«Präventionsmassnahmen erfordern immer ein sorgfältiges Abwägen zwischen Gesundheitsschutz und Wirtschaftsfreiheit.»
Jul. 2012Nationale Präventionsprogramme
5 Fragen an Ursula Koch. Der Bundesrat hat die Nationalen Präventionsprogramme zu Ernährung und Bewegung sowie Alkohol und Tabak bis 2016 verlängert. Was sagt Ursula Koch, die Co-Leiterin der Abteilung Nationale Präventionsprogramme im Bundesamt für Gesundheit zu diesem Entscheid – und zur Rolle der Prävention in unserer Gesellschaft?
Der Bundesrat hat die Verlängerung der Nationalen Präventionsprogramme Alkohol, Tabak sowie Ernährung und Bewegung beschlossen. Ist dies für Sie ein klares Zeichen für die Wichtigkeit, welche unsere Landesregierung der Prävention zumisst?
Prävention ist von hoher gesundheitspolitischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Atemwegserkrankungen werden häufiger. Kombiniert mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung, stellen diese Erkrankungen das Gesundheitssystem vor grosse Herausforderungen. Nichtübertragbare Krankheiten sind zu einem grossen Teil lebensstilbedingt, das heisst, sie können durch mehr Bewegung, ausgewogene Ernährung, massvollen Alkoholkonsum und Verzicht auf Tabakkonsum vermieden werden. Die nationalen Präventionsprogramme setzen genau dort an und tragen durch die Reduktion der Risikofaktoren zur Förderung der öffentlichen Gesundheit bei. Sie sind deshalb für ein gesundes Altern von grosser Bedeutung. Die Programme entsprechen internationalen Standards und haben sich als Dach über die diversen Präventionsaktivitäten und Akteure schweizweit etabliert. Die Landesregierung hat die Wichtigkeit der Prävention erkannt und durch die Verlängerung der Programme auf eine nachhaltige Präventionspolitik gesetzt.
Welches sind die wichtigsten Ziele, welche in den nächsten vier Jahren erreicht werden sollen?
Prävention wirkt immer langfristig. Die in den letzten Jahren aufgebauten Strukturen und Aktivitäten sollen deshalb weitergeführt werden, um die notwendige Kontinuität zu gewährleisten. In unserem föderalistischen System mit vielen unterschiedlichen Akteuren stellt die Koordination der Präventionsbemühungen eine grosse Herausforderung dar. Prävention betrifft alle Bereiche und erfordert ein multisektorales und bereichsübergreifendes Vorgehen (Raumplanung, Betriebe, Bildung, Sport, Verkehr, Sicherheit usw.) Der Fokus wird deshalb in den nächsten Jahren vor allem auf der Koordination der verschiedenen Aktivitäten und Akteure, der Umsetzung der Jugendschutzbestimmungen sowie auf der Förderung von Projekten in den verschiedenen Settings (Schule, Betrieben, usw.) liegen. Darüber hinaus bleibt die Sensibilisierung und die Information der Bevölkerung sowie die Qualität der Beratungs- und Therapieangebote ein wichtiger Schwerpunkt.
Die Evaluation der Nationalen Präventionsprogramme schlägt verschiedene Optimierungen vor. Welche Verbesserungsmassnahmen stehen für Sie im Vordergrund?
Seit der Evaluation der Programme sind bereits einige Monate vergangen. Viele der Empfehlungen wurden bereits umgesetzt. So wurde zum Beispiel der Tabakpräventionsfonds in die strategische Steuerung des Nationalen Programms Tabak aufgenommen, Wirkungsziele wurden den Massnahmen des Programms Alkohol sowie Ernährung und Bewegung angepasst und die Zusammenarbeit mit den Partnern der Programme intensiviert. So werden seit ein paar Jahren alle Aktivitäten, Kampagnen und Studien noch breiter abgestützt und gemeinsam mit unseren Partnern umgesetzt. Die ständige Optimierung der Zusammenarbeit sowie die Förderung von innovativen Ansätzen werden wir weiterpflegen.
Der Prävention stehen oft sehr handfeste wirtschaftliche Interessen – beispielsweise der Tabak- und Alkoholindustrie, aber auch der Lebensmittelhersteller und -händler – entgegen. Wie gehen die Nationalen Präventionsprogramme damit um?
Auftrag des Bundesamts für Gesundheit ist es, die Gesundheit der Bevölkerung zu fördern und, wo nötig, zu schützen. Es ist klar, dass dadurch Konflikte zwischen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen entstehen können. Deswegen erfordern Präventionsmassnahmen immer ein sorgfältiges Abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse am Schutz der Gesundheit und der Wirtschaftsfreiheit. Die Wirtschaft ist aber auch an gesunden Menschen interessiert, da Gesundheit zentrale Voraussetzung für Wachstum und Produktivität darstellt. Dementsprechend arbeiten wir z.B. im Bereich der Suchterkrankungen eng mit Betrieben zusammen. Im Rahmen des Programms Ernährung und Bewegung ergreifen Lebensmittelhersteller und -händler über die Plattform «actionsanté» freiwillig Massnahmen zur Reduktion von Salz, Zucker oder Fett in den Nahrungsmitteln. Darüber hinaus führen wir regelmässig Gespräche mit Wirtschaftsverbänden.
Oft gehörte Kritik ist die «Bevormundung» der Bevölkerung durch zu viele Ermahnungen im Gesundheitsbereich. Wie können Präventionsziele erreicht werden, ohne dass sich die Bürgerinnen und Bürger zu sehr kontrolliert und von Geboten und Verboten eingeengt fühlen?
Prävention zielt darauf, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken und die Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass ein gesundes Verhalten möglich ist. Nur wer gut informiert ist, kann auch tatsächlich entscheiden. Und nur wenn die Voraussetzungen in der Umwelt gegeben sind, kann ich mein gewünschtes Verhalten auch tatsächlich umsetzen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen abnehmen, aber Sie finden weder ein gesundes Lebensmittelangebot (im Supermarkt oder in Ihrer Mensa), noch haben Sie Zugang zu Parks und Veloradwegen. Präventive Massnahmen erfolgen deshalb multisektoral, das heisst, sie setzen sowohl im Bereich der Gesundheit wie bei der Raumplanung, beim Lebensmittelangebot (z. B. Gemeinschaftsgastronomie), der Sicherheit im Verkehr sowie in verschiedenen Settings, z.B. Schulen oder Betrieben, an. Sie fördern des Weiteren Früherkennungs- und Frühinterventionsangebote im Bereich Suchterkrankungen. Eine Einschränkung der Erhältlichkeit von gesundheitsschädigenden Produkten oder Verbote gibt es nur im Bereich Jugendschutz oder zum Schutz anderer Personen, zum Beispiel beim Passivrauchschutzgesetz. Alle anderen Massnahmen bauen auf informiertes Handeln und lassen der Bevölkerung jeweils die Wahl, welches Produkt sie konsumieren möchten oder wie sie mit ihrer eigenen Gesundheit umgehen möchten.