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«Nur in einem gemeinsamen Prozess findet man Lösungen.»

Ausgabe Nr. 88
Sep. 2011
Gesundheit und Kultur

6 Fragen an Jakob Huber. Jakob Huber ist Geschäftsleiter des Contact Netz Bern und Präsident der Expertengruppe Weiterbildung Sucht (EWS). Er ist gewissermas­sen der «Vater» der SuchtAkademie, welche das Ziel hat, Prozesse des sozietalen Lernens im Zusammenhang mit Suchtfragen zu begleiten und Impulse zu geben.

spectra: Worin besteht die Besonderheit der SuchtAkademie im Vergleich mit anderen Fachtagungen?


J. Huber: Die SuchtAkademie stellt das sozietale oder gesellschaftliche Lernen ins Zentrum.  Sozietales Lernen zielt auf den Aufbau von kooperativen Kompetenzen, um gemeinsam komplexe Probleme analysieren und Lösungsansätze entwickeln zu können. Das Handeln anderer Akteure wird besser verstanden, und das erlaubt ein aktives Umgehen damit. Im Unterschied zu individuellem, gruppalem oder organisationalem Lernen ist die Zielgruppe nicht eingeschränkt. Folgende Fragen stehen im Zentrum: Wie lernt die Zivilgesellschaft? Wie kann die Bevölkerung für positive Veränderungen bezüglich Gesundheit und sozialer Integration gewonnen werden? Welche Interventionen sind zielführend, um in einem multipolaren Gesellschaftssystem Prozesse anzuregen und zu verankern?

Wie charakterisieren Sie den Geist der SuchtAkademie im Allgemeinen und den des Jahrgangs 2011 im Besonderen?

Alle sind wir nur Teil eines sich dauernd wandelnden gesellschaftlichen Prozesses. Niemand hat die Legitimationshoheit, um diesen zu interpretieren oder zu steuern. Nur in einem gemeinsam getragenen Suchprozess gelingt es, Lösungen für die anstehenden und zukünftigen Probleme zu finden und umzusetzen.  Die dritte SuchtAkademie 2011 zeigte, dass sich der Grundgedanke der SuchtAkademie etabliert hat. Somit war das Lernfeld der SuchtAkademie vom Ballast des Sich-erklären-Müssens befreit.  Gegenseitiger Respekt sowie die gemeinsame Suche nach Lösungen förderten den Dialog im sonnigen Tessin.  

Wie wird diese Dialogplattform konzipiert, welche didaktische Methode steht dahinter?

Die SuchtAkademie ist als werkstatt-ähnliche Veranstaltung konzipiert. Das Programmdesign ist so gewählt, dass Raum für neues Denken und einen kollektiven Gruppenprozess möglich wird. Neben den fachlichen und suchtpolitischen Inhalten versteht sich die SuchtAkademie sozusagen als Spiegel eines gesellschaftlichen Kräftefelds, in dem sozietales Lernen stattfindet. Der gelebte Prozess zeigt auf, welche Stolpersteine einen konstruktiven Aushandlungsprozess behindern und welche Interventionen hilfreich sind, um ein gemeinsam getragenes Resultat zu erreichen. Die moderne Erwachsenenbildung lehrt uns, dass mit einer gesunden Balance zwischen Wissensvermittlung und interaktivem Mitgestalten die nachhaltigsten Lern­effekte erzielt werden. Die Präsenz während dreier Tage mit einem attraktiven kulturellen Rahmenprogramm verdichtet diesen Prozess erheblich.

Die Fachleute werden «ad personam» eingeladen – wie treffen Sie die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Mit der nationalen SuchtAkademie will die EWS den direkten Austausch zwischen Politik, Medien, Forschung, Verwaltung und Praxis fördern. Alle zwei Jahre wird ein brennendes suchtpolitisches Thema für die Akademie gewählt. In den Zwischenjahren wird der Diskurs auf der regionalen Ebene unter den betroffenen Fachleuten weitergeführt und verankert. Für den Monte Verità wird bewusst ein Teilnehmerfeld ausgewählt, welches sowohl die verschiedenen Suchtformen als auch die wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche zum Thema abbildet. Weitere Auswahlkriterien für diese Schlüsselpersonen sind: Geschlecht, Altersdurchmischung, regionale Vertretung.  Die Auswahl wird von der Konzeptgruppe vorgenommen.

Warum wird dieser Anlass auf dem Monte Verità durchgeführt, einem Ort, der nicht wie andere Konferenzzentren in grossen Städten leicht zu erreichen ist?

Mit der SuchtAkademie auf dem Monte Verità oberhalb Ascona verfolgt die EWS drei Ziele: Erstens eignet sich der Monte Verità hervorragend, symbolisiert er doch einen historisch bedeutungsvollen Experimentierraum, von dem seit Ende des 19. Jahrhunderts schon viele gesellschaftliche Impulse ausgingen. Die örtliche Distanz, das südliche Ambiente und der Berg bewirken eine fast selbstverständliche Bindung zum Geschehen, ein Gefühl des Freiraums, den viele als Kontrast zum überladenen Berufsalltag schätzen. Zweitens ist es für den Verlauf der Akademie wichtig, dass sich die Teilnehmenden auf den Gesamtprozess einlassen. Die verschiedenen Programm­elemente nehmen aufeinander Bezug, bauen aufeinander auf, und dem informellen Austausch wird besonderes Gewicht beigemessen. Deshalb ist die Distanz sehr bewusst gewählt. Und drittens  wird dadurch eine suchtpolitisch wichtige Weiterbildung im diesbezüglich bis dahin vernachlässigten Tessin durchgeführt. Die SuchtAkademie wird vom Kanton Tessin ideell und finanziell unterstützt.

Welche Diskussionsbeiträge oder Projekte der SuchtAkademie 2011 sind Ihnen – als symbolträchtige Augenblicke –  in besonderer Erinnerung geblieben?

Das Ringen darum, aus der theoretischen Vogelperspektive in die praktische Umsetzung zu kommen, die Komplexität auf den Boden zu bringen. Der Generationendialog am Kaminfeuer, der die Geschichte der Drogenpolitik aufgerollt hat. Die kreativen Marktstände zu innovativen Projekten an der Sonne. Die Offenheit und das Engagement des Plenums beim Open Space, sozusagen im öffentlichen Raum, herauszuschälen, welches die wichtigsten Handlungsfelder sind. Die Erfahrung, dass der Dialog möglich wurde und wir zum Akademiethema «Sicherheit und soziale Integration im öffentlichen Raum» nicht Schieflage Richtung Repression bekamen. Vielmehr wurde die Wirksamkeit der Sozialarbeit für Lösungen im öffentlichen Raum seitens namhafter Voten von Repräsentanten der Polizei anerkannt und aufgewertet.

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