Gesundheitskompetenz stärken heisst Hilfe zur Selbsthilfe
Mär. 2013Nichtübertragbare Krankheiten
«Patienten-Empowerment», «Health Literacy» und «Gesundheitskompetenz». Über die Begriffsverwendung in diesem Bereich herrscht zwar im Detail keine Einigkeit. Bei allen Begriffen geht es aber im Kern um die Befähigung der Menschen zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil, um die Wahrnehmung der Selbstverantwortung, Selbstaktivierung, Selbstbestimmung, und letztlich geht es auch darum, Ärztinnen, Ärzten und weiteren Akteuren des Gesundheitswesens auf Augenhöhe zu begegnen.
Ein Anliegen – vier Ansätze
«Patienten-Empowerment» bedeutet die Selbststärkung, um besser mit einer Krankheit umgehen zu können. Dabei gibt es verschiedene Ansätze.
1. Selbstmanagement bei Krankheit
Zum einen die Unterstützung der Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen durch Fachpersonen, wie im Zürcher Projekt «Leila – Leben mit Langzeiterkrankung». Dieses dreijährige Pilotprojekt (2010–2012) war angelegt als zusätzliches, ergänzendes Angebot zur hausärztlichen Versorgung. Pflegefachleute boten chronisch kranken Personen, kostenlose Beratung an, sei es zu Hause oder in der Arztpraxis. Ziel war es, die Patientinnen und Patienten zu befähigen, gesundheitliche Zusammenhänge besser zu verstehen, Symptome zu beobachten, richtig zu interpretieren und zu reagieren oder vordringliche Alltagsprobleme zu lösen. Die abschliessende Evaluation beschied dem Projekt erfreuliche Resultate: Die Teilnehmenden waren insgesamt sehr zufrieden mit dem Angebot. Auch zeigte sich eine Verbesserung der therapeutischen Behandlungspläne, eine erhöhte Selbstkontrolle und eine verbesserte Alltagsgestaltung.
Einen anderen Weg der Selbstmanagementförderung geht der «Peer»-Ansatz wie er im «Chronic Disease Self Management Program» (CDSMP) der Stanford University umgesetzt ist. Es handelt sich um einen standardisierten Kurs mit einem fixen Kursprogramm, der Menschen mit chronischen Erkrankungen und ihre Angehörigen unterstützt, ein gesundheitsbewusstes und aktives Leben zu führen. Zwei ausgebildete Kursleiterinnen führen durch den Kurs und halten sich dabei streng an ein Handbuch. In diesem «Drehbuch» ist festgelegt, welche Themen wann und wie bearbeitet werden. Weltweit besuchen jährlich bis zu 60 000 Patienten und deren Angehörige CDSMP-Kurse. Seit 2012 gibt es diese Kurse unter dem Namen Evivo auch in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum.
2. Patientenbeteiligung
Eine weitere Facette von «Patienten-Empowerment» ist die Patientenbeteiligung. Gemäss Angela Coulter, Direktorin der «Global Initiatives» der «Informed Medical Decisions Foundation» in Boston, will die Mehrheit der Patientinnen und Patienten in Entscheidungen einbezogen werden, wenn es um ihre Gesundheit geht. Fachpersonen nehmen aber meist an, dass Patientinnen und Patienten medizinische Details nicht wissen wollen, weil diese zu komplex seien. Es ist deshalb wichtig, Patientinnen und Patienten zu ermutigen nachzufragen. Schon einfache Massnahmen können das unterstützen. Beispielsweise Hinweise im Wartebereich von Versorgungseinrichtungen, die signalisieren, dass es in Ordnung ist nachzufragen. Auch einfache Fragen wie «Was sind meine Optionen?» oder «Was sind die Vorteile der Behandlung und wie wahrscheinlich ist es, dass diese eintreten?» können eine gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Fachpersonen und Patientin/Patient fördern. Im Idealfall soll bei jeder klinischen Entscheidung die Fachperson ihre Expertise etwa zur Diagnose oder Behandlung einbringen. Auch die Patientinnen und Patienten sollen die Gelegenheit erhalten, ihre Krankheitserfahrungen einzubringen.
3. Chancengleichheit fördern
Ein wichtiges Ziel von Empowerment-Strategien ist es nicht nur, kranke
Menschen zu unterstützen, sondern gesundheitliche Ungleichheiten in der Gesellschaft auszugleichen. Die Gesundheit wird wesentlich vom sozioökonomischen Status bestimmt. Wer reich und gut gebildet ist, hat nicht nur eine bessere Gesundheit, sondern auch mehr Ressourcen, um gesundheitsschädigende Gewohnheiten zu verändern. Die Behörden und die Zivilgesellschaft sind daher in der Pflicht, für gesundheitlich schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen günstige Lebensbedingungen zu gewährleisten, sie dazu zu befähigen, einen gesunden Lebensstil zu führen, und den Zugang zur Gesundheitsversorgung sicherzustellen. In diesem Sinne gehören auch all jene Massnahmen zu Empowerment-Strategien, die gesunde Menschen dabei unterstützen, ihr Gesundheitspotenzial voll auszuschöpfen. Dazu zählen insbesondere alle Massnahmen im Bereich Migration und Gesundheit, wie etwa das interkulturelle Übersetzen, Informationen über das Schweizer Gesundheitswesen in verschiedenen Sprachen oder Beratungsangebote für Migrantinnen und Migranten mit traumatischen Flucht- oder Kriegstraumata.
4. Multisektorale Aufgabe
«Patienten-Empowerment» im Sinne von Gesundheitskompetenz ist schliesslich die Fähigkeit jedes Einzelnen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Denn Gesundheit wird primär im alltäglichen Leben und nicht im Spital hergestellt. So gesehen ist die Förderung von «Patienten-Empowerment» und Gesundheitskompetenz nicht nur Sache des Gesundheitswesens. Akteure aller Lebensbereiche können dazu beitragen, gesundheitsförderliche Lebensbedingungen im Alltag zu schaffen und Menschen die Entscheidung für einen gesunden Lebensstil zu erleichtern. Pausenapfel-Aktionen in den Schulen gehören ebenso dazu wie ein gesundheitsförderliches Arbeitsklima und das Schaffen von Velostreifen in Städten. Es gilt beim «Patienten-Empowerment» also, nicht nur die Menschen, sondern auch Organisationen und alle Politikbereiche für Gesundheitsfragen zu sensibilisieren.
Allianz Gesundheitskompetenz
Die Allianz Gesundheitskompetenz vernetzt Akteure aus dem Gesundheitswesen, Wissenschaft, Bildung, Politik, Wirtschaft und Medien zur Förderung der Gesundheitskompetenz in der Schweiz. Sie setzt Impulse, entwickelt strategische Konzepte zur Förderung der Gesundheitskompetenz und unterstützt die Umsetzung von Projekten mit Partnern inner- und ausserhalb der Allianz.
Kontakt
Regula Ricka, Gesundheitspolitik, regula.ricka@bag.admin.ch