeignet erscheinen. Sache des Gesetzgebers ist es auch, auf Gesetzesstufe allenfalls Leistungsansprüche des Einzelnen vorzusehen.

Das Recht auf Gesundheit
Der UNO-Pakt I (Artikel 12) konkretisiert das Recht auf Gesundheit als «Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit». Die Vertragsstaaten sind im Weiteren dazu verpflichtet, dieses Recht unter «Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten und mit allen geeigneten Mitteln» zu verwirklichen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich also zu einer aktiven Gesundheitspolitik, um die Gesundheit jedes Einzelnen zu erhalten oder so weit als möglich wiederherzustellen. In der Schweiz gilt gemäss dem Gesundheitsziel aus Artikel 41, dass sich Bund und Kantone dafür einzusetzen haben, «dass jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält». Das Diskriminierungsverbot, das ebenfalls in der Bundesverfassung verankert ist, bestärkt die darin enthaltene Forderung nach Chancengleichheit in der Zugänglichkeit zur medizinischen Versorgung. Die Schweiz hat im Sinne dieses Ziels und im Sinne des Rechts auf Gesundheit des UNO-Pakts an breiter Front legislative und andere Massnahmen lanciert. Im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention spielen die nationalen Strategien in den Bereichen Ernährung und Bewegung, Tabak, Alkohol sowie HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen eine wichtige Rolle. In puncto gesundheitlicher Chancengleichheit ist etwa die nationale Strategie Migration und Gesundheit zu nennen. Diese beinhaltet unter anderem die Förderung von interkulturellen Kompetenzen und von Gesundheits- und Präventionsangeboten, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet sind. In ihrem Bericht dokumentiert die Schweiz im Weiteren ihre Fortschritte in der Umsetzung des UNO-Pakts I betreffend die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung, die Situation verwundbarer Gruppen (z.B. Gewalt an Kindern oder Frauen, Situation von Senioren und Menschen mit Migrationshintergrund) und das schweizerische Gesundheitssystem (z.B. Kosten, Inanspruchnahmen der Gesundheitsdienste und Prävention).

Wenig Kritik im Detail
Vergangenen November hat der zuständige UNO-Ausschuss zum Bericht der Schweiz Stellung genommen und Empfehlungen für die weitere Umsetzung des UNO-Pakts I formuliert. Die Beanstandungen bezüglich des Rechts auf Gesundheit beschränkten sich auf lediglich zwei Punkte: Die hohe Suizidrate und den mangelhaften Sexualunterricht.
Die Suizidrate der Schweiz ist im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch; sie liegt bei drei bis vier Suiziden pro Tag. Betroffen sind viele junge Menschen, zugenommen haben aber vor allem Suizide bei den über 80-Jährigen. Der UNO-Ausschuss empfiehlt der Schweiz, einen nationalen Aktionsplan zur Suizidverhütung zu erstellen und Massnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Schusswaffen einzuschränken, die im Zusammenhang mit dem Militärdienst zu Hause aufbewahrt werden. Die Schweiz hat die Verbesserung der psychischen Gesundheit bereits im Jahr 2000 als wichtiges gesundheitspolitisches Thema auf die Agenda gesetzt. Entstanden sind seither unter anderem Aktionsprogramme zur Früherkennung und Optimierung der Behandlung von Depressionen sowie Bündnisse gegen Depression in diversen Kantonen.
Als zweiten Punkt bemängelt der UNO-Ausschuss den Sexualkundeunterricht und die Massnahmen zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Er empfiehlt der Schweiz, konkrete Programme zur Sexualerziehung und zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu verabschieden und in den Lehrplänen der Schulen zu berücksichtigen.

Unverständnis für Schweizer Haltung
Einer der Hauptvorbehalte der UNO ist jedoch grundsätzlicher Art: Sie bedauert die Haltung der Schweiz, gemäss welcher die meisten Bestimmungen des Pakts zwar programmatische Vorgaben und soziale Ziele, aber keine rechtlich verbindlichen Bestimmungen darstellen. Dadurch könne einigen Rechten des Pakts keine Wirkung verliehen werden, weil man sich vor Gericht nicht direkt auf sie berufen kann. Der Ausschuss empfiehlt der Schweiz, Massnahmen zu treffen, um eine umfassende Gesetzgebung zu beschliessen, die allen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten auf Bundes- und Kantonsebene einheitlich Geltung verschafft. Eine Antwort auf diese und die anderen  22 Empfehlungen und Forderungen der UNO wird von der Schweiz im Jahr 2015 verlangt, wenn sie den nächsten Staatenbericht vorlegen muss.

Kontakt

Regula Ricka, Gesundheitspolitik, regula.ricka@bag.admin.ch

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