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Internet-Pornografie: ein Katalysator für Sexsucht

Ausgabe Nr. 82
Sep. 2010
Herausforderung Sucht

Verhaltenssüchte. Online-Sexsucht gilt als am stärksten verbreitete Form exzessiver Internetnutzung. Die Folgen für die Betroffenen, Partner, Familien, Jugendliche und die Gesellschaft sind schwierig abzuschätzen. Diese Sucht stellt verschiedenste Fachbereiche vor neue Herausforderungen. Am 16. Juni 2010 führte der Fachverband Sucht eine interdisziplinäre Fachtagung zum Thema durch.

Durch die Verbreitung des Internets sind audiovisuelle Darstellungen von Erotik, Sexualität und Pornografie einem breiten Publikum in noch nie dagewesenem Mass zugänglich geworden. Unauffällig, unbegrenzt und jederzeit ist Pornografie online konsumierbar. Sehr viele Männer – und auch manche Frauen – konsumieren Sexbilder, auf Fotos, Videos und live über Webcams. Ein Teil von ihnen tut dies in exzessiver, abhängiger Weise. Gesellschaftliche Tabuisierung, Grauzonen der Legalität und Angst vor Entdeckung schwingen mit. An der interdisziplinären Fachtagung «Online, Sex und Sucht» in Zürich referierten und diskutierten Fachleute aus Sozialarbeit, Psychologie, Medizin, Seelsorge, Pädagogik und Recht über Fakten, Ursachen und Interventionsmöglichkeiten.

Chancen und Gefahren
Der leichte Zugang von Zuhause, Anonymität, niedrige Kosten, die Mannigfaltigkeit der Angebote, schnelle und grenzenlose Kommunikation über grosse Distanzen, die Möglichkeit virtueller Identitäten und eingeschränkte Kontroll- und Zensurmöglichkeiten: Gemäss dem Arzt und Psychotherapeuten Dr. Andreas Hill sind das die Aspekte, die die besondere Bedeutung des Internets für die Sexualität ausmachen. Daraus ergeben sich laut Hill viele Chancen, wie etwa eine Bereicherung für die sexuellen Fantasie sowie das Experimentieren in einem sicheren Raum. Gerade für schüchterne Menschen mit wenig Selbstsicherheit oder Behinderungen biete das Internet zudem neue Mög­lichkeiten des sozialen und sexuellen Kontakts. Dass Internet-Pornografie (in ihrer legalen Form) durchaus ihre positiven Seiten hat, davon ist auch Prof. Dr. Nicola Döring, Professorin für Medienkonzeption und Medienpsychologie an der Technischen Universität Illmenau, überzeugt. Das Internet biete insbesondere die Möglichkeit, sexuelle Neigungen und Vorlieben auszuleben, was man ausserhalb des Netzes aus Angst vor Ablehnung nicht tun würde. Das wirke oft befreiend und steigere die Selbstakzeptanz. Ausserdem biete das Internet sexuellen Minderheiten die Chance, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und sich zu unterstützen.

Doch die Grenzen zu den negativen Wirkungen sind schnell erreicht. Das grösste Problem der Online-Pornografie ist unbegrenzte Verfügbarkeit des Internets, was es zu einem starken Katalysator für süchtiges Sexualverhalten macht (siehe Artikel über COROMA-Tagung Seite 8). Wie Andreas Hill ausführt, bietet es vulnerablen Menschen eine sehr einfache Flucht von realen – sexuellen und nicht-sexuellen – Beziehungen. Die Folgen sind Isolation und Vereinsamung. Weiter können reale Sexualität und Beziehungen unter Umständen mit der virtuellen Sex-Welt nicht mithalten, was zu Kränkungen und schweren Belastungen in Paarbeziehungen führen kann. Der Konsum insbesondere von Hardcore-Pornografie kann zudem aggressive und abweichende sexuelle Impulse steigern und die Hemmschwellen senken, selbst- oder fremdschädigende Fantasien im realen Leben umzusetzen.

Auswirkungen auf Jugendliche
Wie das Referat des Sexualpädagogen Bruno Wermuth gezeigt hat, ist Pornografie bei den Jugendlichen fast schon eine Selbstverständlichkeit. In einer Studie der Universität Fribourg gaben 48% der 12-jährigen Knaben und 30% der gleichaltrigen Mädchen an, schon mal Pornografie gesehen zu haben. Bei den 15-Jährigen sind es 88% der Knaben und 38% der Mädchen. Wie er weiter ausführt, kann ein häufiger, regelmässiger Konsum von Internetpornografie negative Auswirkungen auf die sexuelle Realitätskonzeption von Jugendlichen haben. Bei den Jungen ist dies vor allem ein sexueller Leistungsdruck, bei den Mädchen der Druck, einen perfekten Körper zu haben. Dr. Andreas Hill zeigte ausserdem eine Studie, laut derer das absichtliche Suchen nach Online-Pornografie bei Jugendlichen mit schlechten emotionalen Bindungen mit der Erziehungsperson, mit delinquentem Verhalten, mit problematischem Substanzkonsum und depressiven Symptomen assoziiert ist.

Wo kann Prävention ansetzen?
Zentral für die Prävention von Online-Sexsucht sind laut verschiedenen Referenten der konstruktive Umgang mit dem Internet-Sex. Für Nicola Döring sind die Medienkompetenz im Sinne einer Pornografie-Kompetenz und die sexuelle Bildung die besten Mittel der Prävention. Auch Daniel Süss, Professor für Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, betonte die zunehmende Wichtigkeit einer Medienpädagogik, die sich offen mit Pornografie, Sexualität und Rollenbildern auseinandersetzt. Medien würden nämlich dort am stärksten wirken, wo keine eigenen Erfahrungen, keine Auseinandersetzung mit anderen und eine unklare eigene Position vorlägen. Gefragt sind also die Förderung der Kompetenz, Medien und was sie uns anbieten, kritisch einschätzen, und was uns gut tut, geniessen zu können.

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Kontakt

Sandra Wüthrich, Sektion Drogen, sandra.wuethrich@bag.admin.ch

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