Der Bund entwickelt zwei neue zukunftsweisende Strategien für die Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten und Sucht
Dez. 2014Nationale Strategien und Präventionsprogramme
Strategien. Nichtübertragbare Krankheiten verursachen heute weltweit die meisten Todesfälle. In der Schweiz waren 2011 gemäss Bundesamt für Statistik 74,6% der Todesfälle bei den Männern und 75,9% bei den Frauen auf vier nichtübertragbare Krankheiten zurückzuführen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Krankheiten der Atmungsorgane und Diabetes. Bund und Kantone erarbeiten derzeit gemeinsam eine nationale Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Erkrankungen. Dem Phänomen Sucht umfassender zu begegnen, ist das Hauptziel der Strategie Sucht, die im Auftrag des Bundesrates bis zum kommenden Frühjahr erarbeitet wird. Oberziel ist die Sicherstellung eines umfassenden und integrierten Suchthilfeangebots, welches Massnahmen der medizinischen Versorgung, der Schadensminderung, der Beratung und der Therapie umfasst, und das die soziale (Re-)Integration und die gesundheitliche Rehabilitation abhängiger Menschen fördert. Die Strategie Sucht soll Kontinuität gewähren und gleichzeitig einen suchtübergreifenden Handlungsrahmen abstecken, um neuen Suchtformen zu begegnen und übergreifende (umfassende) Herangehensweisen zu fördern. Die beiden Strategien werden die nationalen Programme im Bereich Alkohol, Tabak, Drogen sowie Ernährung und Bewegung ablösen, die Ende 2016 auslaufen.
Die Zunahme nichtübertragbarer Krankheiten (non-communicable diseases, kurz NCD) wie Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Leiden der Atemwege oder muskuloskelettale Krankheiten ist aufgrund ihrer Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und die Wirtschaft zu einem bedeutenden politischen Anliegen geworden. Diese nicht von einer Person zur anderen übertragbaren Krankheiten mit oftmals langer Krankheitsphase sind inzwischen die häufigste Todesursache in unserer Gesellschaft. Sie verursachen nicht nur viel persönliches Leid und eingeschränkte Lebensqualität, sondern stellen das Gesundheitssystem vor grosse Herausforderungen – auf finanzieller, struktureller und personeller Ebene. Eine neue Studie beziffert die Folgekosten der NCD für die Schweiz auf 52 Milliarden Franken pro Jahr; sie sind damit für 80% der direkten Gesundheitskosten in der Schweiz verantwortlich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass die Zahl der nichtübertragbaren Krankheiten in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird.
Gesunder Lebensstil und gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen
Allerdings stehen wir der Zunahme nichtübertragbarer Krankheiten nicht machtlos gegenüber. Rund die Hälfte dieser Erkrankungen könnten mit einem gesunden Lebensstil vermieden oder zumindest verzögert werden. Sie werden durch folgende Risikofaktoren begünstigt: unausgewogene Ernährung, Bewegungsmangel, Alkoholmissbrauch und Rauchen. Es liegt also in unserer Macht, etwas zu tun. Massnahmen, die den individuellen Lebensstil und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, können die Krankheitslast und die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten deutlich verringern.
In der Schweiz gibt es seit 2008 drei nationale Präventionsprogramme, die auf die Bekämpfung der Hauptrisikofaktoren von nichtübertragbaren Krankheiten zielen: die Programme Tabak, Alkohol sowie Ernährung und Bewegung. Sie bilden das Dach über die verschiedenen nationalen, kantonalen und kommunalen Präventionsaktivitäten in diesen Bereichen. Die Programme werden zusammen mit den Kantonen, NGO und – entsprechend dem multisektoralen Ansatz – mit weiteren Akteuren aus verschiedenen Bereichen (Raumplanung, Wirtschaft, Bildung) umgesetzt. Das Nationale Programm Migration und Gesundheit und das Netzwerk Psychische Gesundheit ergänzen diese Programme mit ihrem Fokus auf besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen. 2012 hat der Bundesrat die Präventionsprogramme um weitere vier Jahre bis 2016 verlängert. Damit wird die Kontinuität der in den vergangenen Jahren geleisteten Präventionsarbeit sichergestellt. Die Programme befinden sich nun in der Halbzeit der Verlängerung. In dieser Ausgabe von «spectra» finden Sie den Stand der verschiedenen Arbeiten pro Programm.
Erarbeitung einer nationalen NCD-Strategie
Im November 2013 hat der «Nationale Dialog Gesundheitspolitik» – die ständige Plattform von Bund und Kantonen – den Start für die Erarbeitung einer Nationalen Strategie zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten bis Ende 2016 beschlossen. Die Strategie soll die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung verbessern sowie Rahmenbedingungen schaffen, die ein gesünderes Verhalten vereinfachen.
Ende März 2014 haben sich in Bern rund 200 Akteure zum ersten Stakeholderanlass betreffend nichtübertragbare Krankheiten getroffen. Seither erarbeiten zwei Arbeitsgruppen mit Vertretungen aus den verschiedenen Akteursbereichen die Stossrichtungen für die nationale Strategie. Die erste Gruppe befasst sich mit Risikofaktoren, nationalen und kantonalen Präventionsaktivitäten und sucht mögliche Synergien zu den bestehenden krankheitsspezifischen Strategien (z.B. der Krebsstrategie). Die zweite Gruppe konzentriert sich auf die Stärkung der Prävention in der Gesundheitsversorgung. Die Berichte der Arbeitsgruppen zur Problemanalyse und zu den möglichen Handlungsoptionen sollen bis Ende Februar 2015 vorliegen. Darauf aufbauend wird das erweiterte Leitungsgremium, in dem der Bund, die Kantone, Gesundheitsförderung Schweiz sowie NGOs und Forschungsexperten vertreten sind, bis Ende Mai 2015 einen Strategieentwurf erarbeiten und über die Sommermonate in eine Anhörung bei den Partnern schicken. In dieser Phase wird am 22. Juni 2015 auch der zweite NCD-Stakeholderanlass stattfinden. Im Herbst 2015 entscheidet dann der Nationale Dialog Gesundheitspolitik über die Strategie, und im Frühjahr 2016 wird sie schliesslich dem Bundesrat vorgelegt.
Nationale Strategie für eine umfassende und kohärente Suchtpolitik
Suchterkrankungen sind Begleiterscheinungen ihrer Zeit. Während im 19. Jahrhundert insbesondere die «Trunksucht» Probleme bereitete, beschäftigten in den 1980er- und 1990er-Jahren heroinabhängige Menschen die Medien, die Gesellschaft und die Fachleute. Auch heute verursachen Substanzen wie Alkohol, illegale Drogen oder Tabak viel Leid für die Betroffenen sowie hohe Kosten für die Gesellschaft, und sie bedeuten eine eingeschränkte Lebensqualität für das Individuum. Neben den «klassischen» Abhängigkeiten rücken heute auch «neue» Suchtformen wie die Medikamentenabhängigkeit, die Geldspielsucht oder die exzessive Internetnutzung in den Fokus der Öffentlichkeit.
Mit der Agenda Gesundheit2020 will der Bundesrat in Zukunft die Gesundheitsförderung und Krankheitsvorbeugung intensivieren, wobei Abhängigkeit oder problematische Verhaltensweisen und Konsumformen ein wichtiger Aspekt davon sind. Bundesrat Alain Berset hat dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Juni 2014 den Auftrag erteilt, bis im Frühling 2015 die Strategie Sucht und bis im Frühling 2016 den dazu passenden Massnahmenplan zu erarbeiten. Die Strategie Sucht bedeutet eine Neuausrichtung der bisherigen, fragmentierten Suchtpolitik. Sie erlaubt es, die Ziele und Schwerpunkte im Bereich Sucht aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen zu bündeln und gleichzeitig heutigen Herausforderungen zu begegnen. Wie die oben beschriebene NCD-Strategie wird auch die Strategie Sucht partizipativ, also unter aktivem Einbezug der wichtigsten Präventionsakteure, entwickelt.
Ein partizipativer Prozess
Die Strategie Sucht soll für die Kantone, Städte, die Fachschaft und weitere Partnerinnen und Partner eine klare strategische Ausrichtung bieten. Über die Strategie sollen alle Akteure darin unterstützt werden, die Suchtprävention zu stärken, ein breit ausgestaltetes Behandlungssystem sicherzustellen und die Früherkennung und Frühintervention von Abhängigkeiten oder problematischem Konsum zu verbessern. Ziel ist es, gemeinsam mit den Partnern ein umfassendes und integriertes Suchthilfeangebot auszugestalten und sicherzustellen, welches Massnahmen der medizinischen Versorgung, der Schadensminderung, der Beratung und der Therapie umfasst, das die mit Sucht verbundenen gesellschaftlichen Desintegrationsprozesse zu verhindern hilft und die soziale Reintegration und die gesundheitliche Rehabilitation abhängiger Menschen fördert. Die Strategie Sucht wird gemäss ihrem umfassenden Anspruch Ziele suchtformübergreifend formulieren, sodass verhaltens- und substanzgebundene Abhängigkeiten bearbeitet werden können.
Wesentliche Orientierungspunkte der neuen Strategie sind:
– Problemorientierung: Die Loslösung von den einzelnen Substanzen ermöglicht es, mit einem umfassenden Konzept Sucht auf Risikogruppen und Individuen im jeweiligen Kontext einzugehen.
– Übergeordnete Ziele: Der Suchthilfebereich kann gestärkt werden, indem gemeinsame Oberziele zum Beispiel zu Jugendschutz, Stärkung der Prävention oder Behandlungsqualität über alle Substanzen hinweg formuliert und angegangen werden.
– Kohärenz und umfassender Ansatz: Liegen allen Interventionen in den Bereichen Prävention, Therapie, Schadensminderung und Regulierung umfassende Ansätze zugrunde, kann durch diese Kohärenz die gesamte Suchthilfe effizienter gestaltet werden.
– Neue Dynamiken und Bündelung der Kräfte: Impulse, die aus dem Feld und von Partnern auf allen Ebenen eingebracht werden, sollen aufgenommen und zur Belebung der bisherigen substanzspezifischen Politiken führen. Stark fragmentierte Strukturen könnten in neue Allianzen mit gemeinsamen Zielen und klar formulierten Vorgehensweisen übergehen, um so die Akteure auf allen Ebenen und ihre Ressourcen besser zu bündeln.
Der Bund will mit der Strategie Sucht die Belastung der öffentlichen Gesundheit und generell gesellschaftliche Schäden verhindern und reduzieren und gleichzeitig das individuelle Leid, welches mit Abhängigkeiten verbunden ist, verringern.
Vision der Nationalen NCD-Strategie
Mehr Menschen bleiben gesund oder leben trotz chronischer Krankheit selbstständig. Weniger Menschen leiden an vermeidbaren Behinderungen und sterben vorzeitig an vermeidbaren nichtübertragbaren Krankheiten. Die Bevölkerung wird unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status unterstützt, gesundheitsförderliche Lebenswelten zu gestalten sowie einen gesunden Lebensstil zu pflegen.