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Behandlungskonzept für psychisch kranke Migrantinnen und Migranten

Ausgabe Nr. 93
Jul. 2012
Nationale Präventionsprogramme

Psychische Gesundheit und Migration. Seit zehn Jahren bieten die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) die «Sprechstunde für MigrantInnen» an. Dieses multimodale, interdisziplinäre Behandlungskonzept für psychisch kranke Migrantinnen und Migranten soll nun Nachahmer finden. In einem kürzlich erschienenen Handbuch sind das Konzept und seine wissenschaftlichen Grundlagen zusammengefasst.

Mehrere Studien zeigen, dass Migrantinnen und Migranten im ambulanten psychiatrischen Bereich stark unterversorgt sind. Dabei sind vor allem Asyl­suchende und Flüchtlinge besonders häufig von psychischen Erkrankungen betroffen. Die Gründe dafür sind traumatisierende Erlebnisse wie Krieg, Folter, Gewalt oder Verfolgung. Viele psychisch kranke Migrantinnen und Migranten wenden sich mit ihrem Leiden aber an einen somatischen Arzt und werden erst spät – oft zu spät – an psychiatrische Fachleute weiterverwiesen. Bei vielen ist die psychische Erkrankung dann bereits chronisch. Hohe Kosten für das Gesundheitssystem und geringere Rehabilitationschancen sind die Folgen. Es fehlt bisher weitgehend an niederschwelligen, ambulanten psychiatrischen Behandlungseinrichtungen, die auf die besondere Situation von Migrantinnen und Migranten spezialisiert sind.

Konzept mit Vorzeigecharakter
Die «Sprechstunde für MigrantInnen» der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) hat in diesem Bereich Pionier- und Vorzeigecharakter. Dieses interdisziplinäre Behandlungskonzept richtet sich vor allem an psychisch kranke Asylsuchende und traumatisierte Migrantinnen und Migranten. Dank Modulen aus verschiedenen Disziplinen kann die Behandlung sehr individuell und auf breiter Basis ausgestaltet werden. Interkulturelle Übersetzerinnen und Übersetzer stellen dabei die Verständigung sicher. Das Konzept besteht aus folgenden Modulen:

1. Psychiatrische Abklärungen und ambulante Psychotherapie: Dieses zentrale, fallführende Modul der «Sprechstunde» bestimmt und koordiniert die Teilnahme der Patientinnen und Patienten an weiteren Modulen.
2. Sozialberatung: Unterstützung in Bereichen wie Arbeit/Arbeitslosigkeit, Tagesstruktur, Wohnungssituation, soziale Kontakte, Umgang mit Behörden, häusliche Gewalt oder Diskriminierung.
3. Bewegungsgruppe für Frauen und Männer: Geschlechtergetrennte, körperorientierte Module für Patientinnen und Patienten mit schweren Traumata.
4. Psychoedukative Gruppe für traumatisierte MigrantInnen: Ergänzung zum psychotherapeutischen Modul, in dem den Patientinnen und Patienten grundlegendes Wissen über ihre Erkrankung, deren Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten vermittelt werden.
5. Deutschkurs für MigrantInnen im Kontext der Psychiatrie: Kurs für Migrantinnen und Migranten, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme in den gewöhnlichen Deutschkursen überfordert sind.
6. Unterstützung durch Freiwillige: Zielgruppe dieses Moduls sind Patientinnen und Patienten, die an Einsamkeit leiden, denen es an einer Tagesstruktur mangelt und die aufgrund ihrer Erkrankung nicht genügend Eigeninitiative aufbringen, um selbstständig Kontakte zu knüpfen.
7. Interkulturelle Gärten: Externes Zusatzmodul für Patientinnen und Patienten, die Interesse und Freude an Gartenarbeit haben und über soziale Grundfähigkeiten verfügen.

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist das Konzept der «Sprechstunde für MigrantInnen» der UPD nun in einem Handbuch festgehalten worden. Neben der Beschreibung der einzelnen Module und ihrer wissenschaftlichen Grundlagen zeigt das Handbuch auch die Wirksamkeit des Behandlungskonzepts anhand einer eigens in der Sprechstunde für MigrantInnen durchgeführten Studie auf (Nosetti, 2011). Weiter enthält es grundlegende Informationen über den Gesundheitszustand und die gesundheitliche Versorgungslage der Migrationsbevölkerung der Schweiz auf. Das Handbuch soll Anregung und Anleitung für Einrichtungen sein, die ein ähnliches Angebot schaffen wollen.

Kontakt

Serge Houmard, Projektleiter Gesundheitsversorgung und Bildung, Nationales Programm Migration und Gesundheit, serge.houmard@bag.admin.ch

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