«Es geht um Fragen des gesellschaftlichen Bewusstseins, die hoffentlich jetzt angeregt werden»
Sep. 2010Herausforderung Sucht
Interview Ilona Kickbusch & Bruno Erni. Anfang Juni präsentierte eine Expertengruppe, zusammengesetzt aus den drei Eidgenössischen Kommissionen für Alkohol, Tabak und Drogen, den Bericht «Herausforderung Sucht». Worin bestehen die grössten Herausforderungen für die Suchtpolitik der nächsten Zukunft? Wir fragten zwei an der Entstehung des Berichts massgeblich Beteiligte: die international aktive Public-Health-Spezialistin Prof. Ilona Kickbusch, Leiterin des Projekts «Herausforderung Sucht», und Bruno Erni, Präsident des Fachverbands Sucht und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen.
spectra: Worin besteht die grösste Herausforderung für die Suchtpolitik der Schweiz?
Kickbusch: Es ist zentral für jede Suchtpolitik, nahe an der Gesellschaft zu sein, und das ist eine ganz prinzipielle Herausforderung. In Bezug auf die Sucht ändert sich in der Gesellschaft sehr viel sehr schnell. Die Konsumenten verändern sich, die legalen und illegalen Märkte verändern sich. Es gibt eine Reihe von Problematiken, die schon seit Jahrzehnten im Raum stehen und die man weiter verfolgen muss, Stichwort Tabak und Alkohol. Dann gibt es eine Reihe neuer Elemente. Zum Beispiel kommt man an einige Produkte anders und leichter heran. Stichwort Medikamente aus dem Internet. Es gibt neue Produkte, von denen wir noch nicht wissen, wie sie genutzt werden, Optimierungsprodukte und Ähnliches. Dann gibt es auch eine sehr wichtige demografische Herausforderung: Man sieht Sucht gerne als Jugendproblem, aber die Daten zeigen immer deutlicher, dass es viele Menschen gibt, die erst im Alter ein Suchtverhalten entwickeln. Zusammenfassend aber kann man sagen, dass die grösste Herausforderung eine politische ist, denn fachlich sind wir in der Schweiz ziemlich gut aufgestellt.
«Ich wünsche mir, dass Suchtpolitik als Bestandteil einer weiter gefassten Gesundheitspolitik angesehen und nicht mehr derart fragmentiert abgehandelt wird.»
Bruno Erni
Erni: Eine grosse Herausforderung wird es sein, den gesellschaftlichen Akteuren das Verständnis für eine kohärente Suchtpolitik zu vermitteln und sie darin einzubinden. Dies setzt voraus, das im Spannungsfeld Sucht, Arbeit, Verkauf und Konsum eine gemeinsame Sprache gefunden werden kann. Es wird nicht einfach sein, die Wirtschaft für dieses Anliegen zu gewinnen.
Die Grenzen dieses Suchtbegriffs werden ja immer weiter, auch in Ihrem Bericht. Sie haben darin die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse kaum erwähnt, die dem Suchtbegriff vielleicht einen festeren Boden gegeben hätten, damit man nicht dem Vorwurf ausgesetzt ist, dass Sucht schliesslich alles sein kann.
Kickbusch: Ich denke, dieser Vorwurf wird sowieso kommen. Wir haben leider keinen besseren Begriff gefunden als «Sucht». Aber wir betonen vor allem das Alltagsverhalten, das Gewöhnungsverhalten, das Missbrauchsverhalten und nicht vorrangig die Sucht. Unser Ziel war, von einer Abhängigkeitsdiskussion den Schritt zu machen hinein in den Alltag. Wir betonen, dass nicht jedes Missbrauchsverhalten ein Suchtverhalten ist, und wir zeigen, dass nicht jeder Gebrauch zur Sucht führt, aber Konsum, auch wenn er nicht süchtig macht, kann trotzdem gesundheitsschädigend sein. Uns ging es stark um diese Differenzierung. Dies beantwortet vielleicht einen Teil dieser Frage nach der Neurowissenschaft, weil ein grosser Teil dieser Wissenschaft eine Wissenschaft über die Sucht und die Abhängigkeit ist.
Erni: Eine umfassende Aufbereitung der entsprechenden Grundlagen hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Wir wollten in erster Linie den Fokus für eine weitere Dimension öffnen. Die Frage war: Wie kann man das Gedankenmodell erweitern, sodass es trotzdem noch Konturen hat und einen guten Rahmen für die weitere politische Diskussion bildet? Ich denke, «Herausforderung Sucht» ist nach dem Vier-Säulen-Modell und dem Bericht «psychoaktiv.ch» (Würfel-Modell) ein gut gelungener, dritter Schritt. Der Bericht beschreibt Betrachtungs- und Handlungsfelder, die weiterer Vertiefung bedürfen. Wir haben formuliert, wo die Akzente gesetzt werden sollten. Aber die Diskussion geht jetzt erst los.
Ist die Gesellschaft gedanklich reif für diesen Sprung weg vom Sucht-Fokus hin zu einem wesentlich grösseren Kontext von schädigenden Verhaltensweisen mit und ohne Substanzen?
Erni: Das ist schwer zu sagen. Für mich stellt sich die Frage, ob sie bereit ist, sich auf die Diskussion einzulassen und diese Betrachtungen nachzuvollziehen. Doch zuerst müssen wir Fachleute diesen Weg selber gehen und die Diskussion engagiert führen. Und schliesslich gibt es in unserem Alltag viele Möglichkeiten, unsere Sichtweise nach aussen zu tragen und die Gesellschaft zu sensibilisieren.
«Wir müssen diese Verantwortlichkeiten im Hinblick auf den Markt und bestimmte Handlungsträger einfordern.»
Illona Kickbusch
Kickbusch: Es wird ja schon viel diskutiert. Viele Leute sehen, dass ihre Kinder zu viel vor dem Computer sitzen, und fragen sich, ob das schädlich ist. Oder sie wissen, dass ihre Kinder zu viel trinken, und sind hilflos. Die Menschen sind mit diesen Problemen konfrontiert und diskutieren sie mit Freunden und in der Familie. Es geht darum, zusätzliche Elemente in diesen Diskurs hineinzubringen und zu sagen: Ja, es gibt Möglichkeiten des gesellschaftlichen Umgangs mit diesen Problemen. Es gibt Aspekte der Schadensminderung und es gibt Verantwortlichkeiten. Wir müssen diese Verantwortlichkeiten im Hinblick auf den Markt und bestimmte Handlungsträger, Stichwort Sportvereine, einfordern. Nicht nur als Professionelle, sondern auch aus der Gesellschaft heraus. Also: wenn ich mein Kind in einem Sportklub anmelde, sollte ich fragen, wie man es dort mit dem Alkohol hält. Es geht um Fragen des gesellschaftlichen Bewusstseins, die hoffentlich angeregt werden.
Gibt es als gesellschaftliches Lernen etwas anderes als die Reaktion auf den Leidensdruck? Die Geschichte der Suchtpolitik ist ja ein typisches Reagieren auf etwas, was zu sehr weh tut. Bis die Gesellschaft der Politik den Auftrag gibt, etwas zu unternehmen.
Erni: Leider braucht es in der Tat häufig einen grossen Problemdruck, bis politisch etwas in Bewegung gesetzt wird. Aber es gibt auch andere Wege. Es zeigt sich zum Beispiel immer wieder, dass Medien in Gesundheitsfragen gute Partner sein können. Viele Medienschaffende sind für diese Themen sensibilisiert und deshalb bereit, sie aufzugreifen und einen weiteren Kontext herzustellen. Die Medien sind ganz wichtig, um unsere Anliegen voranzubringen.
Kickbusch: Schaut man die Bewegung zu rauchfreien Restaurants und öffentlichen Räumen an, dann war dies ja nicht unbedingt ein Leidensdruck, sondern eine Frage der Lebensqualität, die diese Bewegung losgetreten hat. Man hat von und in anderen Ländern erfahren, dass Rauchfreiheit möglich ist. Viele solcher Veränderungen basieren auf einer Mischung aus Wünschen und gesellschaftlichen Erwartungen. Es gibt auch ein zunehmend höheres Gesundheitsbewusstsein, was natürlich dazu führt, dass man zumindest im Hinblick auf das Lebensumfeld eher zum Handeln schreitet. Gerade im Drogen- und auch im Aidsbereich waren es häufig Extremsituationen, die dazu geführt haben, dass die Politik gehandelt hat. Im Alltagsbereich – Alkohol, Tabak, Medikamente – gibt es manchmal kurze Aufleuchter; Alcopops ist so ein Beispiel oder die Botellones. Das Krisen- und Handlungsbewusstsein wird in der Gesellschaft sehr komplex hergestellt.
Sie verstehen Ihren Bericht als Anregung zur Diskussion. Sie haben die Medien als oft gute Partner erwähnt. Auf wen zählen Sie, um diese Diskussion und schliesslich die gewünschten Veränderungen so richtig in Gang zu bringen? Was muss geschehen, damit sich diese Einbettung des Themas in die Politik und die Zivilgesellschaft vollzieht?
Kickbusch: Dazu muss man natürlich eine Kommunikationsstrategie entwickeln. Es ist unsere Hoffnung, dass dies vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) gemacht wird, damit es auch über die üblichen Gruppen hinausgeht. Neben den zahlreichen Diskurspartnern, welche die Kommissionen haben, kann ich mir vorstellen, das auch mit unterschiedlichen Verbänden zu besprechen, zum Beispiel mit Pflegeverbänden, damit diese ein grösseres Bewusstsein bekommen für diese Problematik. Aber auch, um von ihnen zu lernen. Oder mit Sportverbänden, mit Verkehrsverbänden, mit Elternverbänden, Verbänden von Städten. Wenn ich eine Kommunikationsstrategie aufstellen müsste, würde ich vor allem auf solche Partner zugehen, mit denen man sich sonst weniger austauscht. Denn das würde zum Teil verkrampfte Positionen ein bisschen auflösen – und bei den Fachpersonen laufen die Diskussionen ohnehin. Es ist jetzt ganz wichtig, dass genügend Ressourcen und Menschen da sind, die diese Diskussionen führen können, wenn Anfragen kommen.
Erni: Die Verbände haben als Vermittler eine enorme Bedeutung. Ich glaube aber auch, dass der Bericht für die Kantons- und Stadtverwaltungen sehr wertvoll sein wird. Die dort für Gesundheits- und Suchtfragen zuständigen Fachleute sind sehr nahe am Geschehen. Die Denkweise, die im Bericht skizziert wird, ist ihnen schon weitgehend vertraut. Da sie auch nahe an der Politik sind, bin ich überzeugt, dass sie dort ganz viel bewirken können. «Herausforderung Sucht» kann diese Fachleute bei der Kommunikation unterstützen. Ich bin sicher, dass der Bericht für sie von praktischem Nutzen sein wird.
Kickbusch: Genau. Vieles, was im Bericht steht, haben wir auch von ihnen aufgegriffen und gelernt – ein echter Dialog, von dem beide Seiten profitieren.
Der Bericht wird aber bestimmt auch starken Widerstand hervorrufen. Wo erwarten Sie welche Widerstände?
Erni: Diese Widerstände haben wir heute schon – mit der Wirtschaft, mit den Anbietern. Die Diskussion läuft bereits, und sie wird sicher noch heiss werden. Die Alkoholindustrie zum Beispiel muss sich fragen, wie weit sie gehen will mit ihren Forderungen, den Markt liberal zu halten. Die Probleme werden früher oder später zeigen, dass etwas passieren muss.
Im Leitsatz 7 Ihres Leitbildes für eine kohärente und zukunftsfähige Suchtpolitik haben Sie geschrieben, dass sich die Wirtschaft dazu verpflichtet, sich auch für die Suchtpolitik einzusetzen. Gibt es da schon positive Zeichen oder ist noch viel zu tun?
Erni: Es ist noch sehr viel zu tun. Aber man kann auch sagen, dass es gewisse Akteure gibt, die eingesehen haben, dass sie gut daran tun, etwas moderater zu werden und freiwillig Regeln einführen. Das sind zum Beispiel Grossverteiler, die in ihren Tankstellenshops freiwillig das Mindestalter 18 für den Einkauf jeglichen Alkohols eingeführt haben. Das sind positive Zeichen. Ich hoffe sehr, dass der Dialog hier noch mehr bewirken wird.
Kickbusch: ... und dass sie auch von andern Wirtschaftsbereichen etwas lernen. Man sieht jetzt gerade in den USA im Bereich Softdrinks und zum Teil bei den Lebensmitteln, dass eine grosse Wirtschaftskoalition geschaffen worden ist, um gegen Übergewicht vorzugehen. Da haben die Softdrinkhersteller zum Beispiel von sich aus ihre Produkte aus den Schulen entfernt. Der Bericht zeigt aber auch, dass es nicht nur um die Produzenten per se geht. Da gibt es auch noch die Vertriebsstellen, die sich auch fragen müssen, bei welchen Preiskämpfen sie mitmachen wollen und welche gesellschaftliche Verantwortung sie übernehmen wollen.
Erni: «Herausforderung Sucht» weist auf die Komplexität und die Zusammenhänge der gesellschaftlichen Akteure hin und nimmt sie in die Pflicht. Aber der Bericht macht dies, ohne den Zeigefinger zu heben. Er ist im Ansatz offen. Das ist aus meiner Sicht eine sehr gute Grundlage für den Dialog.
Ein weiterer Leitsatz fordert den Ausbau der Schweizer Suchtforschung. Wo sehen Sie Handlungsbedarf, damit die Schweiz auch international wieder besser dasteht und die Grundlagen liefern kann für diesen gesellschaftlichen Schritt?
Kickbusch: Ganz grundsätzlich wünschen wir uns einfach bessere Daten. Ein erster Schritt wäre ein wirklich verlässlicher «Gesundheitsbericht Sucht» mit Daten, die man dann über längere Zeit vergleichen könnte. Das wäre eine erste wichtige Basis, damit auch das Monitoring von Politiken und Programmen möglich wäre. Dann könnte man auch Kantone, Städte und Gemeinden vergleichen, um zu sehen, was die einen richtig machen und was nicht. Solche handlungsrelevante Daten sind eine wirkliche Priorität. Gerade im Bereich des sozialen Handlungsalltagsbereichs herrscht da eine schwierige Situation, wie in puncto Gesundheitsdaten überhaupt in der Schweiz.
«Es wäre schön, wenn dieses Thema mal ein wirklich interdisziplinärer Nationalfonds-Schwerpunkt wäre.»
Illona Kickbusch
Wenn man dann noch sagt, man möchte eine bessere Forschung über Verhaltensmuster, Zusammenhänge und schliesslich auch noch eine gute medizinische Forschung in diesem Bereich, hat man ein ziemlich grosses Paket. Man kann sich auch interessante Forschungsverbünde vorstellen, in denen man eben nicht nach Säulen forscht, also nicht Tabak- oder Alkoholforschung, sondern eine integrierte Forschung anstrebt. Es wäre auch interessant zu wissen, wie gross die Zufälligkeit ist, warum man mit dem einen Suchtmittel gut umgeht und mit dem andern nicht. Was uns auch aufgefallen ist, ist, wie wenig man über die Polytoximanie weiss. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass jemand der viel am Computer ist mit Online-Spielen, auch zu andern Mitteln greift, um wach zu bleiben.
«Aus Sicht der Praxis besteht grosser Handlungsbedarf bei der
Aufbereitung und beim Verfügbarmachen von Forschungsergebnissen.»
Bruno Erni
Wir wissen ein bisschen etwas über die Verbindung von Spielsucht und Alkohol. Aber wie diese Verstärkermechanismen genau funktionieren, ist weitgehend unbekannt. Hier gibt es ein ganz grosses Forschungsfeld für die Sozialwissenschaften und Sozialpsychologen. Wir haben in den Vordiskussionen gesagt, dass es schön wäre, wenn dieses Thema mal ein wirklich interdisziplinärer Nationalfonds-Schwerpunkt wäre.
Erni: Aus Sicht der Praxis besteht grosser Handlungsbedarf bei der Aufbereitung und beim Verfügbarmachen von Forschungsergebnissen. Zudem müssen die Praktiker bei der Forschungsplanung stärker einbezogen und der Wissenstransfer in die Praxis verstärkt werden. Da gibt es noch viel zu tun.
Eine Herausforderung haben Sie schon gemeistert, indem Sie die drei grossen Eidgenössischen Kommissionen, die Tabak-, die Alkohol- und die Drogenkommission, an einen Tisch gebracht und einen gemeinsamen Bericht verfasst haben. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit erlebt? Wo gab es Schwierigkeiten?
Erni: Es war spannend zu sehen, wie die einzelnen Kommissionen mit ihren verschiedenen Aufgaben und Erfahrungen ganz unterschiedliche Haltungen entwickelt haben. Zum Beispiel hat die Eidgenössische Kommission für Tabakprävention in puncto Schadensminderung eine ganz andere Position als die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen. Solches galt es zu verstehen und zu akzeptieren. Die Differenzen haben sich letzten Endes jedoch im Rahmen gehalten. Ich habe durch diese Zusammenarbeit sehr viel gelernt.
Bedingt die neue Herangehensweise an die Suchtproblematik auch eine neue Struktur, was die Kommissionen anbelangt? Müsste man diese substanzorientierten Kommissionen nicht zusammenführen in eine Eidgenössische Kommission für Suchtfragen?
Erni: Es gibt genauso viele Gründe, dies nicht zu tun, wie solche, es zu tun. Ich plädiere sehr dafür, dass wir mit dieser Art der Zusammenarbeit fortfahren und schauen, welche gemeinsamen Ziele entwickelt werden können. Dann sollen die Strukturen diesen Zielen folgen. Wohin diese Reise führt, ist im Moment offen. Aber die Zusammenarbeit muss unbedingt fortgesetzt werden.
Kickbusch: Das glaube ich auch. Und das ist sowohl eine Herausforderung für die Kommissionen als auch für das BAG. Es geht jetzt darum zu schauen, wie man diesen Dialog zwischen den Kommissionen in unterschiedlichen Zusammensetzungen weiterführen kann und wie man auch die neuen Bereiche dazuführen kann. Wo sind beispielsweise Forscher und Handlungsträger im Bereich Verhaltenssüchte, die in diesen Dialog eingebunden werden sollten? Wo sind Leute, die Erfahrungen haben mit Optimierungsprodukten oder Medikamentenmissbrauch? Dafür braucht man ein anderes Gefäss. Das wird sich im Endeffekt politisch gestalten.
Was ist Ihre Vision für die Wirkung dieses Berichts für die nächsten fünf bis zehn Jahre?
Kickbusch: Idealerweise können wir die Leitsätze umsetzen. Sonst ist es eine Reihe von Dingen, die wir schon angesprochen haben: Wir wollen, dass eine breite Diskussion angeregt wird, dass mit untypischen Handlungsträgern diskutiert wird, dass gewissen Kantone und Städte sagen: «Ja, wir wollen in unserem Umfeld diesen Diskurs führen.» Wir wollen, dass die Kontinuität gesichert ist, auch vonseiten des BAG, und wir haben das Kommunikationskonzept angesprochen. Ganz sicher wollen wir auch, dass es eine Forschungsentwicklung gibt und dass sich daraus auch Vorschläge für die Politik ergeben. Gut wäre, wenn sich mancher Handlungsträger zum Beispiel aus der Wirtschaft verpflichtet fühlen würde, Verantwortung zu zeigen. Ich sage es mal überspitzt: Zur Verbotsgesellschaft kommt es nur, wenn man keine freiwilligen Beiträge an die Gesellschaft leistet. Und eine Verbotsgesellschaft will niemand. Nun sagen wir ja, dass Gesundheit von Mitverantwortung geprägt ist und dass jeder Handlungsträger etwas dazu beitragen kann. Das wäre meine liebste Vision, wenn man nicht alles über Gesetze regeln müsste, weil sich die Handlungsträger verpflichtet fühlen, von sich aus Verantwortung zu übernehmen.
Erni: Ich hoffe, dass der Bericht hilft, unser Engagement weiterhin zu bündeln und zu stärken. «Herausforderung Sucht» ist eine Einladung zur breiten Diskussion, die hoffentlich wahrgenommen wird. Zudem würde ich mir wünschen, dass daraus resultiert, Suchtpolitik als Bestandteil einer weiter gefassten Gesundheitspolitik anzusehen und nicht mehr derart fragmentiert abzuhandeln, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Meine Vision ist, dass sich dieses erweiterte Verständnis letztlich breit in der Politik niederschlägt.